Sonntag, September 29

1994 machte sich Georges Bregy mit seinem Freistosstor im Silverdome von Detroit gegen die USA unsterblich, es ist der mystischste Treffer der Nationalmannschaftsgeschichte. Besuch bei einem Star aus einer anderen Zeit.

Es gibt in der Geschichte der Schweizer Fussballnationalmannschaft kein berauschenderes Tor als diesen direkt verwandelten Freistoss von Georges Bregy, mit dem er am 18. Juni 1994 in der WM-Auftaktpartie aus 17 Metern mitten ins amerikanische Herz traf. 28 Jahre lang hatte die Schweiz keinen WM-Treffer mehr erzielt. Dann kam Bregy, ein schon damals leicht angejahrter 36-Jähriger mit einem Flair für Standards. Und machte sich mit zwei, drei Metern Anlauf über Nacht unsterblich.

30 Jahre ist das her, Bregy hat die Entstehungsgeschichte seines Geniestreichs tausendmal erzählt, mindestens. Wie er 1992 das Aufgebot zu Hause am Schnurtelefon für einen Jux hielt, weil er sich das nicht vorstellen konnte: dass der Trainer Roy Hodgson ihn nominiert, einen 34-Jährigen im Spätherbst der Karriere, der fünf Jahre lang nicht mehr berücksichtigt worden war. Und wie er dann aber half, den unter Beschuss stehenden Briten im Amt zu halten, ehe er das Turnier seines Lebens spielte.

66 ist Bregy inzwischen, aber eigentlich sieht er immer noch gleich aus, vom etwas ergrauten Schnauz abgesehen; das spitzbübische Grinsen hat er sich bewahrt. Er sitzt in Thalwil am Küchentisch, er hat zum Gespräch zu sich nach Hause eingeladen, ins Vorstadtidyll mit Blick auf den Zürichsee. Das ist bezeichnend: Man findet ihn im Telefonbuch (* wünscht keine Werbung); er führt ein sehr normales, ausgesprochen schweizerisches Leben. Er hat sich nie die Wichtigkeit der heutigen Fussballergeneration gegeben, deren Vertreter sich schon dann abschotten, wenn sie im FC Luzern Woche für Woche ins Nirgendwo flanken.

Georges Bregy Goal - World Cup 1994 - Group A | USA - Switzerland 1:1 | 39'

Bregys Zugänglichkeit ist ein nicht unwesentlicher Teil seines Mythos. Er stammt aus einer Zeit, in der Fussball Volkssport war und die Spieler nicht von der Realität abgekapselt waren. Eher wird die Schweiz Europameister, als dass man Bregy hinter dem Steuer eines Lamborghini sieht.

In Sitten verdiente Bregy 1500 Franken – und arbeitete daneben als Autoelektriker

Im FC Sion, seiner ersten Station im Profifussball, verdiente Bregy 1500 Franken und arbeitete tagsüber als Autoelektriker. Schon damals übte er nach den Trainings Standards, so lange, bis er «ein Kanonenrohr von einem Schuss» hatte, so formuliert er es. Sein ganzes Fussballerleben lang blieb er nebenbei berufstätig. Das gab und gibt ihm eine gewisse Erdung, die ankommt; sie zeichnet das Bild eines Fussballstars, den man im karierten Hemd an der Minigolfanlage treffen könnte und danach in der Gartenwirtschaft bei einer Coupe Romanoff.

Wahrscheinlich gibt es nicht viele Länder, in denen das so gut ankommt wie in der Schweiz. Wie zum Dank singen die Anhänger des Nationalteams in den Fanzonen, Stadien und Bars dieser Welt nach dem dritten Bier entrückt: «Es gibt nur einen Georges Bregy!», was übrigens stimmt, wenn man dem Telefonbuch glauben darf. Der lächelt geschmeichelt und sagt: «Darauf darf man schon ein kleines bisschen stolz sein. Dass sich die Leute immer noch an mich und diesen Treffer erinnern. Es hat unterdessen ja viel bessere Fussballer gegeben als mich.»

