Trotz rekordhohen Verlusten der Regierungsparteien bei der Wahl konnte die SPÖ nicht profitieren. Die Migrationsfrage spaltet die Partei seit Jahren. Ihr Chef ist umstritten, aber er will nicht aufgeben.
Die einst stolzen Sozialdemokraten haben bei der Parlamentswahl in Österreich mit ihrem historisch schlechtesten Ergebnis erstmals nur den dritten Platz erreicht – doch in der Partei gehen die Meinungen auseinander, ob das tatsächlich ein Debakel sei oder nicht. Immerhin verlor sie nur 0,1 Prozent der Stimmen und gewann wegen der Wahlarithmetik sogar einen Sitz, während die konservative ÖVP ihren historisch grössten Verlust hinnehmen musste und die Grünen mehr als einen Drittel ihrer Wähler verloren.
Weil bis anhin alle Parteien beteuern, nicht mit dem Wahlsieger Herbert Kickl von der FPÖ koalieren zu wollen, hat die SPÖ zudem beste Chancen, nach sieben langen Jahren in der Opposition wieder an die Macht zu kommen. Andreas Babler, der die Partei seit gut einem Jahr anführt, war denn auch als Kanzlerkandidat angetreten.
Die SPÖ gewann nur zulasten der Grünen
Er kommentierte das Wahlergebnis mit den Worten, der Abwärtstrend habe gestoppt werden können. Doch von den enormen Verlusten der Regierungsparteien ÖVP und Grüne, die gemeinsam 17 Prozent einbüssten, konnte die SPÖ nichts gewinnen – und das, obwohl sozialpolitische Fragen wie Teuerung, Gesundheit oder Verteilungsgerechtigkeit den Wahlkampf geprägt hatten. Stattdessen gingen 180 000 ihrer vormaligen Wähler gar nicht an die Urne, mehr als bei allen anderen Parteien.
Als Lichtblick stellte Babler die guten Ergebnisse in den Städten Wien, Graz und Innsbruck dar. Aber auch sie haben eine Schattenseite: Die Gewinne gingen zulasten der Grünen und ändern damit nichts an den grundsätzlichen Mehrheitsverhältnissen im Land. Bablers stets illusorisches Ziel war eine österreichische «Ampel» gemeinsam mit den Grünen und der liberalen Partei Neos gewesen. Das wurde überdeutlich verfehlt.
Damit ist klar, dass Babler mit seinem Kurs gescheitert ist. Er wurde am linken Rand der Partei sozialisiert und hatte sich in den vergangenen Jahren als interner Rebell gegen den aus seiner Sicht zu pragmatischen Kurs der SPÖ-Führung positioniert. Vor gut einem Jahr wurde er dann eher zufällig zum Vorsitzenden gewählt: Zermürbt von internen Richtungskämpfen, hatte seine Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner in eine Mitgliederbefragung eingewilligt. Bei dieser obsiegte letztlich nicht der Favorit des rechten Flügels, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, sondern Babler. Dass Doskozil wegen einer Panne zunächst versehentlich zum Sieger gekürt wurde, stand sinnbildlich für das chaotische Prozedere.
Im Wahlkampf versprach Babler eine Vier-Tage-Woche, Gratismittagessen an Schulen und das Recht auf einen raschen Arzttermin, für das die «Superreichen» zahlen sollten. Das verfing indes nur im links-urbanen Milieu. Die Zugewinne dort wiegen nicht auf, dass in ehemaligen Hochburgen – etwa den ländlichen Industriegebieten – längst die FPÖ dominiert.
Bablers zahlreiche interne Kritiker hatten von Anfang an die Befürchtung, mit dem klassenkämpferischen Revoluzzer schrecke man die Mitte ab und bringe sich um die Regierungsfähigkeit. Die britische Labour-Partei unter Jeremy Corbyn diente als abschreckendes Beispiel. In einem strukturell konservativen Land, in dem es nur in den siebziger Jahren unter dem Kanzler Bruno Kreisky eine linke Mehrheit gab, muss die SPÖ in die Mitte ausstrahlen, um erfolgreich zu sein.
