Mittwoch, Oktober 30

Bei der kombinierten UBS rollt die Kündigungswelle an. Credit-Suisse-Mitarbeiter mit guten Nerven können die Umbauphase geniessen – die Nagelprobe folgt 2024.

Die Stimmung ist miserabel, schlecht, unterirdisch. Das sagen Mitarbeiter der Credit Suisse über ihren Arbeitgeber. Outplacement- und Karriereberater rieten Mitarbeitenden unmittelbar nach dem Scheitern der Grossbank dazu, sich möglichst rasch neu zu orientieren. Wer lange warte, strahle Phlegma und Unbeweglichkeit aus. Das wolle kein Arbeitgeber. Gefährlich sei die Situation vor allem für über 50-Jährige, die lange bei der Bank seien und wenig direkten Kundenkontakt hätten.

«Ein Jahr mal nichts machen»

Aber ist das wirklich so? Er sei ganz entspannt, erzählt einer dieser vermeintlich bemitleidenswerten Banker. Er ist 50 Jahre alt, habe zwar seit Monaten nicht mehr viel zu tun, seine Position werde aufgelöst. Möglicherweise öffne sich bei der UBS aber eine gute Türe, das wolle er noch abwarten. Ein Job-Angebot der Konkurrenz hat er ausgeschlagen. Der Lohn wäre etwas tiefer gewesen; zudem hätte er bei seinem zeitlich gestaffelten Bonus grössere Abstriche machen müssen. Das wollte er nicht. Zudem hat er eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten. «Ich habe die letzten zwanzig Jahre so viel gearbeitet, ich bin nicht unglücklich, wenn ich ein Jahr nichts machen muss», sagt er und lacht etwas entschuldigend.

Ähnlich tönt es von einem gut 50-jährigen Trader. Er gehe es momentan ruhiger an, habe Freude an Wellness gefunden und treffe viele alte Freunde wieder. Besonders besorgt ist er nicht, es werde sich schon etwas finden. Anekdoten dieser Art kursieren einige.

Ein CS-Angestellter, der in einer Stabsstelle arbeitete, müsste wohl ziemlich beunruhigt sein, würde man meinen. Konzernstäbe sind nach Fusionen und Übernahmen per se doppelt besetzt, sprich: Auf jeder Funktion ist eine Arbeitskraft überzählig. Doch der CS-Angestellte ist längst bei einer Beratungsfirma untergekommen, und auch den bald ehemaligen Kolleginnen und Kollegen geht es bestens. Einer hat einen neuen UBS-Vertrag, zwei sind bei anderen Banken untergekommen, ein vierter lässt die Dinge auf sich zukommen. Der Arbeitsmarkt im Grossraum Zürich scheint einen Grossteil des CS-Personals zu absorbieren.

Arbeitsmarkt und Sozialpläne helfen

Geht es den vermeintlich armen Bankern also bestens? Ein Branchenkenner spricht von Klagen auf hohem Niveau. Grundsätzlich ist die Arbeitslosigkeit gering, und viele Banker sind hochqualifiziert. Viele, denen die Situation nicht passt, haben sich denn auch bereits umgeschaut und gute Alternativen gefunden. Das ist auch der Grund, warum es trotz Stellenabbau keinen grossen Aufschrei unter dem Personal gegeben hat.

Für Gelassenheit sorgen aber auch die Sozialpläne der Bank, die sogar der Bankpersonalverband als «grosszügig» bezeichnet hat. Für Mitarbeitende unter 50 Jahren beträgt die Sozialplandauer mit voller Lohnfortzahlung je nach Anzahl Dienstjahren zwischen acht und zwölf Monaten. Alle Mitarbeitenden ab Alter 54 oder ab zehn Dienstjahren erhalten zwölf Monate Zeit zur Neuorientierung – mit voller Lohnfortzahlung. Alle Mitarbeitenden ab Alter 58 erhalten zusätzlich eine Abfindung, die sich nach der Höhe des Bruttosalärs und der Anzahl Monate vom Datum des Austritts aus der Bank bis zum ordentlichen Pensionierungsalter berechnet.

Sozialpläne, die in der Not ausgehandelt würden, sähen ganz anders aus als bei CS/UBS, wo das Rückgrat der Firma solide sei, sagt Pierre Derivaz, Rechtsanwalt beim Verband Angestellte Schweiz. Üblich seien Kündigungsfristen von lediglich drei bis sechs Monaten.

