Montag, September 30

Das Provisorium beim Hardplatz bietet Platz für 650 Schülerinnen und Schüler. 2031 soll daraus eine eigenständige Mittelschule entstehen.

Man muss die neue Schule gut suchen. Sie liegt etwas versteckt hinter Zäunen, wo sich Bauschutt und unverbaute Materialien auftürmen und Unkraut wächst. Bagger, Baucontainer, Abfallkübel stehen herum. Ein Pingpongtisch wartet darauf, ausgepackt und seiner Bestimmung zugeführt zu werden. Über einen Trampelpfad verlaufen mehrere Kabel und Leitungen, flankiert von einem rot-weiss-roten Absperrband.

Ist man hier überhaupt richtig, auf dieser Brache in Zürich Aussersihl, wo am Montagvormittag das neue Schuljahr nach den Sommerferien beginnen soll?

Der Aussenposten der Bildungseinrichtung ist derart neu, dass Google Maps nur bedingt weiterhilft. Die Adresse generiert einen Punkt auf dem Smartphone, der auf das benachbarte Polizei- und Justizzentrum verweist. Das kann nicht stimmen.

Die Schule befindet sich tatsächlich hier, am Ende des Trampelpfads, hinter dem Bauschutt und den Baggern. Drei Gebäude sind auszumachen: zwei Schultrakte mit je drei Stockwerken und eine Turnhalle, in unmittelbarer Nähe der Gleise, die nach der Hardbrücke zum Hauptbahnhof führen – willkommen am Standort Hohlstrasse der Kantonsschule Wiedikon!

Morgens hier, nachmittags da

In den kommenden Jahren werden hier bis zu 650 Jugendliche zur Schule gehen. Vier Klassen der neu geführten Fachmittelschule am Wiedikon und deren zwei des ebenfalls neuen Matur-Profils Philosophie/Pädagogik/Psychologie werden komplett am neuen Standort in Aussersihl unterrichtet. Für Schülerinnen und Schüler von zehn weiteren Klassen heisst es: pendeln zwischen der gewohnten Umgebung in Wiedikon und dem Aussenposten beim Hardplatz; morgens hier, nachmittags da, oder tageweise.

«Das wird uns entlasten», sagt Urs Allenspach, der Rektor der Kantonsschule, an der feierlichen Eröffnung der Filiale am Montag. Bis vor den Sommerferien platzte sein Gymnasium aus allen Nähten. Der Raumbedarf war so gross, dass auf dem Sportplatz vor dem alten Schulhaus an der Goldbrunnenstrasse Container für zusätzliche Klassen aufgestellt werden mussten. Diese Zwischenlösung ist nun nicht mehr nötig.

Die Bauten beim Hardpatz sind ebenfalls als Provisorium gedacht – die Kantonsschule Wiedikon teilt das Schicksal von mehreren Zürcher Gymnasien, die ihren Schulraum erweitern und dabei auf provisorische Anbauten zurückgreifen müssen. Die Kantonsschule Uetikon etwa betreibt ebenfalls ein Provisorium mit 650 Plätzen, genauso wie die neu gegründete Kantonsschule Zimmerberg auf der Halbinsel Au in Wädenswil. Die Kantonsschule Limmattal will 2028 einen vorübergehenden Standort in Affoltern am Albis in Betrieb nehmen, und die Kantonsschule Hottingen hat am Montag eine provisorische Filiale für 150 Schülerinnen und Schüler in Oerlikon eröffnet.

Der Grund ist einfach: Die Bevölkerung wächst viel schneller als vor Jahren prognostiziert, und weil Mittelschüler nicht erst an Sankt Nimmerlein, sondern ab ihrem ersten Schultag Platz haben müssen an den Gymnasien, muss es vielerorts schnell gehen: Die beiden Schulhäuser und die Turnhalle der Kantonsschule Wiedikon in Aussersihl wurden in nur 15 Monaten realisiert. Kostenpunkt: gut 45 Millionen Franken.

