Donnerstag, Oktober 3

Brand Nummer sechs bricht in einem Wohnhaus aus. Am vergangenen Dienstag quillt plötzlich Rauch aus einem Nebenraum des Gebäudes im Weiler Wenzikon bei Elgg. Kurz nach 17 Uhr wählen Anwohner den Notruf. Die Feuerwehr kann den Brand zwar rasch löschen, aber zurück bleiben Rauch, Russ und eine unheimliche Gewissheit: Es war Brandstiftung.

Seit März sind in der kleinen Zürcher Gemeinde mehrere Brände gelegt worden. Zuerst brannte ein leerstehendes Gebäude im historischen Dorfkern, dann eine Scheune und ein freistehender Schopf. Elgg ist nicht die einzige Zürcher Landgemeinde, die in den letzten Monaten von einer Brandserie in Atem gehalten worden ist. Auch in Bonstetten sind Holzstapel, Scheunen und ein leerstehendes Bauernhaus in Flammen aufgegangen. Auch in der 5000-Einwohner-Gemeinde ist es Brandstiftung.

In den Dörfern fragen sich die Leute: Weshalb tut jemand so etwas? Und vor allem: Sind die Täter unter uns?

«Ganz ehrlich, viel mehr können wir gar nicht machen»

Die Brandserie in Bonstetten beginnt im März dieses Jahres. Rund ein Dutzend kleinere und grössere Brände werden es in den folgenden Monaten sein. Es ist eine so auffällige Häufung, dass bald auch die Medien fragen: «Geht in Bonstetten ein Feuerteufel um?»

Ende Mai stehen schliesslich ein leerstehendes Bauernhaus und eine angrenzende Scheune in Flammen. Kurz vor Mitternacht melden Nachbarn den Brand bei den Einsatzkräften. Die Feuerwehr kann zwar das Übergreifen auf benachbarte Gebäude verhindern, das Bauernhaus hingegen brennt komplett nieder.

Den Ermittlern liefert die Tat möglicherweise den entscheidenden Hinweis auf die Brandstifter. Denn am nächsten Tag nimmt die Polizei drei Schweizer fest. Sie sind 17, 18 und 19 Jahre alt und stammen alle aus der Umgebung der Gemeinde im Bezirk Affoltern.

Und bald wird noch etwas anderes klar: Einer der drei mutmasslichen Brandstifter hat sich bei der lokalen Feuerwehr engagiert. Laut «Tele Züri» hat der 19-Jährige auf Social Media in Schutzanzug und Helm posiert und Fotos von Bränden gepostet, die er wohl selbst gelegt hatte. Dazu schrieb er: Während die Bevölkerung geschlafen habe, seien er und seine Kollegen der Feuerwehr auf den Beinen gewesen, um sie zu beschützen.

Für Mathias Baumann, Kommandant bei der Feuerwehr Unteramt, ist es ein Worst-Case-Szenario. «Es wühlt natürlich auf, dass einer aus dem Dunstkreis unserer Feuerwehr an den Taten beteiligt gewesen sein soll.» Baumann betont aber, wie gut seine Milizfeuerwehr funktioniere: «Wenn etwas passiert, dann haben wir einen Plan, die Mittel sowie in kurzer Zeit auch die benötigten Ressourcen. Kaum eine andere Organisation kann dies in so kurzer Zeit bereitstellen wie die Feuerwehren.»

Auch beim letzten Grossbrand in Bonstetten, bei dem ein Übergreifen des Feuers auf ein nur zehn Meter entferntes Gebäude habe verhindert werden können, sei dies gelungen. «Die Bewohner konnten bereits in der Nacht wieder in ihre Räumlichkeiten zurückkehren.»

Baumann sagt, man begleite neue Mitglieder immer eng und lege viel Wert auf ihre Ausbildung und Integrität. «Zu uns kommen Leute aus verschiedensten Gesellschaftsschichten, wir schauen uns ihren Hintergrund an, ihre Teamfähigkeit und ihre Fitness.» Und trotzdem sei es nun passiert. Auffällig benommen habe sich der junge Mann bei den Einsätzen jedenfalls nie. «Ganz ehrlich, viel mehr können wir gar nicht machen.»

Ob die drei verhafteten Männer inzwischen ein Geständnis abgelegt haben, will die Staatsanwaltschaft nicht sagen. Die Ermittler klären ab, ob die jungen Männer neben Brandstiftung noch weitere Delikte begangen haben. Einer der Tatverdächtigen ist noch minderjährig, weshalb sich die Jugendanwaltschaft mit seinem Fall befasst. Die beiden anderen befinden sich derzeit in Untersuchungshaft.

