Delhi plant auf der entlegenen Inselgruppe im Indischen Ozean ein neues Containerterminal. Die Lage an der Seestrasse von Malakka ist strategisch günstig. Doch es gibt Zweifel an der Wirtschaftlichkeit – und Sorgen um die ökologischen Folgen.
Noch ist die Bucht von Galathea praktisch unberührt. Fotos im Internet zeigen einen breiten, weissen Sandstrand, hinter dem sich dichter Dschungel erhebt. Doch schon in wenigen Jahren soll in der Bucht an der Südspitze der Nikobaren einer der grössten Containerhäfen Indiens entstehen. Die Pläne der Regierung in Delhi sehen den Bau von drei Piers vor, an denen sieben Containerschiffe gleichzeitig anlegen können. Im April sollen die Bauarbeiten starten. Langfristig soll der Hafen zu einem wichtigen Drehkreuz im Indischen Ozean werden.
Der Standort von Galathea besticht durch seine geografische Lage: Die Bucht im Süden der Insel Gross Nikobar hat eine natürliche Tiefe von zwanzig Metern, so dass dort auch grosse Containerschiffe einlaufen können. Sie liegt nur 40 Seemeilen von der Route durch die Seestrasse von Malakka entfernt, über die rund ein Drittel des weltweiten Seehandels verläuft. Der Hafen kann daher eine attraktive Alternative zu den Umschlaghäfen von Colombo, Singapur und Kuala Lumpur sein.
Die Befürworter des Projekts argumentieren, dass die bestehenden Umschlaghäfen bereits heute am Rande ihrer Kapazität operierten. Wenn der Handel im Indischen Ozean wie erwartet weiter steige, werde es dort schon bald zu Engpässen und längeren Wartezeiten kommen. Daher sei ein zusätzlicher Umschlaghafen wirtschaftlich sinnvoll. Indien könne zudem Devisen sparen, wenn die Waren in einem indischen Hafen statt im Ausland umgeladen würden.
Indien will unabhängig von ausländischen Häfen werden
Umschlaghäfen sind wichtige Drehkreuze entlang der internationalen Schifffahrtsrouten. In diesen Häfen werden Waren von einem Schiff auf das andere umgeladen. Da Indien bis jetzt keinen eigenen Umschlaghafen hat, werden 75 Prozent des indischen Seehandels im Ausland abgewickelt: rund 45 Prozent davon in Sri Lankas Hauptstadt Colombo, weitere 40 Prozent in Singapur und Port Klang bei Kuala Lumpur. Durch den Bau des Hafens in der Bucht von Galathea erhofft sich die indische Regierung Einsparungen von bis zu 220 Millionen Dollar im Jahr.
Allerdings gibt es Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Hafens. Denn er dürfte es schwer haben, angesichts der Konkurrenz durch die kostengünstigen Häfen von Singapur und Colombo zu bestehen. Entscheidend für die Attraktivität eines Hafens ist die Zeit, die ein Schiff zum Be- und Entladen dort verbringt. In Colombo liegt sie bei 24 Stunden, in Singapur sogar nur bei 12 Stunden. Indische Häfen haben dagegen im Schnitt eine Umschlagzeit von 48 Stunden.
Hinzu kommt, dass Galathea mehr als 1600 Kilometer vom indischen Festland entfernt ist. Anders als Colombo oder Singapur wird der Hafen auf Gross Nikobar über kein Hinterland verfügen, das mit Strasse und Bahn angebunden ist. Die Insel ist fast vollständig von Dschungel bedeckt und hat weniger als 9000 Einwohner. Die einzige nennenswerte Siedlung liegt an der Bucht von Campbell etwas nördlich von Galathea. Dort befindet sich auch der bisher einzige Hafen der Insel.
Umweltschützer sind entsetzt über das Projekt
Da alles Baumaterial sowie die Maschinen und Arbeiter vom Festland herangeschafft werden müssen, wird der Bau des Hafens aufwendig und teuer werden. Die staatliche indische Denkfabrik Niti Aayog rechnet mit Baukosten von 5 Milliarden Dollar. In einer ersten Phase soll der Hafen eine Kapazität von 4 Millionen Container im Jahr haben. Nach seiner Fertigstellung im Jahr 2058 sollen dort jährlich 16 Millionen Container umgeschlagen werden können.