Dass es so schnell ging, ist der modularen Bauweise zu verdanken: Vorfabrizierte Holzelemente ermöglichten es, dass die Gebäude Block für Block montiert werden konnten – nach dem gleichen Prinzip sollen sie eines Tages auch wieder auseinandergenommen und dann woanders fürs nächste Provisorium wiederverwendet werden können.

«Maker-Spaces»

Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) betonte am Montag jedoch, dass die Schülerinnen und Schüler der Kanti Wiedikon am Standort Hohlstrasse mehr als nur ein Dach bekommen, «damit es ihnen nicht auf den Kopf regnet». Die beiden Unterrichtstrakte erfüllten vielmehr sämtliche Kriterien einer modernen Lernumgebung: In den Gebäuden sind nicht nur Schulzimmer, sondern auch Räume untergebracht, in denen sich die Jugendlichen auf Prüfungen vorbereiten und Projekte vorantreiben können. Neudeutsch nennt man solche Zimmer «Maker-Spaces», zum Beispiel für ein Bauvorhaben in Informatik oder Physik.

Steiner freute sich besonders – weniger wegen Informatikprojekten oder solchen in Physik, die hier bald umgesetzt werden, sondern grundsätzlich: «Eine Schule zu eröffnen, ist etwas vom Schönsten, was es gibt», sagte die Bildungsdirektorin. Für Steiner markiert der Aussenposten der Kantonsschule, der sich nicht in Wiedikon, sondern ennet der Quartiergrenze im Kreis 4 befindet, gar ein neues Zeitalter: «Jetzt hat auch das frühere Arbeiterquartier ein Gymnasium», sagte die Mitte-Politikerin in ihrer Ansprache. Die Kanti Wiedikon sei prädestiniert, Bildung dahin zu tragen, «wo die Menschen mehr zu kämpfen hatten als anderswo».

Und was kommt nach dem Provisorium?

Geplant ist, dass die beiden Schultrakte und die Turnhalle in sieben Jahren zurückgebaut werden und durch ein definitives Projekt auf der heute ungenutzten Fläche des Areals ersetzt werden. Das soll dann der Grundstein für ein neues, eigenständiges Gymnasium sein: die Kantonsschule Aussersihl.

Provisorium für immer?

Doch das ist Zukunftsmusik. Warum überhaupt noch definitiv bauen, da provisorische Modulkonstruktionen doch genauso zweckmässig sind, wie die Verantwortlichen des Wiediker Aussenpostens betonen?

Steiner sagt: «Wir werden sehen, was 2031 sein wird.» Bis dahin gibt es am Standort Hohlstrasse einiges zu entdecken. Die WC etwa sind nicht mit «Schülerinnen» oder «Schüler» angeschrieben, sondern mit «XY» beziehungsweise «XX». Welche Chromosomen haben Männer noch einmal, und welche Frauen . . .? Zum Glück gibt es auch WC «für alle». Die beiden holzverkleideten Turnhallen mit Tageslicht haben viel mehr Charme als die unterirdischen Sportstätten der Mutterschule in Wiedikon.

Das Verpflegungskonzept ist speziell: Eine Mensa gibt es nicht. Im Aufenthaltsraum kann man Penne, Curry oder Ghackets mit Hörnli aus einem Kühlschrank beziehen und per Dampfgerät innert Sekunden selbst zubereiten. Ein Holzbau auf dem Vorplatz mit weiteren Menus für Schüler und die Quartierbevölkerung am Abend wird erst im nächsten Jahr den Betrieb aufnehmen.

Und die Pendelei zwischen Wiedikon und Aussersihl, für die «Nomadenklassen»? Laut Rektor Allenspach ist das kein Problem. Die Fahrt mit dem 72er-Bus von der Schmiede Wiedikon zum Hardplatz dauert acht Minuten. Das Gymnasium hat sogar ein Filmchen gedreht, das den Schülern zeigt, wie sie mit dem Velo von Wiedikon zum Aussenposten gelangen können.

Exit mobile version