Samstag, November 30

Zweimal hat das Schweizer Projekt den prestigeträchtigen Pokal geholt. In Barcelona tritt Alinghi mit einer jungen, einheimischen Crew an – und der Formel-1-Technologie von Red Bull.

Zwanzig Jahre ist es her, dass der Name Alinghi die Segelwelt verzaubert hat. 2003 in Auckland als Herausforderer und 2007 in Valencia als Defender schlug das Genfer Syndikat zweimal die Neuseeländer. Die Schweizer gewannen und verteidigten die älteste Sporttrophäe der Welt. Und sie schrieben Sportgeschichte: Erstmals in der heute 173 Jahre alten Historie kam die Silberkanne nach Europa.

Jetzt will der Alinghi-Besitzer Ernesto Bertarelli erneut um den America’s Cup segeln und zum dritten Mal die Neuseeländer schlagen. Doch der Weg dorthin ist lang und beschwerlich: Wie im Jahr 2000 ist Alinghi wieder einer von fünf Herausforderern, die es in langen und schweren Rennserien zu schlagen gilt.

Kenterung und Mastbruch im Training

Bertarellis Alinghi von einst ist nicht mehr das Alinghi von heute. Mit Red Bull ist ein Partner an Bord gekommen, der nicht nur die Hälfte der Kosten trägt, sondern beim Bau des Cup-Bootes AC75 in Sachen Aerodynamik neue Akzente gesetzt hat. Denn die neuen Cup-Boote segeln nicht mehr, sie fliegen über das Wasser, und sie sind dank den Foils vier Mal so schnell wie vor zwanzig Jahren. Beim Bau der foilenden Cup-Boote spielt die Aerodynamik eine entscheidende Rolle. Sie werden voraussichtlich gegen 100 km/h schnell sein und möglicherweise diese magische Marke sogar übertreffen. Ebenfalls exorbitant sind die Kosten: Jede Kampagne der vier grossen Challenger, Alinghi, Grossbritannien, USA und Italien, dürfte die 100-Millionen-Euro-Grenze sprengen.

Neu ist auch, dass wegen der Nationalitätenklausel diesmal nur Schweizer das «Boat One» segeln dürfen. Den beiden Cup-Siegen von Alinghi haftete der Makel an, dass damals auf dem Boot praktisch nur Ausländer, vorwiegend Neuseeländer, als Söldner eingesetzt wurden. Das ist jetzt anders, die Neuseeländer, als Verteidiger des Cups zuständig für die Ausarbeitung des aktuellen Protokolls, wollten verhindern, dass ihre Segler erneut abgeworben werden.

Nun dürfen die Teams nur noch nationale Segler engagieren. Damit ist Alinghi zwar nicht mehr dem Namen nach, aber zumindest auf dem Boot eine rein schweizerische Angelegenheit. «Die Nationalitätenklausel ist für uns keine Bremse. Es gibt in der Schweiz genügend Segelkompetenz, um den Cup zu gewinnen», sagt Bertarelli.

Um den Skipper und Steuermann Arnaud Psarofaghis baute Alinghi eine junge Segel-Crew auf, die sich in der Vergangenheit in verschiedenen Segelklassen bewährt hat. Das Team der Segler ist klein, da die Hälfte der achtköpfigen Crew aus Athleten besteht, die aus anderen Sportarten (Rudern, Velo und Leichtathletik) kommen. Diese sogenannte Power-Group hat auf dem Racer die Aufgabe, auf Velos die notwendige Energie zu erzeugen, die für den Betrieb des Bootes im Rennmodus nötig ist, vor allem für das schnelle Bewegen der grossen und schweren Foils.

Die Alinghi-Segler sind in Barcelona durch ein Stahlbad gegangen. Während zweier Jahre wurden vor Barcelona viele Trainingseinheiten absolviert, auf dem Testboot AC40, dem von Neuseeland gekauften AC75 der ersten Generation und schliesslich seit Mai auf dem in der Schweiz gebauten «Boat One» für den Cup. Verschiedene Coachs, unter ihnen auch der Neuseeländer und vielfache Cup-Segler Dean Barker, betreuten die Schweizer. Diese mussten auf den Test-, Probe- und Trainingsfahrten diverse Probleme bewältigen, darunter eine Kenterung und einen Mastbruch.

Die grosse Frage aber bleibt, ob die Schweizer, alle sind Cup-Neulinge, gegen die erfahrenen Segler von den drei Teams England, Italien und USA mit den berühmten und erfahrenen Cup-Seglern Jimmy Spithill, Ben Ainslie und Tom Slingsby, die am letzten Cup teilgenommen haben, in der Vorrunde bestehen können.

