Sonntag, November 24

In «Zmittag», der kulinarischen Gesprächsreihe der NZZ,
verrät Deutschlands erfolgreichste Schlagerband,
warum sie ihren Kunstrasen mäht und
was sie mit den Sex Pistols gemeinsam hat.

Bernd Ulrich ist ein äusserst pragmatischer Mensch. Weil ihm das Unkrautjäten und Wässern lästig war, hat er in seinem Garten kurzerhand Kunstrasen verlegt. Egal, ob in den ausgedörrten Wochen des Spätsommers oder im eisigen Winter: Wann immer er jetzt aus dem Wohnzimmerfenster blickt, erfreut er sich an sattem, saftigem Grün.

Das erzählt er, während er auf der Terrasse des «Amigo Mijo» sitzt – der einzigen Gaststätte in Nonnenroth. Das hessische Dorf ist eingebettet zwischen Wäldern, Wiesen und Feldern, und keine Wolke ist heute am Himmel der hügeligen Landschaft zu sehen. Von den Tabakschwaden abgesehen, die Bernd und sein Bruder Karl-Heinz, der neben ihm sitzt, mit beeindruckender Ausdauer in die Herbstluft pusten.

«Zmittag»: Die kulinarische Gesprächsreihe der NZZ

Pfeffer, Salz und viele Fragen: «Zmittag» ist der Schweizer Ausdruck für einen Mittagsimbiss – und zugleich der Name unserer Serie. Bei einer gemeinsamen Mahlzeit sprechen Politiker, Wirtschaftslenker, Sportler und Künstler darüber, was sie antreibt, wo sie hinwollen und was ihnen schmeckt.

Serie

Der Name des Lokals ist eng mit den beiden Herren im Rentneralter verknüpft. Denn als Amigos haben sie in den vergangenen Jahren einen atemberaubenden Aufstieg hingelegt. Zu Deutschlands erfolgreichster Band: Millionen Tonträger verkauften sie in den vergangenen Jahrzehnten, insgesamt sechzehn ihrer Alben erreichten die Spitze der Verkaufscharts. Damit übertraf das Duo sogar die Beatles, Madonna und die Rolling Stones. «Mein Haus ist mit goldenen Schallplatten tapeziert», so fasst Karl-Heinz Ulrich den Erfolg trocken zusammen.

Die Kellnerin Marija steht am Tisch, um die Bestellungen aufzunehmen. Ihr Arbeitseinsatz ist allerdings rein symbolischer Natur, denn was heute auf den Teller kommt, steht längst fest. Bereits eine Woche zuvor hatten die Amigos nämlich sowohl die Küche als auch den Autor wissen lassen, was es zu essen geben würde: Zwiebelschnitzel mit Pommes. «Das Schnitzel hat mich noch nie im Stich gelassen», resümiert Bernd Ulrich.

Drei Akkorde zum Erfolg

Ähnlich pragmatisch wie im Umgang mit der Speisekarte oder bei der Gartengestaltung sind die beiden Musiker bei der Komposition ihrer Hits: Drei Dur-Akkorde reichen, sie werden einmal kräftig durchgeschüttelt, hüpfen dann fröhlich von Terz zu Quinte – und anschliessend wieder zurück. Gitarre, Schlagzeug, Klavier, Streicher und Trompeten kommen aus dem Synthesizer; die mit rauchiger Stimme vorgetragenen Texte wiederum direkt «aus dem Herzen», versichert Karl-Heinz Ulrich.

Es ist nicht zuletzt die Wortkunst, die den Erfolg der Amigos ausmacht, davon ist Bernd Ulrich überzeugt: «Wir singen über Dinge, die unsere Fans selbst erlebt haben und sie bewegen.» Die beiden Musiker legen dabei eine erfrischende Bescheidenheit an den Tag, wenn es um ihre künstlerischen Ansprüche und Massstäbe geht. «Wenn die Hausfrau am Nachmittag bügelt und die Musikanlage anstellt, dann will sie sich berieseln lassen», erklärt Karl-Heinz. Entsprechend zielgruppengerecht fällt auch das Merchandising aus: Für schlanke 49.99 Euro erhalten Anhänger ein Fan-Set, das sowohl Ofenhandschuh (Aufschrift: «Guten Appetit») als auch Frühstücksbrettchen umfasst.