Fallen Grossbanker also weicher? Massenentlassungen waren in den letzten Jahren selten. Zudem werden die Arrangements häufig nicht öffentlich bekanntgegeben. So kündigte der Winterthurer Industriebetrieb Rieter vor kurzem den Abbau von 400 bis 600 Stellen an, die meisten davon im Ausland. Welche Bedingungen für die betroffenen Mitarbeiter in der Schweiz gelten, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht sagen. Auch der Medienkonzern CH Media beschränkte sich nach der Ankündigung von einem Abbau von 150 Stellen darauf, summarisch auf den Sozialplan zu verweisen.

Medienbranche rechnet knapper

Bekannt – und härter als für die Bankangestellten – waren die Bedingungen jedenfalls bei Tamedia, nachdem der Konzern 2018 beschlossen hatte, die Printausgabe von «Le Matin» einzustellen und 41 Mitarbeitenden zu kündigen. Hier sind die Angaben publik. Zunächst wollte das Unternehmen eine Entschädigung von null bis maximal fünf Monatslöhnen zahlen. Die Arbeitnehmer protestierten. Weil sich die Sozialpartner nicht einigen konnten, landete der Fall vor einem Schiedsgericht. Es beschloss Entschädigungen von drei bis zwölf Monatslöhnen.

Pro volles Dienstjahr gab es gemäss dem Anwalt Pierre Derivaz schliesslich ein halbes Monatsgehalt plus ein halbes Monatsgehalt pro unterstützungspflichtiges Kind. Gemäss der Gewerkschaft Syndicom war das immerhin mehr als doppelt so viel wie das ursprüngliche Angebot des Medienkonzerns.

Grosszügiges Abfedern auch bei Novartis

Ähnlich wie nun die UBS konnte es sich auch der Pharmakonzern Novartis leisten, den 2019 angekündigten Abbau von 2000 Arbeitsplätzen mit hohen Abfindungen und Frühpensionierungen für ältere Mitarbeiter abzufedern. Die Basisformel war Monatslohn mal Dienstjahre mal Alter geteilt durch 100. Ein allgemeiner Überblick ist allerdings wegen der vielen Unterkategorien und der Altersstaffelung schwierig. Im angelsächsischen Stil hatte der Basler Konzern Vorkündigungen ausgesprochen, bei denen die eigentliche Kündigung vier Monate im Voraus angekündigt wurde. Zusammen mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist ergab sich daraus eine Frist für die Neuorientierung von zehn Monaten.

Zu einem Sozialplan gehören in der Regel auch Outplacement-Leistungen. Auch ihr Umfang hängt davon ab, wie angespannt die Finanzsituation einer Firma ist.

Bei der Grossbank werden gemäss Angaben der Bank alle betroffenen Mitarbeitenden individuell betreut. Dazu zählen individuelle Coaching-Sitzungen, berufliche Standortbestimmung, Besprechungen zu den Möglichkeiten der internen und externen Stellensuche sowie Weiteres wie Stages, Projekteinsätze oder Aus- und Weiterbildungen. Zudem gibt es gemäss UBS unabhängig von Rang und Alter eine Zulage für Aus- und Weiterbildung von bis zu 12 000 Franken pro Person.

In anderen Branchen liegt weniger drin. Im Schnitt würden pro Person oft 6000 bis 9000 Franken ausgegeben, um die Betroffenen bei der beruflichen Neuorientierung zu unterstützen, so der Anwalt Derivaz.

Die Nagelprobe kommt 2024

Derzeit sind viele Kündigungen noch nicht ausgesprochen, dementsprechend hängen die Angestellten in der Luft. Wer bisher ein gefragter Mann oder eine verdiente Frau war, mag mit einer Mischung aus Zuversicht und Bequemlichkeit auf das Beste hoffen und in den langen Lohnfortzahlungen ein komfortables Auffangnetz erkennen.

Die Grossbank-Mitarbeitenden haben das Glück, in einer Branche zu sein, in der immer noch viel Geld vorhanden ist. Daher kann es sich die Grossbank leisten, den Preis für den sozialen Frieden zu zahlen und den potenziellen Aufschrei mit gutem Geld abzufangen.

Wie viele Mitarbeitende bisher von sich aus gekündigt haben, sagt die Grossbank nicht. Gerade die Leistungsträger warten nicht darauf, dass man ihnen kündigt; sie bestimmen den Zeitpunkt des Abgangs lieber selbst. Der Preis dafür ist der Verzicht auf die Lohnfortzahlung mit möglicherweise wenig Arbeitsaufwand bei der Grossbank.

Die Anekdoten von goldenen Fallschirmen und Bankern, die eine finanziell entspannte und erholsame Zeit im «gardening leave» verbringen, können bei anderen durchaus Neidgefühle auslösen. Die echte Nagelprobe kommt für die «Sesshaften» aber erst, wenn es 2024 gegen Ende der Lohnfortzahlungen bei der Jobsuche ernst wird.

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