Durch Scorseses Film «Killers of the Flower Moon» sind die Osage in Oklahoma einem breiten Publikum bekannt geworden. Ihr Chief Standing Bear erzählt von den Dreharbeiten und davon, was nach dem Ölboom in den 1920er Jahren und der Mordserie geschah.

Martin Scorseses neuster Film «Killers of the Flower Moon» (2023) erzählt, wie 1897 auf dem Territorium der Osage in Oklahoma Öl gefunden wurde. Dem indigenen Volk der Osage war es anders als anderen Native Americans durch geschickte Verhandlungen gelungen, die Bodenrechte zu behalten. Dadurch wurden sie während des Ölbooms in den 1920er Jahren zu den reichsten Leuten der Welt. Sie wohnten in Villen, hatten weisse Chauffeure, tanzten Ballett, unternahmen Europareisen und studierten an den besten Universitäten des Landes.

Aber der Wohlstand der Osage, die zu den Sioux-Indianern gehören – «Wilde» in den Augen vieler damaliger Amerikaner –, weckte Missgunst unter den Weissen. Mindestens sechzig Osage kamen vor hundert Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben. Das eben erst gegründete FBI ermittelte und deckte eine weitverzweigte Verschwörung auf. Die Mordserie ging auf das Konto von weissen Bürgern, die zuvor als ehrenwerte Stützen der Gesellschaft und «Freunde der Indianer» gegolten hatten.

Einige von ihnen hatten sogar Osage-Frauen geheiratet, um sie dann umzubringen, wie Ernest Burkhart (im Film gespielt von Leonardo DiCaprio), der versuchte, seine Frau Mollie (gespielt von Lily Gladstone) zu vergiften, obwohl er sie doch zugleich – irgendwie – liebte. Er spekulierte darauf, ihre Schürfrechte zu erben, die 7 Millionen Dollar wert waren (was einem heutigen Wert von 166 Millionen entspricht). Burkhart wurde 1929 zu lebenslanger Haft verurteilt, ebenso sein einflussreicher Onkel William King Hale, im Film gespielt von Robert De Niro.

Niedergang und Aufschwung zugleich

Der Film zeigt aber auch, wie die Weissen den Native Americans mit juristischen Winkelzügen das Geld abluchsten. Ein Gesetz von 1921 entmündigte die Osage gewissermassen kollektiv; jedem von ihnen wurde ein – natürlich weisser – Vormund zur Seite gestellt, der mehr oder weniger über ihr Vermögen verfügen konnte.

«Killers of the Flower Moon» endet Ende der 1920er Jahre. Doch bis heute kämpfen die Osage um Wiedergutmachung, aber vor allem um das Recht, das Öl endlich zu ihren eigenen Bedingungen zu fördern. Nach endlosem Tauziehen zahlten die USA im Jahr 2011 den Osage eine Entschädigung von 380 Millionen Dollar.

Wer heute durch das Osage-Reservat in Oklahoma fährt, erlebt eine spärlich bewohnte Landschaft, in der lediglich noch hie und da kleine Pumpen zu sehen sind, die Öl fördern. Während vor hundert Jahren mehr als 5 Millionen Barrel pro Jahr gefördert wurden, sind es heute nur noch etwa 140 000 Barrel; verlassene, verrostete Anlagen belasten die Umwelt. Auffälliger sind aber die riesigen Propeller der Windturbinen. Der Hauptort des Reservats, Pawhuska mit rund 3000 Einwohnern, scheint zugleich im Niedergang und im Aufschwung begriffen. Ein grosser Teil der Gebäude steht leer und ist verlottert. Selbst im Zentrum türmt sich hinter vielen schmutzigen Schaufenstern Müll und Schutt.

Es gibt verstaubte Secondhandläden, Kunsthandwerkboutiquen, die sich eher als Brockenstuben herausstellen, Geldverleiher, eine Bar, wo man Axt werfen kann, das Büro einer Lokalzeitung, das immer geschlossen ist, und eine Sattlerei, deren verbitterter Inhaber Don Moe sagt: «Wenn du weder Indianer noch Outlaw bist, hast du hier keine Chance.» Sogar das Bestattungsunternehmen ist eingegangen.