Nun ist der Schlager grundsätzlich kein Genre, das für seine musikalische Virtuosität oder sein lyrisches Raffinement bekannt ist. Die Amigos jedoch zeigen eine Simplizität, die ihresgleichen sucht. In scharfem Kontrast dazu steht die Bühnengarderobe der beiden: Mal zeigen sie sich in pinkfarbenen Freizeithemden, mal in Jeansjacken, die mit psychedelischen Drucken verziert sind. Oder aber in purpurroten Sakkos mit Paillettenbesatz, die selbst David Bowie neidisch gemacht hätten.

Mit ihrer Mischung aus musikalischem Minimalismus und optischer Extravaganz stechen sie selbst in der sonst so glitzer- und kitschaffinen Welt des deutschen Schlagers heraus. Von einer anderen Schlagergrösse seien sie einmal bei einer gemeinsamen Fahrstuhlfahrt «nicht mit dem Arsch angeschaut» worden, so erinnert sich Bernd Ulrich. «Der dachte, wir seien bald wieder weg vom Fenster.» Etwas vorsichtiger formulierte Howard Carpendale seine Abneigung: Die Amigos und er lägen «schon weit auseinander», grantelte er Anfang des Jahres.

Zeit für eine Pause, die Kellnerin Marija serviert die Vorspeise. Der Salat schmeckt, wie die Musik der Amigos klingt: voller Kontraste und befreit von Nuancen. Es ist ein kulinarisches Erlebnis, das den Gaumen fordert. Wir stossen mit drei Gläsern Coke Zero an.

Von Festzelt zu Festzelt

Auf den Erfolg mussten die Amigos lange warten. Gegründet haben sie ihre Band bereits 1970 – und wirkten schon damals wie ein wandelnder popkultureller Anachronismus. Die Beatles hatten sich zu diesem Zeitpunkt in die Sphären experimenteller Selbstfindung zurückgezogen, Black Sabbath und Deep Purple erschufen aus den Trümmern der Flower-Power-Bewegung einen düsteren Soundtrack für eine desillusionierte Generation.

In Düsseldorf wiederum machte sich Kraftwerk ebenfalls im Jahr 1970 daran, mit ihren synthetischen Klanglandschaften die Musikwelt zu revolutionieren. Die Amigos tingelten ihrerseits von Festzelt zu Festzelt und sangen Lieder über Liebe.

Doch die Amigos waren keineswegs blind für die Ära des popkulturellen Umbruchs, der sie umgab. Bernd Ulrich bekennt sich als Verehrer der Beatles, und in ihren Anfängen versuchten sich die angehenden Schlagerstars gar als Coverband, interpretierten die Rolling Stones und Creedence Clearwater Revival. Letztlich entschieden sie sich dann doch für die heimelige Welt des Schlagers, in der die Zeit stillzustehen scheint.

Ob sie niemals das Verlangen hatten, nach gut 800 veröffentlichten Songs einmal etwas anderes zu machen? Ein bisschen mehr Kraftwerk zu wagen, beispielsweise? Bernd Ulrich kontert: «Warum sollten wir? Schau dir den Erfolg an, den wir haben – wir müssten ja bescheuert sein, wenn wir an unserer Musik etwas ändern würden. Wir haben Millionen Fans, und die erwarten genau das von uns, was wir machen.»

Doch, wie gesagt, der Erfolg liess lange auf sich warten. Die grossen Plattenlabels reagierten in den Anfangstagen zurückhaltend. «Die haben uns alle abgelehnt», so bringt es Karl-Heinz Ulrich auf den Punkt. Die Musikkarriere blieb deshalb lange nur Zweitjob: Bernd verdiente sein Geld als Brauer bei der Licher-Privatbrauerei, sein Bruder fuhr Lastkraftwagen durchs Land.

Erst im November 2006 geschah das Unerwartete: Nach einem TV-Auftritt in einer Schlagershow fanden sich die Amigos plötzlich in den Top Ten der Charts wieder. «In den zwei Jahren danach haben wir mehr als zwei Millionen CD verkauft», berichtet Bernd. Ein Erfolg, der selbst die hartnäckigsten Kritiker zum Staunen brachte – wenn auch nicht unbedingt zum Umdenken.

Die öffentlichrechtlichen Radiosender spielten ihre Musik bis heute nicht, «weil sie angeblich nicht ins Format passt», klagt Bernd. Sein Bruder Karl-Heinz hält das für einen «Schlag ins Gesicht der Menschen», die ihre Musik lieben.

