Statt den Fehler zu beheben, hatte der Leiter eine interne Checkliste erstellt.
Es ist 12 Uhr 18 am 30. November 2019, als der Fluglehrer ein Ruckeln im Kleinflugzeug wahrnimmt. Vor zwanzig Minuten ist er mit einem 31 Jahre alten Schüler von einem Flugplatz im Kanton Zürich zu einem Übungsflug gestartet.
Der 39-jährige Lehrer glaubt, sein Schüler habe einen Fehler gemacht. Er überprüft die Bedienelemente des Motors, übernimmt das Steuer und dreht das Kleinflugzeug Richtung Startplatz. Dann geht es schnell. Der Motor fällt aus, der Propeller bleibt stehen. Der Lehrer versucht erfolglos, den Motor wieder zu starten – und muss eine Notlandung einleiten.
Zwei Minuten, nachdem der Lehrer das Ruckeln wahrgenommen hat, schlägt der Flieger hart auf einer Wiese in der Nähe von Gossau auf. Sowohl der Lehrer als auch sein Schüler können das Flugzeug verlassen. Der Flieger wird beim Aufprall stark beschädigt. So ist es später im Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) festgehalten. Das Spital stellt beim Flugschüler ein Beschleunigungstrauma fest.
Über fünf Jahre nach dem Absturz steht der Leiter der Flugschule, der das Flugzeug gehörte, vor dem Bezirksgericht Pfäffikon. Denn der Bericht zum Unfall dokumentiert, dass die elektrische Tankanzeige des Kleinflugzeugs mit Jahrgang 1957 seit längerem defekt war – und der Leiter davon wusste.
Nach dem Unfall stellte sich ausserdem heraus, dass bei einer Instandsetzung des Flugzeugs mit zwei Benzintanks ein Tankventil falsch montiert worden war. Das ist deshalb gefährlich, weil Piloten bei diesem Flugzeugtypus wählen, mit welchem Tank sie den Motor versorgen. Beim Unfall in Pfäffikon glaubten Schüler und Lehrer, beim Start des Fliegers den vorderen Tank angewählt zu haben. Tatsächlich war es der hintere Tank, der sich leerte. Gemäss Sust führten die fehlerhafte Montage des Ventils und die kaputte Tankanzeige zum Unfall.
Für die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland ist klar: Der Beschuldigte wusste von der kaputten Anzeige. Er schuf damit eine Gefahr für den öffentlichen Luftverkehr sowie für Leib und Leben der beiden Männer, die im Unfallflugzeug sassen. Er wird der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs und der fahrlässigen einfachen Körperverletzung angeklagt.
Der Leiter der Flugschule ist in der Szene bekannt und arbeitet hauptberuflich als Linienpilot. Seit vierzig Jahren fliege er unfallfrei und sei nicht vorbestraft, erzählt er am Freitag vor Gericht. Er gibt zu, schon Monate vor dem Unfall von der defekten Tankanzeige gewusst zu haben. Doch er habe sämtliche Angestellten, die mit dem Kleinflugzeug zu tun gehabt hätten, per E-Mail darüber informiert. Und alle hätten den Erhalt der E-Mail quittiert.
Ob er den Defekt der Werkstatt gemeldet habe, will die Einzelrichterin wissen. «Selbstverständlich», sagt der Beschuldigte. Doch für das 62-jährige Flugzeug habe es keine Ersatzteile gegeben. Die Tanks hingegen seien sehr gut einsehbar. Er habe deshalb eine Checkliste erstellt und eine visuelle Kontrolle angeordnet.
«Die Devise lautete: Wer die Tanks nicht selbst befüllt hat, muss sie als leer betrachten», sagt er. «Alle Piloten haben sich daran gehalten – bis auf den letzten.» Dieser hatte auf eine Betankung verzichtet.
Auf die Frage, warum er das Kleinflugzeug trotz bekanntem Defekt weiterhin zur Verfügung gestellt hat, antwortet der Beschuldigte: «Es gab einen sicheren Plan B, die Tankkontrolle.»
