Donnerstag, Oktober 3

Vor einem Jahr ist in Nordfrankreich ein Lehrer von einem Islamisten brutal ermordet worden. Der Bruder des Attentäters lastet den Behörden an, dass sie seine aus Tschetschenien stammende Familie nicht längst ausgeschafft hatten.

Dominique Bernard starb einen grausamen Tod. Der Französischlehrer wurde am 13. Oktober 2023 von einem ehemaligen Schüler in der nordfranzösischen Ortschaft Arras hingerichtet. Sein Mörder Mohammed Mogouchkov hatte ihm in den Vormittagsstunden auf dem Schulhof des Gambetta-Gymnasiums aufgelauert und dann mit den Worten «Allahu akbar» mehrfach zwei Messer in den Oberkörper gerammt.

Bernard sei für ihn eigentlich nur ein Symbol gewesen, erklärte der 20-jährige Mogouchkov später der Polizei. Ein Symbol für den verhassten Laizismus Frankreichs. Sicherheitskräfte hatten den aus Tschetschenien stammenden Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) lebend verhaften können. Auch sein 17-jähriger Bruder Selim wurde wegen «Beihilfe zum Mord im Zusammenhang mit einem terroristischen Vorhaben» und der Mitgliedschaft in einer «kriminellen terroristischen Vereinigung» in Gewahrsam genommen.

Radikalisiert durch den Weggang des Vaters

Der Anschlag entsetzte Frankreich. Nicht nur, weil fast auf den Tag genau drei Jahre zuvor mit dem Geschichtslehrer Samuel Paty ein anderer Pädagoge von einem Islamisten brutal ermordet worden war. Dessen Mörder, ebenfalls ein junger Tschetschene, war vor seiner Tat nicht auffällig gewesen. Im Falle Bernards erfuhr die Öffentlichkeit hingegen, dass Mogouchkov den Behörden schon lange bekannt war. Wegen enger Verbindungen zum IS hatte ihn der Inlandsgeheimdienst überwachen lassen und in die Gefährderliste aufgenommen. Auch hätte seine Familie das Land vor Jahren verlassen müssen.

Bereits 2014 hatte die zuständige Präfektur eine Ausweisungsanordnung erlassen, als feststand, dass die aus Russland geflohenen Mogouchkovs kein Bleiberecht besassen. Dagegen machten seinerzeit jedoch lokale Hilfsorganisationen und linke Politiker mobil. Die damalige sozialistische Regierung knickte unter den Protesten ein. Nur der Vater Kiadi Mogouchkov wurde 2018 schliesslich wegen des Verdachts häuslicher Gewalt ausgeschafft. Mohammed, seine Mutter und seine vier Geschwister, damals noch minderjährig, durften bleiben, weil man ihnen schwerlich nachweisen konnte, eine Gefahr für die staatliche Sicherheit darzustellen.

Für Selim Mogouchkov, den Bruder des Attentäters, beging Frankreich an dieser Stelle einen grossen Fehler. Der 17-Jährige, der seit April in Untersuchungshaft sitzt, wurde kürzlich von einer Psychiaterin angehört, wie «Le Figaro» am Donnerstag berichtete. Er habe nicht verstehen können, zitiert die Zeitung aus dem Gespräch, dass man nur seinen Vater ausgewiesen und so nur «halbe Arbeit» geleistet habe: «Wir hätten alle gehen sollen, die ganze Familie. Wir hatten in Frankreich nichts zu suchen», sagt Selim.

Der Weggang des Vaters, der die Familie mit religiösem Fundamentalismus prägte, sollte die Mogouchkovs weiter radikalisieren. So wurde Movsar, ein anderer Bruder Mohammeds, 2019 vom Inlandsgeheimdienst wegen eines vereitelten Plans eines Angriffes auf den Élysée-Palast verhaftet und im April 2023 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

«Die ganze Familie hätte gehen müssen»

Das Gutachten, das die Zeitung offenbar vorliegen hat, gibt einen interessanten Blick auf das Milieu, in dem sich die Mogouchkovs radikalisiert haben. So schaut Selim wie sein Bruder unversöhnlich auf die Werte seines Gastlandes; auf den französischen Laizismus, die Demokratie, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die mit seinem Glauben nicht vereinbar seien. Der junge Tschetschene, der sich weigerte, der Psychiaterin die Hand zu geben, sagte aus, dass er den Schleier für ein «verpflichtendes Zeichen der Sittlichkeit» halte, und findet, dass sich Muslime von Nichtmuslimen abgrenzen sollten, anstatt mit ihnen zusammenzuleben.

Es sei deswegen nur folgerichtig, gab Selim zu Protokoll, dass man seine Familie hätte des Landes verweisen sollen: «Wir fühlen uns unter uns wohler. Es ist offensichtlich, dass man gehen sollte, wenn man nicht gewollt ist.» Die Aussagen Mogouchkovs dürften Kritiker darin bestätigen, dass Frankreich trotz diversen Gesetzesverschärfungen noch immer zu lax mit Gefährdern umgeht.

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