Schnitzel und Schlager

Die Abneigung gegen die volkstümliche Musik: Sie sitzt in Deutschland tief. Legendär sind die Tiraden, die Theodor Adorno den Schlagerstars entgegenschleuderte. Er sah in ihnen die Handlanger einer kapitalistischen Kulturindustrie, die ihre Hörer wie emotionale Analphabeten behandelte und sie mit musikalischem Fast Food von der sozialistischen Revolution abhielt.

Damit war der Ton für die folgenden Jahrzehnte gesetzt: Der Schlager mag zwar ein kulturelles Massenphänomen sein. Er wird von Adorno, von den Feuilletons, den Kulturfunktionären und den Radiostationen aber im besten Fall mit Stirnrunzeln abgetan und im schlimmsten Fall mit Verachtung gestraft.

Zeit für den Hauptgang, die Kellnerin Marija hat den Fleischfladen serviert. Den Amigos scheint es zu schmecken, und deshalb möchte ich nichts Schlechtes sagen. Wohlwollend könnte man das Zwiebelschnitzel als ein Kunstwerk der Kontraste beschreiben. Das Fleisch versteckt sich unter einer beeindruckenden Decke aus Zwiebeln. Sie präsentieren sich in allen erdenklichen Schattierungen von Goldgelb bis hin zu einem sanften Braun. Die Konsistenz des Fleisches wiederum erinnert an die Tage, als Zartheit noch kein Massstab für Qualität war.

Hinsichtlich der als Beilage gereichten Pommes frites lässt sich feststellen: Von der Küche wurde weder mit Frittieröl noch mit Friteusenzeit gegeizt.

Während wir auf unseren Schnitzeln herumkauen, schleicht sich der Gedanke ein, dass der Furor, der den hessischen Musikanten entgegenschlägt, vielleicht nicht ganz gerecht ist. Zumindest wenn man sich die musiktheoretischen Fakten vor Augen führt. Nehmen wir das Beispiel Kraftwerk: Die Synthesizer mögen bei den Düsseldorfern ein wenig anders summen, fiepen und brummen als bei den Schlagerstars. Letztlich hat aber auch Kraftwerk seine Karriere auf harmonischer Tonalität und dem Viervierteltakt aufgebaut. Unterm Strich bleibt, wenn man ehrlich ist, als Abweichung zwischen Schlagerbarden und Elektropionieren somit im Grunde nur die Ästhetik.

Auch inhaltlich reichen die Amigos-Texte mitunter tiefer, als man es von Schlagerstars erwarten würde. Ein Beispiel dafür ist «Es tut so weh», in dem die Brüder Ulrich das Schicksal eines Mädchens besingen, das durch den sexuellen Missbrauch des Vaters in den Suizid getrieben wird:

«Sie war doch erst zwölf, und schon am Ende
Gebrochenes Herz und zittrige Hände
Doch dann verspürt sie so grossen Mut
Man fand sie am Morgen in ihrem eigenen Blut»

Schon klar, Heinrich Heine hätte die Reime filigraner formuliert. Und in der Tat sorgt die Kombination der düsteren Worte mit der heiteren Dur-Melodik nebst angedeuteten Rumba-Rhythmen für eine gewisse künstlerische Dissonanz.

Ist aber Musik wertlos, die den Geschmacksvorstellungen der feinen Gesellschaft widerspricht? Oder ist die millionenfache emotionale Resonanz ihrer Fans und Kritiker nicht ein ebenso valides Kriterium für die Qualität der Musik? Mehr noch: Ist es nicht gerade das Wesen grosser Kunst, bei ihren Rezipienten starke Emotionen hervorzurufen – sei es nun Trost, Freude und Hoffnung? Aber auch Unbehagen, Verstörung und sogar Abscheu? Bernd Ulrich jedenfalls hat diese Fragen für sich längst beantwortet: «Wenn nach dem Konzert ein einziger Rollator glücklich vor der Bühne stehen bleibt, wissen wir, dass wir unsere Mission erfüllt haben.» Was die Zeitungen schreiben, sei ihm hingegen «scheissegal».

