Mittwoch, März 19

Die Attacke bei der Bäckeranlage ist kein Einzelfall. Anhänger der Grasshoppers müssen seit Jahren damit rechnen, von FCZ-Schlägern angegriffen zu werden.

Am Bahnhof Oerlikon oder Altstetten kann es schnell bedrohlich werden: wenn Anhänger des Grasshopper-Clubs aus dem Zug steigen und auf dem Perron von zwei Seiten von gewaltbereiten Fans des FC Zürich in die Zange genommen werden. Ein GC-Fan sagt im Gespräch mit der NZZ: «Das passiert an vielen Bahnhöfen, auch wenn der FCZ kein Spiel hat.» Er selbst hatte Glück. Bei ihm waren zufällig zwei Securitas-Mitarbeiter in Sichtweite. Die FCZ-Schläger hielten sich zurück, der GC-Supporter konnte an ihnen vorbeirennen und so entkommen.

Seinen Namen will der Mann auf keinen Fall in der Zeitung lesen. «Das wäre viel zu gefährlich für mich», sagt er.

Der Fan erzählt auch von einem anderen Erlebnis. An einer VBZ-Station in einem ruhigen Wohnquartier warten zwei jugendliche GC-Fans auf den Bus. Auf der anderen Strassenseite stehen zwei junge Männer. Sie mustern die beiden Jugendlichen, gehen auf sie zu – und prügeln auf sie ein. Der GC-Mann beobachtet die Attacke und geht dazwischen. Bilanz des Angriffs: eine gebrochene Nase, eine kaputte Zahnspange.

Der GC-Fan sagt zur NZZ: «In jeder anderen Stadt in der Schweiz kann man ohne Bedenken ein GC-Trikot tragen.» In Basel werde man rasch darauf hingewiesen, die Jacke über dem Leibchen zuzumachen. Aber dann sei es gut. «In Zürich hingegen bekommt man eine Faust ins Gesicht.»

Tatsächlich geraten GC-Anhänger immer wieder unter die Räder. Ende Mai wurde ein Mann im GC-Trikot bei der Bäckeranlage verprügelt, am helllichten Tag, in aller Öffentlichkeit. Im Letzigrund spielten die Grasshoppers an diesem Tag gegen den FC Thun um den Verbleib in der Super League. Laut Augenzeugen war der Mann allein unterwegs, im Kreis 4, einer Hochburg von Anhängern des FC Zürich.

Ist das mutig, leichtsinnig gar? Oder sollte vielmehr zu denken geben, dass bekennende GC-Anhänger mitten in Zürich offenbar nicht mehr sicher sind?

Eine Mutter sagt: «Man wird terrorisiert als GC-Fan»

Später verdichten sich die Hinweise, dass die Angreifer tatsächlich aus den Reihen gewaltbereiter Fans des Stadtrivalen der Grasshoppers stammten. Beim Einkaufszentrum Letzipark und auf der Hardbrücke soll es laut Quellen der NZZ zu weiteren Attacken auf GC-Fans gekommen sein. Das sei kein Zufall, berichteten Insider. Und es sei auch nichts Aussergewöhnliches: FCZ-Schläger machten seit Jahren Jagd auf GC-Fans und gingen dabei mitunter sehr organisiert vor. «Sie wissen, wo sich GC-Anhänger an Spieltagen gerade aufhalten, sie passen sie ab, und dann verprügeln sie sie», sagt der erwähnte Hopper-Supporter zur NZZ.

Erschreckend ist, dass diese Schläger-Trupps auch vor gewöhnlichen Anhängern der verhassten Grasshoppers nicht haltmachen. Laut Quellen aus dem Umfeld von GC handelt es sich bei dem Mann bei der Bäckeranlage um einen Familienvater, der häufig mit seinen Kindern im Stadion zu sehen ist. Das Opfer beim Letzipark soll ebenfalls ein Familienvater gewesen sein. Bei dem Angriff soll auch seine Tochter mit dabei gewesen sein.

Eine Frau, die den Rekordmeister seit Jahrzehnten unterstützt, sagt zur NZZ: «Das, was in Zürich und in der Agglomeration abgeht, ist nicht normal: Man wird terrorisiert als GC-Fan.» Schüler getrauten sich nicht mehr, ein GC-Trikot für den Turnunterricht anzuziehen. Sie selber profitiere vielleicht von einer Art Frauenbonus, wenn sie unterwegs zum Stadion sei. Noch sei niemand handgreiflich geworden gegen sie. Aber vielleicht sei das eines Tages vorbei. «Das macht mir Sorgen.»

Auch ohne Schal und Trikot müssen GC-Fans damit rechnen, von FCZ-Anhängern drangsaliert zu werden. Etwa, wenn sie jene Turnschuhe tragen, die unter GC-Supportern besonders verbreitet sind. Das ist der Tochter der erwähnten Frau einmal passiert, als sie mit ihrem Freund in ebendiesen Turnschuhen auf dem Weg zum Stadion war. Beim Bahnhof Wiedikon werden die beiden von zwei vermummten FCZ-Anhängern erkannt, bedrängt und aufgefordert, ihre GC-Schals auszuhändigen, die sie im Rucksack versteckt hatten.

