Mittwoch, Oktober 9

Schärfe brennt – sie kann aber auch töten. Besonders Jugendliche und Kinder sind gefährdet, weil sie das Extreme lieben, es jedoch schlecht vertragen.

Wer an unangenehme Folgen von Schärfe denkt, erinnert sich vielleicht an ein Brennen im Mund, an Schweissperlen auf der Stirn, an einen schmerzhaften Gang auf die Toilette nach einem feurigen Mahl. Alles Nebenwirkungen, die mühsam, aber vergleichsweise harmlos sind. Denn Schärfe kann auch töten. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche.

Gezeigt hat dies die «Hot Chip Challenge», eine Mutprobe rund um einen einzelnen, extrem scharfen Tortilla-Chip. Im vergangenen Jahr kauften Menschen weltweit diesen Chip, um daran ihre Schmerzempfindlichkeit zu testen. Einige filmten sich dabei und stellten das Video ins Internet – zur Unterhaltung aller. Das Ganze nahm seinen Lauf.

Notärzte auf den Pausenhöfen

Der Chip ist so scharf, dass man ihn kaum mit nackter Hand berühren konnte. Die Hersteller in den USA und Europa, die die Challenge-Teilnehmer mit der scharfen Ware versorgten, lieferten den Chip zusammen mit einem Handschuh in einer sargförmigen Verpackung. Auf der Verpackung standen «Rest in Peace» und ein Sicherheitshinweis, dass man das Produkt von Kindern fernhalten soll. Wie es sich für einen extremen Social-Media-Trend gehört, erreichte der Chip dennoch die Pausenhöfe dieser Welt. Wenig später mussten die ersten Ärzte in die Schulen ausrücken.

Im deutschen Euskirchen wurde im August 2023 der Notruf betätigt, weil zwölf Fünftklässler den Chip probiert hatten und danach wegen Magenschmerzen sowie Haut- und Atemwegsreizungen klagten. Einen Monat später musste in der amerikanischen Stadt Worcester eine Mutter ihren 14-jährigen Sohn wegen ähnlicher Symptome aus der Schule abholen. Er zeigte ihr die sargförmige Verpackung. Wenig später verstarb er. Über einen Zusammenhang mit dem Verzehr des Chips wurde spekuliert, nun liefert der Autopsiebericht Gewissheit.

Der 14-Jährige sei an einem Herzstillstand gestorben, heisst es im Bericht, der am Donnerstag veröffentlicht worden ist. Die Ärzte haben einen angeborenen Herzdefekt und eine krankhafte Vergrösserung des Herzens festgestellt. Diese Leiden könnten zum Tod beigetragen haben. Als Hauptauslöser wird jedoch der Verzehr des Chips genannt. Der Jugendliche sei aufgrund «einer Lebensmittelsubstanz mit einer hohen Konzentration an Capsaicin» gestorben.

Ein Stoff, der Keime hemmt und Schleimhäute reizt

Capsaicin ist eine scharfe Substanz die in Chili, Paprika und Peperoni sowie Cayenne-Pfeffer auftritt. Der Stoff ist in Massen ungefährlich, wirkt unter Umständen sogar positiv. Er kann die Körpertemperatur senken, Keime hemmen, Endorphine freisetzen und so das allgemeine Wohlbefinden steigern , wie es auch Ausdauersport, Lachen oder Sex tun.

Capsaicin kann aber auch negative Wirkungen hervorrufen: Reizungen der Magen- und Darmschleimhäute etwa, was beispielsweise Durchfall auslösen kann. Die Folgen können aber auch schwerwiegender sein. Als die «Hot Chip Challenge» an Popularität gewann, löste dies auch Warnungen von Konsumentenschützern und Gesundheitsämtern aus.

Für Kinder ist Schärfe besonders gefährlich, weil ihr Verdauungstrakt noch nicht an den Stoff gewöhnt ist. Kleinkinder sollten gar keine scharfen Lebensmittel konsumieren. In dieser Altersgruppe seien «schwerwiegende gesundheitliche Probleme» beim Verzehr von Capsaicin möglich, schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) auf Anfrage.

Ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestalter für den Konsum von scharfem Essen, wie es etwa für Alkohol gilt, gibt es weder in Deutschland noch in der Schweiz. Für scharfe Lebensmittel gelten die allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelgesetzes. Etwa, dass Lebensmittel die Gesundheit der Konsumenten nicht gefährden dürfen.

Der scharfe Chip war gesundheitsgefährdend

Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung (BfR) empfiehlt für Erwachsene, pro Mahlzeit maximal 5 Milligramm Capsaicin pro Kilogramm Körpergewicht einzunehmen. Ein Erwachsener, der 60 Kilogramm wiegt, sollte also höchstens 300 Milligramm Capsaicin essen. Für Minderjährige fehlt ein Richtwert. Potenziell gesundheitsgefährdend wird es laut dem BfR, sobald Lebensmittel mehr als 6000 Milligramm pro Kilogramm enthalten. Das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen stützt diese Ansicht.

Der Capsaicin-Wert, der in einem Produkt steckt, wird selten auf einer Verpackung angegeben, und er kann schwanken. Beim «Hot Chip» aus Tschechien war dies besonders extrem. Wie Tests des Hessischen Verbraucherschutzes zeigten, war in den Chips zwischen 4000 und 19 750 Milligramm Capsaicin pro Kilogramm enthalten. Zum Vergleich: Tabascosauce enthält 100 bis 300 Milligramm Capsaicin pro Kilogramm. In Deutschland wurde das Produkt in mehreren Bundesländern verboten. In der Schweiz ist es noch verfügbar.

Die «Hot Chip Challenge» ist längst aus den sozialen Netzwerken verschwunden, sie wurde von neuen Mutproben verdrängt. Ein Hersteller versucht jedoch, an den Erfolg der Challenge rund um den scharfen Chip anzuknüpfen. Mit Erfolg: Wieder wird ein einzelner Chip in einer sargförmigen Verpackung in die Kameras gezeigt. Neu ist er aber extrem salzig statt extrem scharf. Zwei Gramm Salz auf fünf Gramm Chips sind enthalten. So viel, wie ein Kind unter fünf Jahren laut WHO höchstens pro Tag verzehren soll. Die Warnungen der Konsumentenschützer liessen nicht lange auf sich warten.

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