Die Suche nach dem Motiv

Brandstiftungen kommen häufig vor. In den letzten fünf Jahren gab es allein im Kanton Zürich laut Kriminalstatistik jährlich zwischen 62 und 83 Brandstiftungen. 2023 wurden 75 Fälle verzeichnet. Doch dass gleich eine ganze Serie von Feuern gelegt wird, hat Seltenheitswert.

Die zentrale Frage lautet: Weshalb legt jemand reihenweise Brände?

Jérôme Endrass, Forensikprofessor und stellvertretender Leiter des Amts für Justizvollzug im Kanton Zürich, beschäftigt sich mit dieser Frage. Für ihn ist es kein Zufall, dass die drei Tatverdächtigen von Bonstetten noch sehr jung sind. «Das Alter ist bei Straftaten der grösste Risikofaktor überhaupt. Und bei Brandstiftung ist der Alterseffekt besonders stark ausgeprägt.» Untersuchungen zeigen zudem, dass sich Brandstifter nicht gross von Sexual- und Gewaltstraftätern unterscheiden. Etwas sei jedoch anders, sagt Endrass: Brandstifter stammten eher aus dysfunktionalen Familien und seien sozial auffälliger als Täter bei anderen Deliktkategorien.

Laut Endrass gibt es vier grobe Kategorien von Brandstiftern, die sich jedoch überlappen können. Die erste Gruppe legt Feuer aus finanziellen Motiven, etwa um Versicherungsgeld zu kassieren. Bei einer zweiten Gruppe steht die Tat mit einer schweren psychischen Störung in Verbindung.

Bei Brandserien wie in Bonstetten und Elgg stehen zwei andere Kategorien im Vordergrund. Die Täter legen Feuer, weil sie von Bränden und ihren Auswirkungen fasziniert sind. Vom Ausnahmezustand in einem Dorf beispielsweise, von den polizeilichen Ermittlungen oder der Berichterstattung der Medien. Die vierte Kategorie sind Täter mit einem Geltungsdrang: Sie wollen einen Brand als Erste melden und dann Anerkennung erhalten.

Brände gelegt, um Druck und Stress abzubauen

Erkenntnisse über die Beweggründe lassen sich zudem aus älteren Fällen gewinnen. Zum Beispiel aus der letzten grossen Brandserie im Kanton Zürich, welche die Gemeinde Elgg zwischen 2011 und 2012 erschütterte. Rund dreissig Feuer bei unbewohnten Objekten waren damals gelegt worden – bei einem Jagdhaus, einer Reithalle, einem Stall, einem Vereinslokal und einer Tankstelle. Als der Täter nach zähen Ermittlungen überführt wurde, stand das Landstädtchen erneut unter Schock.

Ein junger Feuerwehrmann, aufgewachsen in Elgg, gestand später, 19 der rund 30 Brände gelegt zu haben. Der Mann wurde schuldig gesprochen, die ausgesprochene Freiheitsstrafe jedoch zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben.

Der junge Mann gab damals an – und damit gehört er wohl in die dritte Kategorie – , er habe die Feuer gelegt, um Druck und Stress abzubauen. Er habe beim Antritt einer neuen Stelle unter einer bedrückenden Überforderung gelitten. Habe er ein Feuer gelegt, so sei für kurze Momente ein gutes Gefühl entstanden: «Ein schlechtes Gewissen hatte ich jeweils auch, aber die Wirkung der Adrenalinschübe war stärker.»

Am Feuer oder am Brand selber habe er hingegen kein Interesse gehabt. Es sei ihm auch nicht darum gegangen, als Mitglied der Feuerwehr von Elgg häufiger zu Einsätzen zu kommen. Im Gegenteil: Wenn er einmal an einen von ihm selber gelegten Brand habe ausrücken müssen, habe er das immer als Belastung empfunden.

Was das Trio in Bonstetten und die Täterschaft in Elgg antreibt, müssen die Untersuchungen der Ermittler zeigen. In Elgg hofft man, dass alles bald ein Ende hat. Bis dahin leuchten die Strassenlampen die ganze Nacht hindurch. Die Vorsichtsmassnahme ist vorerst bis Ende Juni verlängert worden.

Ganz sicher ist man sich auch in Bonstetten noch nicht, obwohl drei Verdächtige festgenommen wurden. Die Gemeinde hat sicherheitshalber veranlasst, dass die Strassenbeleuchtung auf dem ganzen Gemeindegebiet von der Abenddämmerung bis zur Morgendämmerung eingeschaltet bleibt. Zudem sollen Sicherheitsleute an potenziell gefährdeten Orten patrouillieren.

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