Montag, Oktober 21

Am Sonntag ging in Frankfurt die Buchmesse zu Ende. Den grössten Erfolg dürfte die neu eingerichtete Halle für New-Adult-Literatur verzeichnet haben. Den grössten Misserfolg erlitt nach eigenem Ermessen wohl der Autor Clemens Meyer.

Die Frankfurter Buchmesse bietet Wissen und Unterhaltung verschiedenster Art – und das nicht nur zwischen den Buchdeckeln. Abends tragen die Messebesucher Bücher, Prospekte und gewonnene Einsichten aus den Hallen hinaus in den Abend. Mit in die Restaurants, Bars und Literaturveranstaltungen Frankfurts kommen selbstredend auch die Gerüchte und das Gerede des Tages.

Zu reden gab etwa der Autor Clemens Meyer, der – wie viele andere in der Branche – erwartet hatte, am Montagabend für seinen 1000 Seiten starken Roman «Die Projektoren» den Deutschen Buchpreis zu bekommen. Als stattdessen Martina Hefter für ihren Roman «Hey guten Morgen, wie geht es Dir?» ausgezeichnet wurde, fuhr Meyer aus der Haut.

Ein Kratzer am Ego, ein Loch im Geldbeutel

«Ich habe gerufen, es sei eine Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat. Und dass es eine Scheisse ist, eine Unverschämtheit», rekapituliert Meyer später im Interview mit dem «Spiegel». Als der Verschmähte nach verpasstem Preis draussen im Regen stand, habe er dann noch etwas weitergeflucht, ganz allgemein, wie Meyer sagt. «Ihr verdammten Wichser» etwa.

Meyers Ärger setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Da ist das angekratzte Ego, klar. Darum kündigte Meyer ebenso eilig wie trotzig an, nie mehr etwas beim Deutschen Buchpreis einzureichen. Nach der grossen Anspannung vor der Preisverleihung dürfte die Enttäuschung umso bodenloser ausgefallen sein. Meyer selbst fand, er habe sich ganz gut im Griff gehabt: Er habe ja nur geschimpft und keine Flaschen geworfen.

Der vielleicht wichtigste Grund für Meyers an Verzweiflung grenzende Wut ist: Er hatte nicht nur mit dem Buchpreis gerechnet – er hatte ihn einkalkuliert. Bei dem Autor klafft nämlich ein grosses Loch im Portemonnaie. Dem «Spiegel» erzählt Meyer von seinen Steuerschulden, dem meist bescheidenen Betrag auf seinem Lohnkonto, und er rechnete vor, wie der Buchpreis seine finanziellen Sorgen zumindest vorübergehend hätte tilgen können.

«Ein gekränktes männliches Ego, wie süss»

Von Autorinnen und Autoren wird erwartet, dass sie über derart alltäglichen Dingen wie Preisen und Bestsellerlisten stehen. Dass sie ihren Ärger im Bauch behalten und der siegreichen Konkurrenz lächelnd die Hand schütteln. Clemens Meyers Reaktion sorgte darum für missbilligendes Kopfschütteln und böse Sprüche. «Ein gekränktes männliches Ego, wie süss», sagte jemand ironisch an der Party des Frankfurter Literaturhauses und wurde für die Aussage mit dem Lachen der Umstehenden belohnt.

Dass es hier zwar um ein möglicherweise zu gross gewordenes Ego, nicht unbedingt aber um Männlichkeit geht, zeigt ein ähnlicher Fall aus dem Sommer: Mit ihrem zweiten Roman «Windstärke 17» führt Caroline Wahl zurzeit die «Spiegel»-Bestsellerliste an – auf der Longlist des Deutschen Buchpreises dagegen suchte sie ihren Namen vergeblich. Das mache sie «traurig und wütend», schrieb Wahl daraufhin bei Instagram. Dem fügte sie noch an, dass ihre Agentin meinte, sie sei wohl schlicht zu erfolgreich für den Preis. Eine Aussage wie ein Pflaster für die gekränkte Eitelkeit.

Die überlebensgrossen Autoren

Für ihre Eitelkeit kann man Autorinnen wie Wahl oder Meyer kritisieren. Man kann auch über ihre zur Schau getragene Verletzung spotten. Gleichzeitig muss sich der Literaturbetrieb aber darüber im Klaren sein, dass man durchaus eine Mitverantwortung trägt.

Gerade die am Sonntag zu Ende gegangene Buchmesse mit ihren überlebensgrossen Postern von Autorinnen, den ausgebuchten Signierstunden und Türmen von Büchern ist das beste Beispiel dafür, wie sehr der Literaturbetrieb über grosse Namen und deren Inszenierung funktioniert. Worüber an den zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen der Messe an Podiumsgesprächen und Lesungen gesprochen wird, ist nur maximal gleich wichtig wie die Frage, wer es denn ist, der spricht. Manch einer sonnt sich auch im Glanze der Namen all jener, mit denen er bei diesem Empfang ein Wort gewechselt und bei jenem Fest die Weissweingläser hat klingen lassen.

