Mittwoch, Oktober 9

Die peruanische Küche hat in der Welt der Gourmets einen sagenhaften Aufstieg hinter sich. Das hinterlässt auch in Zürich Spuren – besonders herzhaft in der «Chiceria Cantina».

Zu den Vorzügen der Zürcher Gastrolandschaft zählt diese Vielfalt an Küchen auf kleinstem Raum: Hier sind gewiss drei Dutzend Herkunftsländer in einer Nussschale versammelt, aus allen Kontinenten. Es dominieren Europa und Asien, untervertreten ist nebst Australien und Afrika auch Südamerika, wiewohl Peru die Herzen von Gourmets rund um den Globus erobert: Die natürliche Schatzkiste dieses Landes reicht vom Pazifik übers Tiefland Amazoniens bis zu den Höhen der Anden, allein schon die Zahl von dreitausend Kartoffelsorten verschlägt uns die Sprache.

Meine erste Begegnung mit der neuen peruanischen Küche hatte ich vor genau zehn Jahren in Oerlikon – am Rande des Symposiums «Chef-Alps» führte ich mit Virgilio Martinez ein Interview über Tigermilch, Pflanzenvielfalt und Alpaka-Herz. Der damals aufsteigende Stern ist zum Superstar gereift, sein Restaurant Central in Lima stand 2023 auf der vielbeachteten Liste «The World’s 50 Best Restaurants» zuoberst.

Der Siegeszug, zu dem Perus Kochtradition angesetzt hat, macht sich auch in Zürich bemerkbar – nicht nur in Form der bald inflationär angebotenen Ceviche, von denen nur wenige wirklich gelungen sind. Hervorragende erhält man jedoch im «Barranco» am Bullingerplatz, das seit 2018 an der Limmat Pionierarbeit leistet.

Mein Besuch kurz nach der Eröffnung begeisterte mich damals restlos, vom perfekten Pisco sour über sous-vide gegarten Schweinebauch bis zum süssen Traum namens Sueño de Lúcuma, und dies für kaum mehr als 50 Franken pro Person. Seither weiss ich: Würde ich auf eine Insel verbannt und dürfte mir dort nur eine Länderküche wünschen, die peruanische stünde weit oben auf der Liste.

Inzwischen hat auch «Gault-Millau» das «Barranco» entdeckt (15 Punkte), was sich dezent in den Preisen niederschlägt (oder umgekehrt). Nun aber hat das Team um die Gründerin Christina Tobler Orbegoso mit peruanischen Wurzeln und den in Spanien ausgebildeten Küchenchef José Severino einen schlichten Ableger bei der Kalkbreite eröffnet: Die «Cantina» ist inspiriert vom einfachen Angebot der Chicherias, den Pubs der Anden sozusagen. Die Wände des Lokals sind weitgehend kahl, leicht versteckt blüht ein buntes Graffito, das Interieur ist jung und modern, das Publikum auch. Bei voll besetzten Tischen wird’s laut, trotz schalldämmenden Elementen unter den Holzstühlen.

In der winzigen offenen Küche wirbeln bei unserem Besuch zehn Hände, ein wohlgelaunter Peruaner bringt zunächst einen Negroni Limeño (Fr. 16.–), eine hinreissende Spielart des Klassikers: Der Pisco ersetzt den Gin, Bitterorange den Campari, Kaffir-Limette bringt die exotische Note ein. Als Vorspeise kommen knusprige Kroketten (Fr. 13.–), gefüllt mit den auch in Asien beliebten Tapioka-Perlen aus Maniokwurzeln und gekrönt von einem Tupfer Konfitüre aus dem fruchtig-milden Rocoto-Chili.

Beim Wolfsbarsch-Ceviche (Fr. 27.–) mit knusprigem Mais und Kapuzinerblüten, auch fürs Auge gefällig, passt alles. Das Geheimnis dieser Spezialität liegt ja in der «Tigermilch», und für die wird keine Raubkatze gemolken: Die Säure des Limettensafts, ergänzt um Koriander, Zwiebeln, Chili, lässt den rohen Fisch garen. Sofern dessen Qualität stimmt, lässt sich übrigens daheim gut auch mit einheimischen Arten und dieser Zubereitungsart experimentieren.

An diesem Abend soll auch etwas Herz im Spiel sein, weder vom Rentier wie in Skandinavien noch vom Alpaka, sondern vom Rind (Fr. 20.–): Die grillierten Würfel sind von überaus geschmeidiger Textur, eine dem Gaumen schmeichelnde Mischung aus Leber, Zunge und Filet. Dazu gibt’s feine Bratkartoffeln und mildes Chimichurri, das auch grillierten wilden Broccoli (Fr. 10.–) begleitet. Optisch und geschmacklich am wenigsten herzugeben scheint uns das Nationalgericht Ají de Gallina (Fr. 30.–) , ein fern an Riz Casimir erinnerndes Hühnerfrikassee.

Dafür hat’s das Dessert wieder in sich. Tres Leches Lúcuma (Fr. 15.–) vereint eine Art süssliche Tigermilch mit caramelisierter Brioche und zartschmelzendem Eis aus der Lúcuma-Frucht und stützt unser Fazit: Das Spiel mit Umami und Texturen ist hier nicht ganz so raffiniert wie im nahen Mutterlokal, aber ein Besuch hebt die Laune ebenso.

Und er ruft in Erinnerung, was der Spitzenkoch Virgilio Martinez mir damals erklärte: In Brasilien und Argentinien bewege sich alles um den Fussball, in Kolumbien um Tanz, in Peru aber ums Kochen und Essen. Jeder Taxifahrer wisse Bescheid über Restaurants und Rezepte, Kinder träumten von Küchen- statt von Sportkarrieren.

Chicheria Cantina
Köchlistrasse 35, 8004 Zürich
Montags geschlossen.
Telefon 044 302 42 42.

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

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