Aber daneben wächst Leben aus den Ruinen. Das Hotel Frontier erstrahlt in altem Glanz, mehrere neue Läden, Restaurants und eine gepflegte Bar verbreiten in Pawhuska seit einigen Jahren Aufbruchstimmung. Auffällig sind auch die exotischen Schriftzeichen an einigen Gebäuden. Es handelt sich dabei um die neue Osage-Schrift, die 2006 eingeführt wurde.

«Leider sah man die Stars nur selten»

Der Aufschwung hat auch mit dem Film «Killers of the Flower Moon» zu tun, der zum grossen Teil in Pawhuska gedreht wurde. Lisa Hailey, Receptionistin im Hotel Frontier, sagt: «Es war verrückt. Sonst läuft ja hier nichts. Aber dann waren plötzlich all diese Stars hier: Scorsese, DiCaprio, De Niro. Leider sah man sie nur selten. Sie filmten vor allem in den leerstehenden Gebäuden, und in den Pausen verschwanden alle in einem Zelt. Sie wohnten in einem Haus in Bartlesville. Unser Hotel wurde leider erst nach den Dreharbeiten eröffnet.»

Das Gebäude wurde 1916 errichtet. Während des Ölbooms in den 1920er Jahren waren im sogenannten Triangle Building über hundert Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Geschäfte, Zigarrenläden, Schönheitssalons und Juweliere untergebracht. Aber nach der Mordserie und dem Auftauchen des FBI war die Bonanza vorbei, und das Gebäude stand jahrzehntelang leer – bis es als Hotel wiederauferstand.

Ein Anwalt als Chief

Ein weiterer Grund für die Renaissance von Pawhuska ist der dynamische Osage-Chief Geoffrey Standing Bear. Der 70-Jährige praktizierte 34 Jahre lang als Anwalt, bis er 2014 zum Chief gewählt wurde. Es geht ihm nicht nur darum, die Osage-Kultur zu bewahren, sondern auch darum, sie zugleich auf eine kreative Weise in die Moderne zu führen. Sein Umgang mit Scorseses Filmprojekt veranschaulicht das schön.

Man trifft sich im Empfangszimmer eines Verwaltungsgebäudes hoch über Pawhuska. Der Chief trägt Jeans und Hemd, ist quicklebendig und herzlich. Als Erstes weist er auf eine grosse Trommel im Hintergrund. «Sie ist sehr alt», sagt er. Er erklärt, dass die Trommel den Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft verkörpere. «Im Sommer versammeln wir uns auf dem grossen Platz um sie. Sie hält uns zusammen und bringt uns in Verbindung mit Gott. Deshalb ermahnten uns die Vorfahren: Folge der Trommel.»

Er erwähnt, dass auf demselben Sofa vor ein paar Jahren «Marty, Leo und Robert» sassen, also Scorsese, DiCaprio und De Niro, die Stars des Films. «Umgängliche Leute, authentisch, offen; wir haben viel gelacht.»

Er erzählt: «Schon als Scorsese hier gleich beim ersten Treffen sagte, dass er gerne in Pawhuska, an den Originalschauplätzen und möglichst authentisch, drehen würde, spürte ich, das kommt gut.» Scorsese habe genau zugehört. «Sie fuhren viel herum und schauten sich alles an. Scorsese wollte auch die Kostüme hier schneidern lassen, und wir organisierten in kurzer Zeit Frauen, die die alten Techniken noch beherrschten. Auch beim Set und bei den Requisiten wollte er, dass wir möglichst viel selbst machten.» Aber dann kam Covid-19. «Alle verschwanden, und wir wussten nicht, ob sie wiederkommen würden.»