Kein Wunder also, bauscht sich das Selbstbild auf, werden aus zaghaften Hoffnungen rasch grosse Erwartungen und aus Autoren – mindestens in der Selbstwahrnehmung – Stars. Man baut sie auf und hebt sie hoch, ist aber nicht bereit, ihnen beim Straucheln zur Seite zu stehen. Dann gilt: Pokerface und Bodenhaftung, alles andere ist Entgleisung.

Liebe, Lust und wenig Political Correctness

Fernab der Messehalle 3 mit ihren Traditionsverlagen wie Rowohlt oder Diogenes, ihren intellektuellen und stilistischen Ansprüchen, den grossen gesellschaftspolitischen Thesen und schmalen Essays, wartet eine ganz andere Welt. Quer über das gesamte Gelände muss man gehen, um zur abseits stehenden Halle 1 zu kommen. Hier bekommt das Genre New Adult erstmals einen eigenen Bereich.

Die Bücher tragen Titel wie «Bad Basterds», «Belladonna – die Berührung des Todes» oder «Like Love but darker». Es geht um Liebe, Macht und Action, um Auserwähltsein und andere Besonderheiten. Auch Sex fehlt selten.

Es riecht nach Popcorn in der Halle 1, aber grosses Kino ist es eher nicht. New Adult wolle nämlich «nichts ausser unterhalten», so sagt es Jane S. Wonda. Sie ist eine der erfolgreichsten New-Adult-Autorinnen Deutschlands. Ihr Name ist ein Pseudonym, möglicherweise inspiriert von der Gymnastik-Ikone Jane Fonda, deren frühere Beweglichkeit die Autorin Wonda zumindest in Sachen Sprachgebrauch und Plot-Entwurf durchaus teilt.

Auf der Messe sprach Wonda mit der ARD über ihr Genre: «Wir haben wenig Political Correctness. Es muss nicht immer irgendwie noch etwas mitgetragen werden, noch eine politische Message unterlegt werden.» Junge Erwachsene wollen «seichte, pure Unterhaltung». Die lange Schlange vor ihrem Stand scheint ihr recht zu geben.

In der Parallelwelt

Damit ist die Halle 1 eine Art Parallelwelt, ein Zufluchtsort auch. Denn die übrigen Räume sind von der Gegenwart durchdrungen. Es werden Gedichte von ukrainischen Autoren gelesen, die nicht in Frankfurt sein können, weil sie an der Front stehen müssen. Die bereits bei der Eröffnung begonnene Diskussion über die Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten, gegenüber der AfD im eigenen Land oder gegenüber den Neofaschisten im Pavillon des Gastlands Italien, geht weiter. Ebenso erinnert man sich an die Buchmesse vor einem Jahr– als die Attacke der Hamas auf Israel eben erst geschehen war, und blickt bange nach vorn, auf die Wahlen in den USA.

In der Halle 1 dagegen trifft man nicht auf Politik und Warnungen, sondern auf Feen, Zauberer und Mangafiguren – viele New-Adult-Fans haben sich für den Messebesuch aufwendig verkleidet. «Bücher sind für mich Spass und Erholung», sagt eine Frau Mitte zwanzig. Sie trägt ein Plastikkrönchen im Haar und eine bereits prall gefüllte Büchertasche über der Schulter. Was ihr noch fehlt, sind Selfies vor dem Wondaversum, dem Stand von Jane S. Wonda, mit seinen schwarzen Wänden, Polsterstühlen, Leselampen und üppigen Blumen eingerichtet wie ein Boudoir.

New Adult ist mehr als ein Genre der Literatur, mehr auch als ein blosses Verkaufsargument. Es ist eine Art Hintereingang in die Bücherwelt. Für Leserinnen ebenso wie für Autorinnen. «Mit diesen Romanen habe ich zum Lesen zurückgefunden. Man liest sie einfach weg, und das tut gut», sagt eine der Besucherinnen.

Viele Autorinnen umgehen das Verlagswesen und publizieren ihre Bücher über Self-Publishing-Agenturen, deren Stände in der Halle 1 ebenfalls aufgebaut wurden. Bei den Buchumschlägen hilft künstliche Intelligenz, bei Lektorat und Formatierung ebenfalls, wie eine Autorin sagt, deren erstes Buch bald erscheinen soll. Die Vermarktung läuft grösstenteils über die sozialen Netzwerke, wo das Bewerben von Büchern zu einer Art Währung geworden ist, frei nach dem Motto: wie du meins, so ich deins.

Parallelwelten sind allerdings nicht den Anhängern von New Adult vorbehalten. Bei einem Interview am «Zeit»-Stand sagte Clemens Meyer scherzhaft, er bilde sich nun einfach ein, er hätte den deutschen Buchpreis doch bekommen.

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