Nach dem Bundestag plädiert ebenso der Bundesrat für die Aufnahme gewaltiger Schulden, um die Bundeswehr und die Infrastruktur in Deutschland auf Vordermann zu bringen. Doch die Länderchefs knüpfen daran durchaus auch Forderungen.
Deutschland kann in den kommenden Jahren Schulden in einer Grössenordnung machen, wie es sie seit der deutschen Einheit nicht mehr gegeben hat. Nach dem Bundestag am Dienstag hat am Freitag auch die Länderkammer für eine Verfassungsänderung gestimmt. Damit kann nun die Schuldenbremse des Landes gelockert werden. Der Weg für ein milliardenschweres Ausgabenpaket für Nachrüstung, Infrastruktur und Klimaschutz ist frei, vorausgesetzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verweigert nicht seine Zustimmung.
Der Bundesrat, die zweite Kammer des deutschen Parlaments und Vertretung der Bundesländer, stimmte mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit der Grundgesetzänderung zu. Die Länderkammer musste an der Verfassungsänderung beteiligt werden, weil sie den Ländern erlaubt, ihre eigenen Schuldenbremsen zu lockern. Diese Lockerung benötigte mindestens 46 von 69 Stimmen, um den Bundesrat zu passieren. Am Ende gab es 53 Ja-Stimmen, weil auch die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Bremen zustimmten. Ihr Votum für die Gesetzesänderung war zuvor nicht sicher gewesen.
In ihren Reden vor der Länderkammer in Berlin verknüpften zahlreiche Länderchefs ihre Zustimmung zu den drei Grundgesetzänderungen mit grundlegenden Forderungen. Dazu gehören eine Reform der Schuldenbremse und eine umfassende Staatsreform. Letztere ist aus Sicht vieler Ministerpräsidenten nötig, um die finanziellen Verhältnisse von Bund, Ländern und Kommunen neu zu ordnen.
Eine der drei Grundgesetzänderungen betrifft die Aufnahme nahezu unbegrenzter Schulden, um Deutschland wieder verteidigungsfähig aufzustellen. Die meisten der 16 Bundesländer erkannten diese Notwendigkeit vollständig an. Einige andere enthielten sich, darunter vor allem solche, in denen die Linkspartei oder das Wagenknecht-Bündnis beteiligt sind. Beide Parteien kritisieren die Modernisierung der Bundeswehr als einseitige Aufrüstung.
Söder: «Deutschland meldet sich zurück»
Der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der Christlichsozialen, Markus Söder, sieht das anders. Er sei Wehrpflichtiger in der Zeit des Kalten Krieges gewesen, sagte Söder, und «irgendwie ist mein Gefühl, dass es heute schwieriger ist als früher». Sein Vertrauensverhältnis zu den USA sei negativ berührt, obwohl er sich als «überzeugter Transatlantiker» bezeichne. Er sprach von der Grundgesetzänderung als einem «Riesensignal an Freund und Feind». Deutschland handele, Deutschland melde sich zurück.
Söder, der an den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD nach der Bundestagswahl beteiligt war, rechtfertigte noch einmal die aus seiner Sicht grosse Dringlichkeit des Vorgehens. Es war der alte Bundestag, der am Dienstag mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen den drei Grundgesetzänderungen zustimmte. Das hat für viel Kritik gesorgt, da das neue Parlament bereits gewählt ist und handlungsfähig wäre.
Allerdings haben dort die Rechtsaussenpartei AfD und die Linkspartei zusammen eine Sperrminorität. Damit können sie Verfassungsänderungen im Bundestag verhindern. Söder sprach von einer «Weimarer Zange» im neuen Parlament. Damit rekurrierte er an die Zeit der Weimarer Republik in den zwanziger Jahren, als extreme linke und rechte Parteien erstarkten und das Parlament blockierten. Deswegen sei es wichtig gewesen, noch die Verhältnisse des alten Bundestags zu nutzen, meinte Söder. Es sei darum gegangen, dass Deutschland «neue Kraft» finden könne.