Eine andere Frau musste nach eigenen Angaben zusehen, wie ihr Sohn auf dem Weg zum Stadion plötzlich vor einem FCZ-Fan davonrennen musste. Der Teenager war weniger vorsichtig als die beiden Sneaker-Träger beim Bahnhof Wiedikon. Er hatte den «Fehler» begangen, ein GC-Trikot zu tragen. Doch er entkam seinem Verfolger, so erzählt es die Frau am Telefon. Als der FCZ-Mann kehrtgemacht habe und an ihr vorbeigegangen sei, habe er sie angespuckt. «Ich habe noch nie so viel Hass gesehen im Gesicht eines Menschen», sagt die Frau.

Skurril ist schliesslich folgende Episode, von der Andreas Schmocker berichtet, bis vor kurzem Marketingchef von GC: Es sei schon vorgekommen, dass ein FCZ-Junior auf dem Heimweg vom Training von FCZ-Schlägern verprügelt worden sei, da diese meinten, der Junior gehöre zu GC und trage seine FCZ-Tasche nur zur Tarnung. Und: Unihockey-Spieler des Grasshopper-Clubs seien auch schon angegangen worden.

«Atmosphäre der Angst»

Gewalt und Einschüchterungsversuche gegen GC-Anhänger in und um Zürich sind nichts Neues. Man nimmt es hin, man lebt damit, irgendwie. Ein Kenner des Klubs sagt: «Man muss unseren Fans nicht sagen, dass sie ihre Schals und Leibchen zu ihrer eigenen Sicherheit erst im Stadion offen tragen sollen – alle wissen das, so traurig es ist.» Die Ziele des radikalen Teils der FCZ-Fans seien ebenfalls klar: Man wolle die Grasshoppers und ihre Anhänger aus der Stadt vertreiben.

Dieses Ziel kommt auch in einem Schlachtruf der Südkurve zum Ausdruck, dem harten Kern der Fans des FC Zürich: «Züri isch ois!» Wer will, kann daraus ableiten: Für einen zweiten Klub neben dem FCZ gibt es in Zürich keinen Platz. Diese Mischung aus Drohungen und tätlichen Angriffen wirkt offenbar. Der eingangs erwähnte GC-Fan hält fest: «Viele Supporter des Grasshopper-Clubs sagen sich: «‹Ich gehe nicht mehr an einen Match.›» Für Stefan Urech, Gemeinderat der SVP und selber GC-Sympathisant, ist ebenfalls klar: «Gewaltbereite FCZ-Fans haben eine Atmosphäre der Angst geschaffen.»

Das zeigt sich auch bei der Recherche für diesen Text: Sämtliche Quellen aus GC-Fan-Kreisen wollen anonym bleiben, da sie um ihre Sicherheit fürchten. Diese Sorge greift auch unter Journalisten um sich. Als die Tamedia-Zeitungen vor kurzem darüber berichteten, dass Angehörige der Südkurve in einer Guerilla-Aktion über 1000 Fussbälle mit dem Logo der Fangruppierung auf den Arealen von Stadtzürcher Schulen verteilten, bekam es die Autorin oder der Autor des Artikels offenbar mit der Angst zu tun. Der Artikel erschien, allerdings ohne Autorenzeile. Stattdessen stand in der Printausgabe am Ende des Textes: «Die Redaktion».

Diese Lösung, so schreiben die Tamedia-Zeitungen auf Anfrage, sei am späten Abend ohne Absprache mit der Chefredaktion getroffen worden, da die Autorin / der Autor des Artikels sich gefragt habe, ob sie / er sich damit nicht selber in Gefahr bringe. Die Formulierung sei nicht Ausdruck einer bestimmten Policy im Umgang mit dem Thema Südkurve.

Der FC Zürich duckt sich weg

Gewalttaten und weitere Aktionen von FCZ-Ultras beschäftigen auch die Politik. Wegen der Ballverteil-Aktion der Südkurve hat Stefan Urech am Mittwoch zusammen mit weiteren Gemeinderäten von FDP, GLP, Mitte und EVP eine Interpellation eingereicht. Dies unter anderem deshalb, weil Schulvorsteher Filippo Leutenegger (FDP) damals darauf verzichtet hatte, Anzeige gegen den Propaganda-Auftritt der FCZ-Fans auf den Schularealen einzureichen. Urech und seine Mitstreiter wollen vom Stadtrat wissen, ob er nicht befürchte, dass derartige Aktionen wiederholt werden könnten, falls sie für die Täter ohne Konsequenzen blieben. Urech sagt: «Man kann sich doch nicht empört zeigen und dann einfach zur Tagesordnung übergehen. Das reicht nicht.»

Es sind Fragen, die sich auch an den FC Zürich richten. Kenner der Szene befürchten, dass der Einfluss der mächtigen Südkurve auf den FCZ-Präsidenten Ancillo Canepa zu gross geworden sei. Zur Ballverteil-Aktion der Südkurve hiess es damals: «Kein Kommentar.» Zu den Attacken rund um das Barrage-Spiel von GC gegen Thun wollte die Klubleitung ebenfalls nichts sagen, da nicht bewiesen sei, dass die Angreifer FCZ-Fans gewesen seien. Die Frage der NZZ, warum der FC Zürich 2022 einen geplanten gemeinsamen Video-Auftritt mit GC zum Thema «Fuessball ohni Gwalt» kurzfristig abgesagt habe, liess der Klub ebenfalls unbeantwortet. Nur so viel: Man habe sich stets klar und deutlich von Gewalt rund um Fussballspiele distanziert, schreibt der FCZ auf Anfrage.

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