Scorsese befragte die Osage-Leute monatelang

Doch sie kehrten zurück. Scorsese nahm sich monatelang Zeit, um herumzugehen und die verschiedensten Leute zu fragen, was sie von dem Projekt hielten. Schliesslich entschloss er sich, das Drehbuch umschreiben zu lassen. «In der neuen Version ging es weniger um das FBI und mehr um Mollie, die Osage-Frau, die Ernest Burkhart heiratet und die er schliesslich umbringen will, um ihre Schürfrechte zu erben.» Die indianische Perspektive rückte in den Mittelpunkt. «Scorsese wollte, dass wir einen Sprachkurs organisieren, und nach einem Monat intensivem Training sprachen die Hauptdarsteller praktisch Osage. Während der siebenmonatigen Dreharbeiten blieben die Lehrer immer als Coachs auf dem Set.»

Ist er enttäuscht, dass der Film, und insbesondere die Schauspielerin Lily Gladstone, am Ende keinen Oscar erhielt – trotz zehn Nominationen? «Nein, ich bin glücklich über den Film und das Echo, das er ausgelöst hat», antwortet er. «Als ich ein Kind war, sprachen selbst meine Verwandten nur hinter vorgehaltener Hand über diese Tragödie. Nun kennt sie die ganze Welt. Unsere Leute konnten bei der Verleihung vor einem Millionenpublikum die traditionellen Lieder mit den Trommeln vorführen – das war eine berührende Premiere, nicht nur für uns, sondern für alle Indigenen.»

Was nach den Morden und der FBI-Untersuchung geschah

Was geschah eigentlich mit den Osage nach den Morden und der FBI-Intervention, mit der der Film endet? «Diese Frage stellte auch DiCaprio, und als die Dreharbeiten zu Ende waren, sagte er, er wolle mir einen Film mit der Nachgeschichte schenken.» Dieser Dokumentarfilm, produziert von DiCaprios Vater George, wird dieses Jahr herauskommen.

Er heisst «Long Knife». «Es geht darin um die skrupellosen Koch-Brüder», sagt Standing Bear, «vor allem Charles Koch, der nicht zuletzt dank unserem Öl zum Multimilliardär wurde. Es geht um ein Komplott zwischen Ölfirmen und der Politik, Skrupellosigkeit, Verachtung und organisierten Raub im grossen Stil. ‹Long Knife› war der Übername, den meine Leute dem Superintendenten gaben, dem Vertreter der US-Regierung. Wir lebten eigentlich unter Besetzung, und so ist es zum Teil heute noch.»

Etwa 1,5 Milliarden Barrel Öl seien hier gefördert worden, mehr oder weniger unter Umgehung der Osage-Rechte. «Mindestens ebenso viel liegt immer noch im Boden. Aber sie versuchen uns davon abzuhalten, die Reserven zu unseren eigenen Bedingungen zu fördern. Sie sagen uns: Bohrt nicht, denn ihr wisst nicht, wie man es macht, und ihr werdet am Ende alles verlieren. Das verschreckt unsere Ältesten. Es ist die gleiche Allianz von Bürokraten, Unternehmen und Politikern wie eh und je.» Plötzlich bricht er ab und sagt: «Ich habe mich in Rage geredet . . . Aber so ist es.»

Die Windenergie-Firma muss ihre Turbinen wieder abbauen

In eine ähnliche Richtung geht das Seilziehen mit der italienischen Firma Enel um Windenergie. Die Firma hatte zwar die Rechte für das Bauland eingeholt, aber nicht für den Untergrund, der den Osage gehört. Da tief gegraben werden musste, hätte Enel auch die Erlaubnis des zuständigen Osage-Rats einholen müssen. Laut Standing Bear begann die Firma 2011 mit dem Bau von 84 Windturbinen. «Sie sprachen kein einziges Mal mit uns und planten Hunderte von weiteren Turbinen. Wir versuchten mit ihnen zu verhandeln, aber man liess uns abblitzen.» Die Osage-Verwaltung beschritt den Gerichtsweg, aber ihre Begehren wurden immer wieder abgeschmettert. Nach elf Jahren Kampf gab ihnen ein Bundesrichter recht. Im letzten Dezember wurde entschieden, dass Enel die Windturbinen abbauen muss. Das kommt die Firma inklusive Wiedergutmachung auf 259 Millionen Dollar zu stehen.

Die Osage sind nicht gegen erneuerbare Energie, im Gegenteil. Aber als Folge der früheren Manipulationen reagieren sie empfindlich auf selbstherrliche Unternehmer.