Viele Menschen seien verzweifelt
Schuldenfinanzierte Investitionen soll es nicht nur in die Verteidigungsfähigkeit, sondern auch in die marode deutsche Infrastruktur geben. Söder bezeichnete die Pläne als «deutschen Marshall-Plan». Doch auch andere Ministerpräsidenten hatten ihre Erklärungen für ihre Zustimmung. Der sächsische Landeschef Michael Kretschmer von der CDU sagte, man könne den Deutschen nicht begründen, Milliarden für Waffen an die Ukraine auszugeben und gleichzeitig die Infrastruktur in den Städten und Gemeinden zu vernachlässigen. Die Wahlen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass viele Menschen verzweifelten und das Vertrauen in die Demokratie verloren hätten.
Auch Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin des nordostdeutschen Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, strich die Notwendigkeit heraus, den Investitionsstau in Deutschland abzubauen. Die SPD-Politikerin regiert gemeinsam mit der Linkspartei und sprach von «Infrastrukturschulden», die das Land angehäuft habe. Wenn Schienenwege, Strassen, Schulen, Kindergärten und Kliniken verfielen, sei das eine schwere Hypothek für nachfolgende Generationen.
Ein «gefährliches Gegeneinander» von Investitionen ins Militär und maroder Infrastruktur sei den Bürgern nicht zu erklären, begründete Schwesig das Investitionspaket für die Infrastruktur. Wie andere Bundesländer auch verknüpfte Mecklenburg-Vorpommern seine Zustimmung zur Grundgesetzänderung mit der Forderung, dass es noch in diesem Jahr ein Gesetzgebungsverfahren gibt, in dessen Folge die Schuldenbremse reformiert wird. Dieses Verfahren muss die mutmassliche neue schwarz-rote Bundesregierung auf den Weg bringen.
Politik lebt zu oft über ihre Verhältnisse
Es war vor allem der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen, der eine differenziertere Sicht als viele seiner Kollegen auf die Grundgesetzänderungen hatte. Kretschmann bezeichnete sich als «Verfechter der Schuldenbremse» und sprach von einem «erheblichen Störgefühl». Es sei eben so, dass die Politik zu oft über ihre Verhältnisse lebe, sagte er und kritisierte die Neigung, konsumtive Ausgaben zu erhöhen. Damit sind etwa die Aufwendungen für die Verwaltung zu verstehen.
Zugleich räumte Kretschmann ein, dass Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit durch den enormen Investitionsstau gefährdet sei. «Wenn wir jetzt nicht für unsere Sicherheit und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sorgen, wird es keiner tun», sagte er. Es gehe um nichts geringeres als «die Selbstbehauptung unserer Werte, um Frieden, Freiheit und Demokratie». Kretschmann betonte, dass es bei dem Beschluss der Länderkammer nicht um die konkrete Aufnahme von Schulden gehe, sondern dass damit der Rahmen für eine neue Regelung der Schuldenaufnahme gesetzt werde.
Damit geht eine Woche zu Ende, die für Deutschlands Zukunft von enormer Bedeutung sein könnte. Bundestag und Bundesrat haben einerseits den Weg frei gemacht, um das Land nach Jahrzehnten der Friedensdividende wieder verteidigungsfähig zu machen. Aus Sicht vieler Fachleute herrscht hier grosse Dringlichkeit. Sie sehen Deutschland und Europa bereits in einem Konflikt mit Russland, der noch mit hybriden Mitteln ausgetragen werde, schon bald aber in eine militärische Konfrontation münden könne. Am Ende werde es ohne Wehrpflicht nicht gehen, sagte dazu CSU-Chef Söder.
Andererseits könnte diese Woche auch der Start einer umfassenderen Reform Deutschlands werden. Die Vertreter der Bundesländer machten deutlich, dass sie in den kommenden zwölf Jahren nicht nur mehr Geld ausgeben wollten, sondern dass sich grundlegend etwas ändern müsse. Dazu zähle, dass das Geld schnell und für die Bürger spürbar ankommen müsse und, zumindest aus Sicht von Söder, dass die illegale Migration massiv eingedämmt werde. Sonst, so der bayerische Landeschef, ergebe die Grundgesetzänderung keinen Sinn.