Sonntag, Januar 12

Noch immer wüten Brände im Los Angeles County, doch die ersten Anwohner kehren in die Trümmer zurück. Ein Ortsbesuch.

«Was meinst du, was das ist?», fragt Gary Romoff und hält seiner Frau ein verschmortes Stück Plastik hin. «Ein Teil von meinem Haarföhn», murmelt Louisa Romoff und stochert mit einem kleinen Rechen in der Hand weiter in dem, was vor 72 Stunden noch ihr Badezimmer war.

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Mit Sportkleidern, Atemmasken und Gummihandschuhen knien die beiden in den Überresten ihres Heims. Von dem zweigeschossigen Haus mit vier Schlafzimmern ist nichts geblieben als ein kniehoher Berg aus Schutt und Asche. Das, was einmal ihre Nachbarschaft war, ist nun ein Trümmerfeld. Wo ein Grundstück aufhört und das nächste beginnt, lässt sich nicht mehr erkennen.

Dreissig Jahre lebten die Romoffs in den Hügeln von Pacific Palisades nördlich von Los Angeles. Ihre zwei inzwischen erwachsenen Töchter wuchsen hier auf, vor zwei Jahren hatten sie den Garten neu angelegt. Brände gab es in all den Jahren immer wieder, sie gehören zu Südkalifornien wie der Strand und Hollywood. Doch noch nie kamen die Flammen so nahe, dass die Romoffs hätten fliehen müssen.

Das würde auch diesmal so sein, da war sich die 58-Jährige sicher. Bis 18 Uhr hatte Louisa Romoff am Dienstagabend im Haus ausgeharrt. Doch dann drehten die Winde, das Feuer kam immer näher, Romoff begann zu packen – das Hochzeitsalbum, die Jahresbücher aus der Schulzeit ihrer Töchter, Brille und Kontaktlinsen, die Zahnbürste. «Ich wünschte, ich hätte mein Make-up auch geschnappt, das stand direkt daneben», sagt sie seufzend. Gary arbeitete wie immer im Büro; wie jeden Morgen hatte er das Haus verlassen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

«Ich dachte, es würden vielleicht noch Wände stehen», sagt die 58-Jährige und blickt sich um. Bis Mittwochmorgen hatten sie noch gehofft, dass ihr Haus von den Flammen verschont worden war, «so wie das da», sagt sie und zeigt auf ein Nachbarhaus, das als eines der wenigen in der Nachbarschaft unversehrt blieb und nun wie ein Überlebender aus dem Trümmerfeld ragt.

Doch in den Fernsehnachrichten sah eine ihrer Töchter dann, dass ihr Haus zerstört worden war: Der Basketballkorb in der Einfahrt, der grosse Nadelbaum daneben – es war eindeutig, der Schutthaufen war ihr Grundstück. Die Töchter seien am Boden zerstört, «es ist wie ein Todesfall in der Familie», sagt Romoff, eine zierliche Frau mit langen braunen Haaren. «Es ist einfach nur schrecklich, dein Haus in diesem Kontext in den Nachrichten zu sehen.»

Zunächst sei sie voller Selbstmitleid gewesen – und dann dankbar, dass sie nicht ihr Leben verloren hätten, so wie mindestens zehn Anwohner in Pacific Palisades.

Getrieben von der Neugier, ob noch irgendetwas im Haus zu retten sei, stiefelten die Romoffs am Freitagmorgen drei Kilometer weit in ihr altes Wohnviertel. Eigentlich ist die gesamte Gegend für Anwohner gesperrt, Strommasten liegen quer über Strassen gestürzt, Feuer schmoren vereinzelt noch. Nur Rettungskräfte und Medienvertreter dürfen hinein, doch die Romoffs schmuggelten sich durch. Vielleicht würden sie doch noch die Schmuckkette finden, die Louisa von ihrer Tante geerbt und in der Eile vergessen hatte einzupacken.

Vergebens stochern sie nun im Schutt. Die Flammen haben alles bis zur Unkenntlichkeit verschmort. Fast alles: Stolz zeigt Louisa einen Kaffeebecher, ein Geschenk ihrer Verwandten in Portugal, der die Flammen überraschend überstanden hat. An den Rändern ist er verschmort, doch Louisa Romoff hält ihn stolz wie einen Pokal. Behutsam legt sie ihn schliesslich auf ihre Handtasche. Immer wieder hält sie beim Durchwühlen des Schutts inne und vergewissert sich, dass der Becher noch da ist.

Plötzlich bricht Gary in Gelächter aus, «Schau, Louie, die Kiefer hat es geschafft!» Er zeigt auf einen vielleicht dreissig Meter hohen Baum auf dem Nachbargrundstück. Seine Frau lacht auf und erklärt, diesen Baum habe sie gehasst, ständig sei ihr Vorgarten voller Nadeln gewesen. «Das darf doch nicht war sein», sagt sie, sie werde den Gärtner mit einer Kettensäge hier hoch senden.