Und wahrscheinlich half es auch, dass Bregy die Karriere nach dem verlorenen Achtelfinal gegen Spanien beendete, obwohl ihn mehrere Vereine bezirzten. Gilbert Facchinetti, der rührige Patron von Xamax, beschied ihm, er könne den Lohn selber bestimmen. Doch Bregy fürchtete sich davor, auf der Ersatzbank zu enden. Und nach den rauschhaften Wochen in den USA, wo er neugierig aus dem Fenster lugte, als eine riesige Polizeieskorte den Teamcar in Washington am Weissen Haus vorbeischleuste, sagte er sich: Schöner wird es nicht mehr.

Die Legende Bregys mag auch das Produkt einer vergangenen Zeit sein: eine Epoche, in der es noch keine fussballtechnische Übersättigung gab. Und sich die Familien zu Hause wie selbstverständlich vor einem flimmernden Röhrenbildschirm versammelten um mitzufiebern. Bregy ist eine Reminiszenz an diese Ära, die Erinnerung wird sorgfältig gepflegt, was im Schweizer Sport selten ist: Ein Sponsor des Verbands sorgt dafür, dass Bregys Leibchen und sein Schuh von damals an jedes Heimspiel der Nationalmannschaft gekarrt werden.

Es sind Leihgaben aus dem Fundus Bregys, wobei er sich von den Schuhen bestimmt leichter trennen könnte als vom Trikot: Mit den Produkten des damaligen Ausrüsters Lotto wurde er nie richtig warm. Es kam vor, dass er fürs Training seine Puma-Schuhe zu Hause übermalte und dann einfach das Lotto-Logo aufklebte, damit es nicht auffällt.

Die unverhofft gewonnene Popularität, sagt Bregy, habe ihn nie gestört. Maximal in seiner Tätigkeit als Versicherungsberater, weil es Leute gab, die dachten, er lebe von seinem Namen und kenne sich mit der Materie nicht aus. Obwohl er doch schon als Fussballer ziemlich genau so aussah, wie man sich kleinbürgerliche Seriosität vorstellt. Bregy sagt, es freue ihn jedes Mal aufs Neue, wenn er bei jemandem, der ihn unterschätze, mit Fachwissen punkten könne.

Über seine Karriere als Profitrainer sagt Bregy: «Ich war eine lebende Leiche»

Und daneben war sein Bekanntheitsgrad ganz gut fürs Geschäft. Es gibt im Land nur noch wenige Mehrzweckhallen, in denen er nicht für Firmen oder Vereine einen Vortrag gehalten hat.

Die Freude am Fussball hat er in all den Jahren nur einmal verloren: am Ende seiner kurzen Karriere als Profitrainer, die 2003 mit einer Entlassung im FC Zürich endete. Der Druck machte ihm so sehr zu schaffen, dass er kurz vor einem Burnout stand: «Ich war eine lebende Leiche», sagt Bregy heute. Und tatsächlich wurde er medial hart angegangen. Die NZZ schrieb vom «Fabulierer aus dem Wallis», der «weder Persönlichkeit ausstrahlt noch über überdurchschnittliche Qualitäten als Ausbildner verfügt».

Bregy wich in den Amateurbereich aus, er betreute unter anderem Stäfa, wo sein Sohn Nicolas spielte. Im Feierabendfussball fand er seinen Frieden, Bregy sagt: «Es ist der unschuldigere Fussball. Dort ist aktiv, wer wirklich Spass an diesem Sport hat. Mir hat das sehr gefallen.»

Heute verfolgt er den Fussball aus einer Halbdistanz, für den Bezahlsender Blue wirkt er als TV-Experte. Er sagt, er sei stark auf Sachlichkeit bedacht, weil ihn das selbst immer irritiert habe, wenn Besserwisser per Fernglas über seine Arbeit als Trainer geurteilt hätten. Im November wird er als Versicherungsberater in Pension gehen, er freue sich, mehr Zeit für die Grosskinder zu haben. Als Schweizer Fussballheiligtum aber hat er auch drei Jahrzehnte nach dem Karriereende nicht ausgedient.

Exit mobile version