Schon ganz zu Beginn des Wahlkampfs im Januar äusserte sich deshalb der mächtigste Rote, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Eine Vermögenssteuer könne keine Koalitionsbedingung sein, wie es Babler angedeutet hatte. Man brauche in Verhandlungen Spielraum, erklärte der Chef der Landespartei Wiens, der wichtigsten SPÖ-Hochburg. Kurz darauf meldete sich der oberste rote Gewerkschafter und warnte davor, dass Babler nicht als «Schreckgespenst der Wirtschaft» dastehen dürfe.
Verheerend war schliesslich eine Nachricht der Vizepräsidentin der Partei, die im Abstimmungsprozess das Wahlprogramm wegen «zahlloser Steuererhöhungen» beim gleichzeitigen Versprechen von neuen staatlichen Leistungen angesichts der Haushaltslage der Republik als «unernsthaft» bezeichnete. Das Schreiben sollte intern bleiben, wurde aber nur einen Monat vor der Wahl der «Kronen-Zeitung» zugespielt.
Die Migrationsfrage ist der Spaltpilz der SPÖ
Diese Indiskretion zeigte die Konflikte innerhalb der Partei noch deutlicher als die inhaltliche Bewertung des Wahlprogramms an sich. Die staatstragende SPÖ hat die Oppositionsrolle nie wirklich verinnerlicht. Die Wiener Sektion und die Gewerkschaften wollen unbedingt zurück an die Macht. Der intern dem Vernehmen nach als «Sekte» bezeichnete «Fundi-Flügel» um Babler droht das mit Kompromisslosigkeit zu gefährden.
Das Problem geht allerdings tiefer und über den derzeitigen Vorsitzenden hinaus. Besonders augenfällig wurde es, als der langjährige Bundeskanzler Werner Faymann 2016 an der in Wien von der SPÖ stets feierlich begangenen Kundgebung zum 1. Mai von Basis und Funktionären ausgepfiffen wurde. Es war eine Schmach, die ihn wenige Tage später zum Rücktritt veranlasste. Anlass für den Unmut war Faymanns Lavieren im Umgang mit der grossen Flüchtlingswelle 2015, von der Österreich stark betroffen war.
Seither versuchte es die SPÖ mit dem smarten Manager Christian Kern, mit der Medizinerin und ersten Frau Rendi-Wagner und nun mit Babler an der Spitze. Doch niemandem gelang es, diesen zentralen Konflikt zu befrieden. Doskozil und andere Länderchefs plädieren für einen restriktiven Migrationskurs nach dem Vorbild der dänischen Schwesterpartei, der linke Flügel und Wien nach wie vor für eine Willkommenskultur. Babler wollte heiklen Fragen aus dem Weg gehen, indem er im Wahlkampf dafür warb, rechtlich gegen Ungarn vorzugehen, das Asylsuchende einfach ins Nachbarland durchwinkt. Eine Lösung für die hiesigen Probleme wäre das indes nicht.
So debattiert die Partei seit Jahren über ihren Vorsitzenden und den Kurs – zuvor stets eine Spezialität der ÖVP. Die Folge ist ein stetiger Abstieg in der Wählergunst, während die Konservativen «nur» die von ihrem ehemaligen Star Sebastian Kurz dazugewonnenen Stimmen verloren und beste Chancen haben, das Kanzleramt zu verteidigen.
Dennoch ist ein erneuter Wechsel an der Spitze nach der Wahl zumindest offiziell kein Thema. Babler machte klar, dass er bleiben wolle. Ohnehin droht ein neuer Chef durch Zugeständnisse in allfälligen Koalitionsverhandlungen sogleich beschädigt zu werden. Stattdessen wurde Babler «eingehegt», wie es Beobachter formulieren. Die nun anstehenden Sondierungsgespräche führt er gemeinsam mit einem Team des «Realo-Flügels».