Die Wiederbelebung der ausgestorbenen Sprache

Das eine ist die Ausbeutung des Landes, das andere der Niedergang der Kultur. 2005 starb mit Lucille Robedeau die letzte Person, deren Muttersprache Osage gewesen war. Damit galt die Sprache offiziell als ausgestorben. Das hatte auch mit der forcierten Assimilation und Durchmischung der Osage zu tun. Heute gibt es bloss noch fünf «Vollblut»-Osage. In den gemischten Familien wurde meist Englisch gesprochen.

Doch dann geschah ein Wunder. Eigentlich war Osage nur eine gesprochene Sprache gewesen. Aber 2006 entwickelte eine Gruppe von Osage eine Schrift mit nichtlateinischen Buchstaben. 2009 gab es bereits wieder zwanzig Schüler, die Osage als Zweitsprache, mitsamt der Schrift, beherrschten. Gegenwärtig besuchen etwa 300 Schüler Osage-Immersionskurse.

Standing Bear unternimmt intensive Anstrengungen, um die Sprache wiederzubeleben. Stolz zeigt er das Osage-Alphabet auf seinem Handy und demonstriert, wie er damit Nachrichten versenden kann. Momentan arbeiten seine Leute an einem Übersetzungsprogramm. Er ist auch in Verhandlung mit einer Gruppe von Wissenschaftern, um das Hologramm eines Osage-Ältesten herzustellen, der die Jungen bei der Aussprache ihrer Sprache korrigieren könnte. «Mit AI sollte das möglich sein.» Auch ein Scrabble auf Osage wird entwickelt, und momentan experimentieren sie mit digitalen Simulationen. «Da kann ein Osage dann zum Beispiel in der virtuellen Realität einen Zeremonieplatz betreten und dort die Trommel schlagen.»

Es ist faszinierend, wie Standing Bear modernste Technologien einsetzen möchte, um die traditionelle Kultur zu retten. «Es geht eben nicht nur um Konservierung», sagt er, «sondern um Wiederbelebung. Die Jungen verwenden heute neue, mir unbekannte Osage-Ausdrücke für moderne Dinge wie Laptops oder Smartphones. Es geht jedoch nicht nur um Wörter. Die Osage-Begriffe lassen sich nicht einfach auf Englisch übersetzen, denn sie umfassen eine ganze Weltsicht. So impliziert zum Beispiel der Ausdruck für Trommel, dass es sich um ein lebendes Wesen oder eine Person handelt. Diese Nebenbedeutungen fehlen im englischen Wort ‹drum›. Die Sprache enthält die DNA einer Kultur. Die Art, wie man spricht, ist auch eine Art, zu denken und zu handeln.»

Dank schnellerem Internet die Leute ins Reservat zurückholen

Auch die Einführung eines schnelleren Internets im Reservat ist ihm ein Anliegen. «Damit können wir die Abwanderung stoppen und Leute dazu bewegen zurückzukehren. Heute leben nur noch etwa 6800 von insgesamt 25 000 Osage im Reservat; aber mit besseren Internetverbindungen könnten viele Arbeiten von hier aus gemacht werden. Man müsste dazu nicht mehr in die grossen Städte emigrieren.»

Auf eine Kombination von Tradition und Moderne laufen auch die Kasinos hinaus. Standing Bear bewilligte den Bau und Betrieb von sieben Kasinos auf Reservatsgebiet. Er ist sich der Vor- und Nachteile bewusst. «Aber die Kasinos schaffen Arbeitsplätze und generieren Profit», sagt er. «Ein grosser Teil des Gewinns wird in Bildung investiert, und zwar vor allem im technischen Bereich. Wir waren einer der wenigen Stämme, denen es dank geschickten Verhandlungen gelungen ist, die Rechte über das Öl in unserem Boden zu behalten. Die Weissen haben sich grausam an uns gerächt für diese ‹Frechheit›. Auch heute können wir unsere Kultur nur ins 21. Jahrhundert hinüberretten, wenn wir die Traditionen mit Geld, Bildung und moderner Technologie kombinieren können.»

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