Er ist überzeugt, dass der Unfall nicht passiert wäre, wenn sich die beiden Piloten an die Checkliste gehalten und die Tanks kontrolliert hätten. Bei der letzten Inspektion des Flugzeugs im September 2019, also zwei Monate vor dem Unfall, habe es keine Beanstandungen gegeben.
«Du bist eine Gefahr für Dein Umfeld»
Der Pilot steht nicht allein wegen der defekten Tankanzeige vor Gericht – sondern auch wegen eines Briefs und zwei E-Mails, die er nach einem Streit mit einem langjährigen Angestellten der Flugschule geschrieben hatte. Dieser hatte ihn nach der Kündigung durch die Schule mit offenen Lohnforderungen konfrontiert.
Im Juni 2023 schrieb der Beschuldigte seinem früheren Mitarbeiter und Freund unter anderem: «Ich würde mir sehr gut überlegen, ob Du uns weiter mit unhaltbaren Forderungen und mit eingeschriebenen Briefen beschäftigen willst.» Und: «Du bist eine Gefahr für Dein Umfeld, kaum kleiner als Lubitz es war.»
Damit spielte er auf den deutschen Piloten an, der 2015 in den französischen Alpen ein Passagierflugzeug absichtlich zum Absturz brachte. Alle 150 Personen an Bord wurden dabei getötet.
In einer weiteren E-Mail an einen Fluglehrer schrieb der Beschuldigte über seinen ehemaligen Mitarbeiter, dieser habe versucht, das Schweizer Rechtssystem zu umgehen, indem er sich seinen Lohn bar habe auszahlen lassen wollen und in einer Flug-Software eine zweite Identität habe ausstellen lassen.
Und in einer dritten E-Mail, ebenfalls an einen Fluglehrer, bezeichnete der Beschuldigte seinen ehemaligen Kollegen als «Psycho». Die Staatsanwaltschaft will ihn deshalb wegen versuchter Nötigung, mehrfacher Beschimpfung und übler Nachrede verurteilen.
Zu dem Brief und den E-Mails sagt der Flugschulleiter, er würde diese heute nicht mehr so formulieren. Er habe sie im Affekt nach einem Streit geschrieben. «Es tut mir leid.»
Der ehemalige Mitarbeiter ist zusammen mit seinem Anwalt zur Verhandlung erschienen. Dieser sagt zur Richterin, der Beschuldigte habe ihn vor anderen potenziellen Arbeitgebern schlechtmachen und dafür sorgen wollen, dass er keine Anstellung mehr finde. Im Affekt habe der Beschuldigte nicht gehandelt. Er habe sich hingesetzt und geschrieben. «Das ist ganz bewusst passiert.» Die Mails hätten das Ziel erreicht, sein Mandant sei nicht angestellt worden.
Die Staatsanwaltschaft fordert für den Beschuldigten insgesamt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 110 Franken, aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, dazu 2000 Franken Busse. Der Verteidiger hingegen verlangt, dass der Mann mehrheitlich von den Vorwürfen freigesprochen werden soll. Einzig für die Beschimpfung sei eine «symbolische» Geldstrafe zu sprechen.
Richterin sieht keine Pflichtverletzung
Für den Leiter der Flugschule dürfte ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs Folgen haben. Doch die Richterin spricht ihn frei. «Wir sehen keine Pflichtverletzung», sagt sie. Alle Mitarbeitenden seien per E-Mail über die defekte Tankanzeige informiert worden und hätten sich an die Checkliste halten müssen. Einen Freispruch gibt es auch vom Vorwurf der einfachen fahrlässigen Körperverletzung.
Hingegen wird er der versuchten Nötigung, der üblen Nachrede und der mehrfachen Beschimpfung schuldig gesprochen. Die Richterin verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen à 150 Franken, aufgeschoben bei einer zweijährigen Probezeit. Dazu muss er 800 Franken Busse zahlen – «als Denkzettel», wie es die Richterin formuliert.
Der Mann nimmt das Urteil reglos zur Kenntnis und verlässt zusammen mit seinem Verteidiger und dem Sohn rasch das Gericht. In das Unfallflugzeug wird sich niemand mehr setzen – laut dem Piloten gibt es dieses nicht mehr.