Montag, Januar 20

Ein 63-Jähriger ist schuldig befunden worden. Er erhält 45 Monate Freiheitsstrafe für mehrere Gewaltdelikte.

Es war ein Prozess, der die Strafjustiz an die Grenzen ihrer Funktionalität brachte: Die erste Anklage war bereits im Januar 2023 fertig. Die Gerichtsverhandlung dazu musste aber immer wieder kurzfristig neu terminiert und verschoben werden; wegen eines plötzlichen Verteidigerwechsels, aber vor allem auch wegen des Gesundheitszustands des Beschuldigten. Er machte starke Rückenschmerzen geltend.

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Im Juni 2024 wurde er schliesslich auf einer Transportliege in den Gerichtssaal gerollt. Bei der Befragung verweigerte er jegliche Aussage zur Sache. Auch die Mitwirkung an einem psychiatrischen Gutachten hatte er zuvor verweigert. Der Prozess wurde abgebrochen, da dem Beschuldigten eine lange Verhandlung nicht zumutbar sei. Von der weiteren Verhandlung dispensieren lassen wollte er sich auch nicht. Er wolle hören, was die Parteien zu sagen hätten.

Erst am 7. Januar 2025 wurde der Prozess mit den Plädoyers fortgesetzt. Wieder wurde der Beschuldigte auf einer Transportliege ins Gerichtsgebäude gebracht. Diesmal verfolgte er den Prozess allerdings von einem Nebenzimmer aus per Videoübertragung.

Auf eine mündliche Urteilseröffnung verzichtete er, so dass das Urteil schriftlich erfolgte. Das Bezirksgericht Zürich hat es nun am Montag veröffentlicht. Und obwohl es sich nur um das unbegründete Dispositiv handelt, ist es neun Seiten lang.

Freispruch vom Anfangsvorwurf der Drohung

Das Urteil entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechnet vom ursprünglichen Tatvorwurf der mehrfachen Drohung, der überhaupt zur Strafuntersuchung und zu allen weiteren Vorfällen sowie Tatvorwürfen führte, ist der 63-jährige Informatiker freigesprochen worden.

Zunächst ging es nämlich nur um einen Streit um eine Zimmerpflanze. Der Beschuldigte soll zu seiner Partnerin gesagt haben, sie sei eine tote Frau, wenn die Pflanze sterbe. Sie reichte Strafanzeige ein.

Im Mai 2022 hatte der Tessiner deswegen einen Termin bei der Staatsanwaltschaft. Dort verstaute er einfach seine Strafakten in einer Aktentasche. Als ihn die zuständige Staatsanwältin mehrfach aufforderte, dies sein zu lassen, stiess er sie zu Boden, traktierte sie mit heftigen Faustschlägen ins Gesicht und verletzte sie. Eine Polizistin, die aufgrund der Schreie ins Büro eilte, wurde ebenfalls verprügelt.

Der Beschuldigte konnte durch einen Notausgang auf die Strasse flüchten. Dort kam es zu einem Gerangel mit drei weiteren Polizisten. Dabei soll der Informatiker versucht haben, eine entsicherte und schussbereite Dienstwaffe eines der Polizisten zu behändigen. Der Verteidiger behauptet, die Rückenschmerzen des Beschuldigten seien Spätfolgen dieser gewaltsamen Verhaftungsaktion.

Im Januar 2024 wurde der Beschuldigte dann auch noch gegen einen Aufseher im Gefängnis in Dietikon gewalttätig. Er schlug ihm zweimal mit einer Krücke aus Aluminium heftig mit voller Wucht gegen den Kopf. Der Aufseher konnte die Schläge mit seinem Arm abwehren. In all diesen Punkten ist der Informatiker nun vom Bezirksgericht Zürich schuldig gesprochen worden.

Höhere Strafe als vom Staatsanwalt gefordert

Er hat die Tatbestände der versuchten schweren Körperverletzung, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, der versuchten Gefährdung des Lebens und der Hinderung einer Amtshandlung erfüllt.

Dafür wird er mit vollziehbaren 45 Monaten Freiheitsstrafe und einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 30 Franken belegt. 964 Tage hat er zum Urteilszeitpunkt schon abgesessen.

Das Gericht ging damit über den Antrag des Staatsanwaltes hinaus. Dieser hatte 39 Monate Freiheitsstrafe, aber auch die Anordnung einer stationären Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB gefordert. Auf eine solche Massnahme verzichtet das Gericht. Der Gerichtsgutachter war zu dem Schluss gekommen, dass eine psychische Störung naheliegend sei, ohne die Mitwirkung des Beschuldigten könne er aber keine zuverlässige Diagnose stellen.

Der Beschuldigte muss der verprügelten Staatsanwältin eine Genugtuung von 5000 Franken bezahlen. Die Polizistin erhält 500 Franken Genugtuung. Eine grundsätzliche Schadenersatzpflicht wurde festgestellt. Der Informatiker muss auch die Anwaltskosten der Staatsanwältin und der Polizistin von zusammen rund 31 000 Franken übernehmen.

Die Entschädigungs- und Genugtuungsbegehren des Beschuldigten wurden hingegen abgewiesen. Sein Verteidiger hatte 300 Franken für jeden Tag Überhaft als Genugtuung und zusätzlich 500 Franken pro Hafttag als Erwerbsausfall verlangt. Im Übrigen hatte der Verteidiger auf Freisprüche und im Fall von Verurteilungen auf Straflosigkeit plädiert, weil der 63-jährige Informatiker schon genug gelitten habe.

Zudem wird dem Verurteilten für die Dauer von 5 Jahren verboten, mit der Staatsanwältin, die er verprügelt hatte, in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Und es wird ihm untersagt, das Gebiet des Arbeitsortes der Staatsanwältin, also die Umgebung des Zürcher Bezirksgebäudes, in den nächsten 5 Jahren zu betreten. Auch die Erstellung eines DNA-Profils wurde angeordnet.

Urteil DG230009 vom 14. 1. 2025, noch nicht rechtskräftig.

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