Sonntag, November 24

Angelo Calvino / Imago

Alle waren schon im heiligen Bezirk von Largo Argentina, einem Ort, an dem römische Geschichte und lebendiges Stadtleben aufeinandertreffen, niemand kennt ihn. Augenschein auf dem unauffälligsten Platz in Roms Zentrum.

«Largo di Torre Argentina» heisst ein Platz im Zentrum Roms. Hier kreuzen sich die Wege von Pendlern und Touristen, es warten Busse, Autos stauen sich, Baustellen werden im Wochenrhythmus geschlossen und wieder neu eröffnet. Die Stadt der engen Gassen und romantischen Ecken verströmt hier einen Hauch von Metropole. Der Largo Argentina ist ein stark frequentierter und gleichzeitig wenig beachteter Ort.

Mit Argentinien hat er allerdings nichts zu tun. Argentina kommt vielmehr von «Argentoratum», dem lateinischen Namen für das heutige Strassburg. Johannes Burckhard von Strassburg, der Zeremonienmeister von Papst Alexander VI., eine der einflussreichsten Figuren der italienischen Renaissance, errichtete hier zu Beginn des 16. Jahrhunderts sein Wohnhaus – und fügte einen Wehrturm hinzu, den das Volk Torre Argentina nannte.

Neben all den Schönheiten der Ewigen Stadt nimmt sich der Largo Argentina bescheiden aus. Zwar wurde vor einem guten Jahr der sogenannte «heilige Bezirk» – eine Anlage mit vier Tempeln aus republikanischer Zeit – restauriert, herausgeputzt und für das Publikum geöffnet. Seither legen auch manche Touristen hier einen kurzen Stopp ein, bevor sie zum Pantheon, zur Piazza Navona oder ins jüdische Viertel weitergehen.

Der Bus Nummer 30 fährt ans Tyrrhenische Meer

Doch so schön die Tempel und so putzig die zahlreichen Katzen sind, die auf den Ruinen liegen und in der Sonne dösen – der Charme dieses Platzes und seiner Umgebung liegt anderswo. Wer innehält und zum Himmel blickt, bemerkt die imposanten Dächer der Schirm-Pinien. Und wer sich den Gestank der Autos und «motorini» auf dem nahen Corso Vittorio Emanuele wegdenkt und den Duft dieser Bäume einatmet, kann es riechen: das Meer! Ja, das Meer. Es ist nicht weit. Rasch in den Bus Nummer 30 Richtung Porta San Paolo, von dort mit der wackligen «Metromare» bis nach Ostia. Das ist der Largo Argentina: ein Hauch von Sehnsucht und Fernweh und das gute Gefühl, von hier aus in etwa 45 Minuten am Meer zu sein – unvergleichlich!

Eine der schönsten Buchhandlungen der Stadt

Wer solcherlei Tagträumen abgeneigt ist oder gerade nicht wegkann, findet in dem Geviert das meiste, was es fürs Leben braucht. Noch widersetzen sich zahlreiche Geschäfte dem Druck, der vom Massentourismus ausgeht. Oder sie haben ihn klug in ihr Geschäftsmodell integriert.

Im Umkreis von wenigen hundert Metern findet man gut sortierte Kioske, wo man auch die wichtigsten Blätter der Welt erhält, Supermärkte, eine grosse und die wohl schönste Buchhandlung der Stadt, die «Spazio Sette», diverse Bars, wo man den «caffè» am Tresen noch für einen Euro erhält, eine herausragende Bäckerei und den besten Käse. Man kann Schuhe zu vernünftigen Preisen kaufen, und selbst eine richtige Papeterie harrt hier noch aus.

Was die wenigsten Besucher wissen: Der Largo Argentina ist seit je auch der Dreh- und Angelpunkt des römischen Textilhandels. Einige Geschäfte bewahren diese Tradition. Ein Besuch lohnt sich: Auf den Gestellen stapeln sich Stoffe in allen Farben, Grössen und Formen, Bändel, Fäden, Knöpfe, Reissverschlüsse, Kissen, Decken, Wollknäuel. Die Textilien dämpfen den Lärm der Strasse, es herrscht eine ruhige Atmosphäre. Verkaufspersonal und Kundschaft führen konzentrierte, professionelle Gespräche. Mit grossen Scheren wird die Ware zurechtgeschnitten.

Man betrachtet diese textilen Herrlichkeiten, tritt hinaus in das grelle Sonnenlicht und denkt sich: Mögen die Ladenbesitzer durchhalten! Noch ist man am Largo Argentina glücklicherweise standfest. Wenn der Mix so bleibt, wie er ist, wenn es neben Touristenramsch noch Raum gibt für solche Geschäfte, dann wird dieser etwas verkannte Platz vielleicht zum Sinnbild der friedlichen Koexistenz von Besuchern und Bewohnern der Ewigen Stadt.

Insider-Tipps

Essen: Keine Touristenfalle, dafür bestes Essen, römisch inspiriert (ja, es gibt auch Carbonara!), dargereicht von einer jungen, innovativen und freundlichen Truppe: «Bottega Tredici».

Trinken: Hier ist es eng und manchmal laut, es wird über Fussball diskutiert, im Hintergrund läuft der Fernseher: «Bar Amore». Via Florida 17, keine Website. Abends geschlossen. Länger offen ist das «Camerino», gleich in der Nähe (Largo Arenula 30), keine Website.

Hingehen: Unbedingt sehenswert (auch architektonisch):
Buchhandlung «Spazio Sette», mit Kaffeebar. Wer eine (noch) grössere Auswahl braucht: Buchhandlung Feltrinelli direkt bei den Bussen am Largo Argentina.

Traditionelle Textilhandlungen: «Azienda Tessile Romana», «Paganini Tessuti», «Bassetti» oder «Sonnino», alle am Largo Argentina beziehungsweise in der Via delle Botteghe oscure.

Bäckerei: Manchmal braucht es hier etwas Geduld, weil sich viele Leute bei «Roscioli» mit Brot, Gebäck und Pizza eindecken. Tipp: am frühen Morgen einkaufen.

Käse: Längst kein Geheimtipp mehr, aber immer noch spitze (und nicht ganz billig): «Beppe e i suoi formaggi».

Machen: Sitzen Sie in den kleinen Park an der nahen Piazza Cairoli. Unter den hohen Bäumen lässt es sich hervorragend von der Hektik am Largo Argentina erholen.

Gönnen Sie sich eine Vorstellung im Teatro Argentina, dem wichtigsten Theater der Stadt. Es verfügt über einen wundervollen Saal, und seine Aufführungen lassen sich sehen.

Vermeiden: Gehen Sie nicht am Nachmittag oder am frühen Abend zum Largo Argentina. Am schönsten ist es am (sehr) frühen Morgen.


«Streifzug durch. . .»

Die Artikelserie entführt Sie in faszinierende Stadtviertel, enthüllt deren Geheimnisse und lässt Sie in einzigartige Atmosphären eintauchen. Erleben Sie authentische Geschichten und persönliche Einblicke in urbanen Oasen.

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