Neben dem Containerhafen sollen an der Südspitze von Gross Nikobar auch Werften, ein Kreuzfahrt-Terminal, ein Elektrizitätswerk sowie ein Flughafen entstehen. Laut der Regierung sollen dafür 130 Quadratkilometer unberührter Regenwald gerodet werden. Umweltschützer sind entsetzt. Denn der Strand von Galathea ist ein wichtiges Brutgebiet für die Lederschildkröte – mit einer Körperlänge von bis zu 2,5 Metern die grösste lebende Schildkröte der Welt.
Umweltaktivisten werfen der Regierung vor, die Grenzen eines Naturschutzgebietes auf der Insel abgeändert zu haben, um den Bau des Hafens zu ermöglichen. Zudem monieren sie, dass die zu erwartende Zerstörung der Umwelt kaum mit dem Ziel vereinbar sei, die Insel zu einer Touristendestination zu machen. Anfragen zu den Umweltschutzfreigaben wies die Regierung unter Berufung auf die nationale Sicherheit ab. Journalisten verwehren die Behörden seit Jahren den Zugang zu der Region.
Der Volksgruppe der Shompen droht die Ausrottung
Das Grossprojekt gefährdet zudem die Shompen. Die Stammesgruppe, deren rund 250 Mitglieder zumeist als Jäger und Sammler leben, gilt als stark bedroht. Wie andere indigene Gruppen auf den Andamanen und Nikobaren hat sie unter dem Tsunami 2004 sehr gelitten. Die Flutkatastrophe hat die Inselkette hart getroffen, grosse Teile der Küste fortgerissen und viele Fischer ihrer Lebensgrundlage beraubt. Die staatlichen Hilfsprogramme haben in den folgenden Jahren die sozialen Strukturen zusätzlich durcheinandergebracht.
Die Pläne der Regierung sehen vor, langfristig 650 000 Menschen auf der Insel anzusiedeln. Aktivisten fürchten um das Überleben der Shompen und anderer indigener Gruppen, wenn sie ihren Lebensraum verlieren und eingeschleppten Krankheiten ausgesetzt sind. Die oppositionelle Kongresspartei fordert wegen der hohen sozialen und ökologischen Kosten eine Überprüfung des Projekts, andere Parteien wollen es ganz stoppen. Die Regierung gibt sich aber unbeeindruckt.
Bereits 2022 hat sie das Bauprojekt öffentlich ausgeschrieben. Bis Januar haben elf indische Unternehmen ihr Interesse bekundet, darunter der Konzern von Gautam Adani. Der Milliardär, der über beste Beziehungen zum indischen Premierminister Narendra Modi verfügt, betreibt bereits mehrere andere Häfen in Indien. Der Konzern baut nahe der indischen Südspitze im Teilstaat Kerala auch den Hafen von Vizhinjam. Dieser soll Indiens erster Umschlaghafen werden.
Indien will gegenüber dem Rivalen China Präsenz markieren
Kritiker sehen den Umschlaghafen Vizhinjam als direkte Konkurrenz zum geplanten Hafen auf Gross Nikobar. Die Befürworter stellen ihn jedoch als komplementär dar. In ihrer Argumentation wird Vizhinjam die Häfen an Indiens Westküste bedienen, während im Hafen von Galathea der Handel mit der indischen Ostküste sowie Bangladesh und Myanmar abgewickelt wird. Allerdings, so finden die Befürworter, dürfe das Projekt ohnehin nicht rein finanziell betrachtet werden.
Denn der Hafen habe durch seine Lage nahe der wichtigen Seestrasse von Malakka einen grossen strategischen Nutzen für Indien. Da der geplante Hafen und der Flughafen auch militärisch nutzbar seien, könne Delhi damit seine Präsenz im östlichen Indischen Ozean ausweiten, argumentieren die Befürworter. Dies sei umso nötiger, weil der grosse Rivale China im Rahmen der Seidenstrassen-Initiative bereits mehrere Häfen in Sri Lanka, Bangladesh und Myanmar betreibe.
Es besteht zudem der Verdacht, dass die Chinesen militärisch auf Myanmars Kokosinseln nördlich der Andamanen präsent sind. Um dem wachsenden Einfluss seines Rivalen im Indischen Ozean zu begegnen, erhöht Indien seit Jahren seine eigene Militärpräsenz auf den Andamanen und den Nikobaren. Allerdings kann es dafür bestehende Marinestützpunkte wie in Port Blair nutzen. Es bleiben Zweifel, ob Delhi aus strategischer Sicht einen wirtschaftlich wie ökologisch fragwürdigen Hafen in der Bucht von Galathea braucht.