Rebellen mit Handschlag

Die Rebellion, eine Spur von Rüpelhaftigkeit und der Hang zum Unkonventionellen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Karriere der Amigos. Ihre Managerin engagierten sie per Handschlag. Verträge? Braucht es nicht: «Wer soll denn achtzehn Seiten Kleingedrucktes lesen?», spottet Karl-Heinz. «Dafür müssten wir ja einen Rechtsanwalt engagieren.» Sein Bruder Bernd pflichtet ihm bei: «Wenn ich dir verspreche, ich komme morgen und hacke zwei Meter Holz, dann bin ich um 15 Uhr da.» Zwei Männer, ein Wort.

Als die grossen Plattenlabels wie Universal die Amigos unter Vertrag nehmen wollten, unterschrieben sie lieber beim österreichischen Kleinlabel MCP. Der Grund war – wieder einmal – ein pragmatischer: «Der Chef war uns sympathischer», erzählt Bernd – und zündet eine neue Pall Mall an.

Über das Restaurant

Das Restaurant «Amigo Mijo», 1983 eröffnet, verdankt seinen Namen dem Wirt Mijo Galir und der Schlagergruppe Amigos. Als Bürgerhaus-Gaststätte im Hungener Stadtteil Nonnenroth begonnen, entwickelte es sich zum beliebten Treffpunkt in der Region. Die Küche vereint Spezialitäten vom Balkan mit deutscher Küche.

«Amigo Mijo» – Bürgerhaus-Gaststätte – Restaurant, Nonnenroth, Landkreis Giessen

Am Bürgerhaus 1, 35410 Hungen-Nonnenroth

Telefon +49 6402 40370. Montag und Dienstag ist Ruhetag, Mittwoch bis Samstag ab 17 Uhr, sonntags ab 12 Uhr geöffnet.

Ihre Gassenhauer mögen denen von Florian Silbereisen oder den Flippers ähneln, in ihrem Wesen aber scheinen die beiden viel näher am Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten zu sein. Ganz nach dem Vorbild der Punklegende zeigte sich Karl-Heinz in einer Tournacht – wenngleich mit volkstümlichem Einschlag. Nach einem schweisstreibenden Auftritt in einer ostdeutschen Provinz wollte er den Abend mit der «Sportschau» ausklingen lassen. Doch das TV-Gerät entsprach nicht seinen Vorstellungen: «Das Ding war kleiner als eine CD und hing in der obersten Ecke des Raums», so erinnert sich der Schlagerstar. Der Mann, der kurz zuvor noch von «Sommerträumen» und «Herzen aus Gold» gesungen hatte, konnte nur durch das beherzte Eingreifen seines Bruders Bernd davon abgehalten werden, den missliebigen Flimmerkasten durch das Fenster in die Nacht zu schmeissen.

Am Ende unseres Gesprächs ist der Aschenbecher voll, während die Schnitzelteller noch gut gefüllt sind. So viel steht fest: Für alle, die des Gewöhnlichen überdrüssig sind und nach neuen gustatorischen Horizonten suchen, ist das Zwiebelschnitzel im «Amigo Mijo» ein Muss. Es ist eine kulinarische Erfahrung, die man so schnell nicht vergessen wird.

Zu einem Dessert kann ich die Ulrich-Brüder nicht überreden, nicht einmal ein Espresso passt noch in den Magen. «Ich brauche den Firlefanz nicht», murmelt Bernd – und zeigt sich einmal wieder von seiner pragmatisch-simplistischen Seite. Die aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass in seinem Werk mehr Anstrengungen und mehr Leidenschaft stecken, als es auf den ersten Blick wirken mag. Das gilt für die Musik seiner Band genauso wie für die Bühnenauftritte.

Oder für seine Gartenarbeit: Denn mögen die Halme in Ulrichs Garten auch aus pflegeleichtem Polypropylen geschaffen sein, den Rasenmäher holt er trotzdem gelegentlich aus dem Schuppen, um eine Runde zu drehen. «Wenn der Nachbar mäht, mähe ich mit», verrät Ulrich. Er wolle in der Nachbarschaft nicht negativ auffallen. Immerhin: Das Messer entfernt er vorher aus der Maschine.


«Zmittag»: Die kulinarische Gesprächsreihe der NZZ

Pfeffer, Salz und viele Fragen: «Zmittag» ist der Schweizer Ausdruck für einen Mittagsimbiss – und zugleich der Name unserer Serie. Bei einer gemeinsamen Mahlzeit sprechen Politiker, Wirtschaftslenker, Sportler und Künstler darüber, was sie antreibt, wo sie hinwollen und was ihnen schmeckt.

Exit mobile version