Freitag, Oktober 4

Hinweise aus der Fussballszene lassen darauf schliessen, dass gewaltbereite Ultras auch vor Angriffen auf Väter mit Kindern nicht zurückschrecken.

Sonntagnachmittag gegen halb vier, bei der Bäckeranlage in Zürich fährt ein Einsatzwagen der Stadtpolizei vor. Die Polizisten steigen aus, sprechen mit einem Mann von ungefähr vierzig, fünfzig Jahren. Er sieht ziemlich mitgenommen aus, trägt ein Trikot des Grasshopper-Clubs, ist blutverschmiert. Das berichten mehrere Augenzeugen gegenüber der NZZ.

Laut weiteren Beobachtern der Szene soll der Mann Platzwunden im Gesicht und am Auge davongetragen haben. In einem Whatsapp-Chat von GC-Fans wird später die Nachricht die Runde machen, dass der Mann eine Orbitabodenfraktur erlitten habe, also einen Bruch des unteren Teils der Augenhöhle.

Die Grasshoppers spielen an diesem Nachmittag im Letzigrund gegen den Abstieg aus der Super League. Gegner ist der FC Thun. Das ist nicht unbedingt das, was man sich als Risikospiel wie GC gegen FC Zürich oder FCZ gegen Basel vorstellen würde, wenn rivalisierende Fangruppen aufeinandertreffen.

Was ist passiert – haben gewaltbereite Fussballfans erneut zugeschlagen?

GC schreibt von mehreren Angriffen

Darauf zumindest lassen weitere Informationen aus dem Umfeld von GC-Anhängern schliessen. Ein anonymer Insider schreibt der Redaktion, dass es sich bei den Angreifern bei der Bäckeranlage um drei FCZ-Fans gehandelt habe. Die Stadtpolizei kann dies auf Anfrage nicht bestätigen. Nur so viel: Die Einsatzkräfte seien ausgerückt, da der Polizei ein Streit unter mehreren Personen gemeldet worden sei. Bei der Bäckeranlage habe man dann einen Mann angetroffen, der im Gesicht geblutet und ein GC-Trikot getragen habe.

«Der Mann bestätigte, dass er eine Auseinandersetzung mit anderen gehabt habe. Mit wem genau, wollte er nicht sagen. Eine Anzeige wollte er nicht einreichen, auch auf mehrmaliges Nachfragen nicht», sagte ein Sprecher der Stadtpolizei gegenüber der NZZ. Die angeblichen Angreifer hatten sich beim Eintreffen der Polizisten längst aus dem Staub gemacht.

Dennoch gibt es Hinweise, die dafür sprechen, dass der GC-Anhänger bei der Bäckeranlage tatsächlich von gewaltbereiten FCZ-Fans attackiert worden ist. So sollen am Sonntag laut Quellen der NZZ weitere Anhänger der Grasshoppers von FCZ-Schlägern tätlich angegriffen worden sein, und zwar beim Einkaufszentrum Letzipark und auf der Hardbrücke. Beim Letzipark soll das Opfer ein Familienvater mit Kind gewesen sein. Drei Orte, drei Angriffe, das könne kein Zufall sein.

Am Abend schreibt der Grasshopper-Club in einem Statement, dass man Kenntnis habe «von den gestrigen Vorfällen». Man stehe in Kontakt mit den Betroffenen. GC verurteile «jegliche Form von Gewalt gegen seine Fans aufs Schärfste».

Für Kenner der Szene ist das Muster vom Sonntag in Zürich nichts Neues: Gewalttätige FCZ-Ultras würden genau beobachten, wo sich Anhänger der Grasshoppers gerade aufhielten, und schritten dann zur Tat. Selbst vor Angriffen auf Familien mit Kindern schreckten sie nicht zurück.

Ultras gegen Ultras: Das reicht vielen Ultras nicht mehr

Der Soziologe und Sicherheitsberater Maurice Illi sieht die Tendenz, dass sich ein Teil der FCZ-Ultras in den letzten Jahren radikalisiert habe. Diese Gruppe agiere extremistisch und militant und schrecke vor Aktionen gegen unbeteiligte Gruppen oder Polizisten nicht zurück. In einem Interview mit der NZZ sagte Illi im vergangenen Jahr: «GC-Sympathisanten können sich in Zürich nicht mehr sicher fühlen. Wer mit Hopper-Shirt durch die Stadt geht, braucht ein gesundes Selbstbewusstsein.»

FCZ-Slogans wie «Eine Stadt, ein Verein» oder «Züri isch ois» sieht der Experte kritisch. Solche absoluten Slogans würden einen Teil der FCZ-Ultras in ihrem Denken bestätigen: «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.» Für einen anderen Verein als den FCZ gibt es in Zürich demnach keinen Platz. Diese Strategie scheint aufzugehen. Ein Insider der Grasshoppers sagt: «Viele Familien haben Angst, mit GC-Trikots oder -Schals zum Stadion zu gehen.»

Die Angriffe vom Sonntag reihen sich ein in eine bedenkliche Entwicklung. Gewaltbereite Fussballfans nehmen längst nicht nur ihre direkten Kontrahenten ins Visier: Ultras gegen Ultras, das reicht dem harten Kern der gewaltbereiten FCZ-Anhänger offenbar nicht mehr. Sie wollen auch unter gewöhnlichen Fans des verhassten Grasshopper-Clubs Angst und Schrecken verbreiten. Dies zeigen mehrere Vorfälle aus den vergangenen Jahren.

Züri-Fäscht 2023. FCZ-Fans überfallen am Volksfest einen Stand des Stadtrivalen GC. Zum Zeitpunkt des Angriffs am späten Nachmittag halten sich dort auch viele Familien auf. Die Anwesenden werden von den Angreifern mit Pfefferspray attackiert. In der Nacht kommen die Ultras zurück und verwüsten den Stand. Bänke und Tische fliegen durch die Luft.

Urdorf 2022. GC-Fans sind nach einem Cup-Spiel in Wettswil am Albis auf der Rückreise, als ihr Zug von Ultras des FC Zürich in Urdorf plötzlich gestoppt wird. Die FCZ-Schläger ziehen die Notbremse und attackieren die gegnerischen Anhänger; es gibt fünf Verletzte. Zeugen berichten von Reizgas, die Angreifer hinterlassen eine Spur der Verwüstung.

Mit Gewalt – und mit Gratisfussbällen

Der Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt wird neuerdings auch mit subtilen Mitteln geführt. So sollen bereits die Kleinsten von der Überlegenheit des FC Zürich überzeugt werden, wie eine ungewöhnliche Aktion vor kurzem zeigte. In einem gross angelegten Schulbesuch machten FCZ-Ultras Werbung in eigener Sache. Junge Männer verteilten auf Pausenplätzen rund tausend Fussbälle, auf denen das Logo der Südkurve aufgedruckt war. Laut einem Bericht von «Inside Paradeplatz» waren rund siebzig Stadtzürcher Primarschulen Ziel dieser Guerilla-Aktion.

Bei vielen Lehrerinnen und Lehrern und den Schulleitungen kam das gar nicht gut an. Die Präsidentin des Schulkreises Waidberg verwies gegenüber den Tamedia-Zeitungen auf das Logo der Südkurve, eine aufgestreckte Faust, und sagte: «Solche Zeichen der Gewalt wollen wir nicht an unseren Schulen.» Auch beim städtischen Schul- und Sportdepartement war man nicht erfreut. «So etwas hat es noch nie gegeben. Das darf nicht vorkommen», sagte der zuständige Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP). Auf Strafanzeigen verzichtete die Stadt allerdings.

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