Gary hat nach wenigen Minuten genug vom Stochern in der Asche. Überhaupt wirkt er überraschend gefasst und pragmatisch. «Letztlich waren es nur materielle Dinge, man kann das alles wieder kaufen», sagt er. Mit einem Architekten habe er bereits über den Neubau gesprochen, «ich mochte den Grundriss eh nie». Seine Frau sieht das anders und sagt: «Ich will, dass alles genau so wird wie vorher.» Sie packt den Kaffeebecher und eine Handvoll verschmorter Überreste in eine Plastiktüte, mehr ist von ihrem Zuhause nicht geblieben. Dann kraxelt auch sie aus den Trümmern.

«Wie nach einer Atombombe»

Nicht alle gehen mit der Katastrophe so gefasst um wie die Romoffs. Fährt man mit dem Auto wenige Minuten die Hügel hinunter, durch das, was einmal die Einkaufsstrasse von Pacific Palisades war, kommt man an einem ausgebrannten Kirchturm vorbei, unzähligen schwelenden Ruinen und immer wieder Menschen, die in den Trümmern ihrer Häuser stehen. Manche geben Fernsehinterviews, andere winken nur ab. Sie wollen nicht in Worte fassen, was ihnen hier widerfahren ist.

Doch manche Anwohner hatten auch Glück. In einer Seitenstrasse ein paar Autominuten vom Stadtzentrum entfernt hält ein Kombi vor einem der ganz wenigen Gebäude, die in der Strasse unversehrt geblieben sind: weisser Lattenzaun, Kunstrasen, Palmen, die amerikanische Fahne weht über der Veranda – Amerika wie aus einem Hollywood-Film. Drei Männer mittleren Alters steigen aus dem Auto und blicken sich ungläubig in dem Trümmerfeld der Strasse um. «Wie nach einer Atombombe», murmelt einer, Tränen in den Augen.

Dann rennt einer der Männer in das Haus und beginnt panisch, Fotoalben, Laptops und Kinderspielzeug in den Kofferraum zu packen. Er stellt sich als Matt vor, aber Fragen möchte er jetzt nicht beantworten. «Meine Frau hat mir eine Liste der Dinge gemacht, die ich holen soll», erklärt er kurz, bevor er zurück ins Haus rennt. Warum er so panisch sei? «Noch sind nicht alle Brandherde gelöscht», sagt er, das Sportzentrum um die Ecke brenne noch. Dann ist er wieder im Obergeschoss verschwunden, um ein Wandbild zu suchen, das seiner Frau wichtig sei.

Tatsächlich sind für die kommende Woche erneut starke Winde angekündigt, die das Palisades Fire und die anderen Brände im Los Angeles County weiter verschlimmern könnten. Auch gab es schon Einbrüche in unbeschädigte Häuser, bis Samstag hatte die Polizei in Los Angeles zwanzig Plünderer festgenommen. Und nicht zuletzt drohen der Rauch und giftige Gase wie der Geruch von Pommesfett in alles zu ziehen, was die Flammen überstanden hat.

Kaliforniens Versicherungsmarkt könnte das gleiche Schicksal drohen wie Floridas

Welche Schicksale hinter all den Trümmern stehen, lässt auch ein Gespräch mit Andrew und seiner Frau Leslie erahnen. Ihre Nachnamen wollen auch sie nicht in der Zeitung lesen, ihre Geschichte erzählen sie dennoch. Leslie zog ihre drei Söhne in dem Haus hier in Pacific Palisades auf, durch Schicksalsschläge verlor sie zwei von ihnen in den letzten fünf Jahren. Nun wollten sie das Haus verkaufen, hatten schon einen Käufer gefunden, das Geld war zu Beginn der Woche beim Treuhänder eingegangen.

«Aus dem Grund hatten wir nichts von Wert im Haus, das war Glück», sagt Andrew, Baseballmütze und Sonnenbrille auf dem Kopf. «Aber das Haus selbst war uns wichtig.» Andrew stammt ursprünglich aus Australien, dort wie in Kalifornien kommt es immer wieder zu Waldbränden. «Wir hätten nie gedacht, dass es unser Haus treffen könnte», sagt er. «Das hätte ja bedeutet, dass Tausende Häuser vor uns hätten abbrennen müssen.» Ausserdem sei die lokale Feuerwehr gleich um die Ecke, sagt er und zeigt auf ein Backsteingebäude am Ende der Strasse. «Die haben das Feuer überstanden, aber sie haben keinen Bezirk mehr.»

Er glaubt, dass Kalifornien nun das gleiche Schicksal drohe wie Florida: Teile des Gliedstaats gelten als nicht versicherbar, zu gross ist die Gefahr der alljährlichen Hurricanes, keine private Versicherungsfirma will das Risiko mehr tragen. «Genau das kommt auch auf uns hier zu», glaubt Andrew. Waren sie genügend versichert? Andrew glaubt, dass ja, doch das würden die kommenden Wochen zeigen. Die Streitereien mit den Versicherungen würden schliesslich jetzt erst losgehen.

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