Alinghis Stärke und gleichsam die Grundlage der vergangenen Erfolge ist die Fähigkeit, eine komplexe America’s-Cup-Kampagne zu führen. Dem Eigner Ernesto Bertarelli, nach wie vor der Kopf des Teams, wird die Fähigkeit nachgesagt, gute Leute zusammenzubringen. In diesem Bereich hat Alinghi in der Vergangenheit kaum Fehler gemacht. Und es macht den Anschein, dass auch diesmal viele richtige und möglicherweise wegweisende Entscheide getroffen wurden.

Das Engagement des erfahrenen Chefdesigners Marcelino Botin aus Spanien könnte ein Glücksgriff gewesen sein. Als erster Herausforderer hat Alinghi bereits vor zwei Jahren die Basis in Barcelona bezogen, die im Port Vell an bester Lage liegt. Die Crew weist mit Abstand die grösste Segelzeit in den Gewässern vor der katalanischen Stadt auf, was bei den komplexen Wind- und Wellenverhältnissen ein Vorteil ist. Mit dem Kauf des neuseeländischen Trainingsbootes von 2021 erhielten die Schweizer die beste Referenzgrundlage für die Entwicklung des neuen Cup-Bootes. Und sie haben mit Red Bull den Zugang zum Design-Team des momentan besten Formel-1-Rennstalls erhalten.

Alinghi hat wiederholt auf die enge und gute Zusammenarbeit mit den Formel-1-Ingenieuren hingewiesen. Sie und die Aerodynamiker seien mit vielen Ideen gekommen und hätten das Team stark gefordert, hiess es. Zitiert wurde auch Rob Gray, der Technische Direktor der Red Bull Advanced Technologies. «Wir waren überrascht, wie wichtig die Aerodynamik ist, wir gingen davon aus, dass es bei den Booten vor allem um die Hydrodynamik ging. Aber die Boote haben so wenig Kontakt mit dem Wasser, dass die Aero sehr wichtig wurde.»

Die Kooperation mit den Ingenieuren und Technikern des Autorennstalles hat möglicherweise dazu geführt, dass Alinghi Red Bull Racing mit einem nach Meinung von Experten radikalen und aggressiven Bootsdesign überraschte. Wie auch das AC75 der Amerikaner gilt der Schweizer Entwurf als extrem. Sein besonderes Merkmal: der markante Rumpf und das scharfkantige Aussehen. Und was noch auffällt: die deutliche Verbreiterung des Decks vor dem Bug. Sie soll die Lösung für die erwarteten welligen Bedingungen in Barcelona sein und den superschnellen Flug fördern. Bertarellis Losung, im Design an die Grenzen zu gehen, wurde offenbar umgesetzt.

In der Vorregatta gegen Frankreich

Möglicherweise hat beim Entwurf der Gedanke eine Rolle gespielt, dem jungen Schweizer Team das schnellstmögliche Boot zur Verfügung zu stellen. Die Segler der sogenannten Drive-Group haben alle Erfahrungen im Foiling, doch die Frage wird sein, wie sie mit dem Druck und der Atmosphäre, die bei den Cup-Rennen herrschen, umgehen. Die Schweizer haben insofern Glück, als sie bei der nächste Woche beginnenden Vorregatta – sie ist ein Testlauf und zählt nicht für den Cup – sowie beim Start zur Round Robin eins Ende August zweimal auf Frankreich treffen, das als schwächstes Team der fünf Challenger eingestuft wird. So haben sie die Möglichkeit, entsprechendes Selbstvertrauen aufzubauen.

Alinghis viertes Cup-Abenteuer ist, wie vor fast einem Vierteljahrhundert in Auckland, ein Flug in die Ungewissheit. Alles kann passieren: Alinghis junge Crew wächst über sich hinaus und kann den Cracks der grossen Teams auf dem Wasser Paroli bieten. Das Design des «Boat One» kann sich als revolutionär entpuppen, die Schweizer fahren der Konkurrenz davon und schaffen den Einzug in den Cup-Final, wo der Defender Neuseeland wartet.

Es kann aber auch sein, dass Alinghi in der Vorphase des Cups hängenbleibt. Das Gesetz des America’s Cup, das anlässlich der ersten Regatta 1851 mit dem berühmten Satz «There is no second» festgelegt wurde, ist unerbittlich: Es gibt nur einen Sieger, der Zweite zählt nichts. Und von den andern spricht sowieso niemand.

Ein Artikel aus der «»

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