Die SPD-Politikerin verlässt das Amt nach elf Jahren und auf einem Tiefstand der Umfragewerte. Der Arbeitsminister Alexander Schweitzer soll übernehmen. Dreyers Ansehen sank nach der Katastrophe im Ahrtal.

Seit über 33 Jahren regiert in dem südwestdeutschen Bundesland Rheinland-Pfalz die SPD. Auf die Ministerpräsidenten Rudolf Scharping und Kurt Beck folgte Anfang 2013 Marie-Luise Dreyer. Nun hat die in Neustadt an der Weinstrasse geborene Politikerin ihren Rücktritt angekündigt. Nachfolger in der Mainzer Staatskanzlei soll noch vor der Sommerpause Alexander Schweitzer werden, der bisherige Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung.

Dreyer sagte am Mittwoch, sie sei nicht amtsmüde, spüre aber, dass ihr nun manchmal die Energie fehle. Möglicherweise zog sie auch die Konsequenzen aus den auch im Wein- und Rebenland rapide sinkenden Zustimmungswerten für die Sozialdemokratie. Schweitzers Auftrag ist es, bei den Landtagswahlen 2026 die Vorherrschaft der SPD mithilfe des Amtsbonus zu sichern. Es wird ein anspruchsvolles Unterfangen.

Volkstümlich und leutselig

In dem strukturkonservativen, ländlich geprägten Bundesland muss volkstümlich sein, wer regieren will. Kurt Becks politisches Lebensmotto, «nah bei de Leut’», galt und gilt für sämtliche Vorgänger und Nachfolger. Auch die CDU, die vor der Zäsur von 1991 sogar 45 Jahre lang die Geschicke bestimmte, brachte mit Peter Altmaier, Helmut Kohl und Bernhard Vogel ebenso hemdsärmelige wie leutselige Ministerpräsidenten hervor.

Marie-Luise Dreyer stand ihnen in dieser Hinsicht in nichts nach. Auf Winzerfesten war sie ebenso regelmässig anzutreffen wie bei Schulwettbewerben oder Kulturfestivals. Ihre Erkrankung an multipler Sklerose liess sie sich kaum anmerken. Nur selten sah man sie im Rollstuhl.

Dreyers Amtszeit zerfällt in ein Davor und ein Danach, und die Flutkatastrophe im Ahrtal markiert die Grenze. Den Überschwemmungen im Juli 2021 fielen 136 Menschen zum Opfer. Die von der SPD, den Grünen und der FDP gebildete Landesregierung sah sich danach schweren Vorwürfen ausgesetzt. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag vernahm über 200 Zeugen. Der Abschlussbericht soll in diesem August vorliegen und mehr als 2000 Seiten umfassen.

Zahlreiche Experten monieren Mängel im Katastrophenschutz, Fehler in der Meldekette und generell ein ungenügendes politisches Management. Dreyer selbst muss sich vorhalten lassen, in der Flutnacht kurz vor 22 Uhr zu Bett gegangen und danach nicht mehr erreichbar gewesen zu sein. Die damalige grüne Umweltministerin Anne Spiegel trat von ihrem späteren Posten als Bundesfamilienministerin zurück, weil sie unmittelbar nach der Katastrophe für vier Wochen in die Ferien gefahren war und über ihre tatsächliche Präsenz während dieser Phase Unwahrheiten verbreitet hatte.

Auch der sozialdemokratische Innenminister Roger Lewentz musste gehen. Dennoch wählte die rheinland-pfälzische SPD ihn im November 2023 erneut zu ihrem Landesvorsitzenden. Wie die «Rheinpfalz» berichtet, will Lewentz noch in diesem Jahr den Vorsitz niederlegen.

Dreyer war Garantin für zwei hohe Siege

Um Entschuldigung bat Dreyer nie. Zum zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe erklärte sie im Landtag: «Eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle, die zerstört hat, was über Generationen aufgebaut wurde, die hat sich niemand vorstellen können.» Sie werde sich dafür einsetzen, «den Wiederaufbau mit aller Kraft zu unterstützen und den Katastrophen- und Hochwasserschutz neu aufzustellen». Ein Landesamt für den Brand- und Katastrophenschutz soll entstehen. Im Übrigen zeige das Unglück, wie weit der Klimawandel fortgeschritten sei. Von Juli 2021 bis heute brach die Zustimmung für die rheinland-pfälzische SPD in den Umfragen von 38 auf 22 Prozent ein. Bei den Europawahlen Anfang Juni erreichte sie 17,5 Prozent.

Zuvor war Dreyer eine Garantin gewesen für sichere Siege nach einem beeindruckenden Endspurt. Unter ihr gewann die SPD die beiden letzten Landtagswahlen mit jeweils rund 37 Prozent. Zu deutschlandweiter Relevanz stieg die einstige Staatsanwältin auf, als sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 kommissarisch die Bundesvorsitzende der SPD war. In der Corona-Krise kam ihr zupass, dass der Impfstoffhersteller Biontech seinen Sitz in Mainz hat. Er ist neben der in Ludwigshafen beheimateten BASF das wichtigste rheinland-pfälzische Unternehmen.

Insgesamt belegt das Bundesland mit seiner Wirtschaftskraft nur einen Platz im hinteren Mittelfeld. Die Infrastruktur lässt in der Nordpfalz und im Hunsrück zu wünschen übrig. Pirmasens entwickelt sich zum sozialen Brennpunkt und weist eine rekordhohe Pro-Kopf-Verschuldung auf. Der Flughafen Hahn wurde für den Steuerzahler zum Millionengrab.

Die Triumphe der SPD waren auch der Schwäche der CDU geschuldet, die sich zwischen Rhein, Mosel und Nahe als zerstritten und kaum kampagnenfähig präsentierte. Im Jahr 2026 wird voraussichtlich Gordon Schnieder, heute christlichdemokratischer Oppositionsführer im Landtag, den Zwei-Meter-Hünen Schweitzer herausfordern.

Marie-Luise Dreyer wird den Zweikampf vermutlich von ihrer Trierer Wohnung aus verfolgen. Dort könnte sie die Zeit finden, ein weiteres Buch zu schreiben. Der Titel ihrer Veröffentlichung von 2015 bleibt eine lebenslange Herausforderung: «Die Zukunft ist meine Freundin».

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