Montag, Januar 27

Das neue Gegenmittel ist billiger produzierbar und biologisch sicherer als bisherige Präparate. Mehr Menschen könnten künftig gerettet werden.

Es ist der Albtraum aller Dschungel-Wanderer: Man liegt am Boden, das Bein schwillt an, das Herz rast, und die Atmung wird immer flacher. Die Verursacherin der lebensbedrohlichen Situation, die braun-grünliche Schlange, hat sich längst leise zischelnd ins Unterholz verkrochen. Der letzte klare Gedanke ist: Wie komme ich jetzt schnell an das Gegengift?

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Insgesamt werden jedes Jahr fünf Millionen Menschen von Giftschlangen gebissen. Für bis zu 130 000 von ihnen kommt die Hilfe zu spät, sie sterben. Mehr als 300 000 Bissopfer verlieren einen Arm, ein Bein oder erleiden andere lebenslang anhaltende Schäden. Weil es zu lange dauert, bis das Gegenmittel verabreicht wird, an vielen Orten überhaupt keines vorhanden ist und nicht jedes Opfer weiss, welche Schlange zugebissen hat. Die derzeit hergestellten Gegenmittel neutralisieren nämlich nur ganz spezifisch das Gift je einer Schlangenart.

Bisherige Gegenmittel stammen von Pferden

Zwei neue Entwicklungen können nicht nur die Herstellung der dringend benötigen Gegenmittel vereinfachen. Sie leisten zudem auch einen grossen Beitrag zum Tierwohl.

Denn alle heute verfügbaren Gegenmittel gegen Kobra und Co. werden auf sogenannten Blutfarmen hergestellt. Dort wird zumeist Pferden, manchmal auch Schafen oder Ziegen, das jeweilige Gift in nichttödlichen Mengen injiziert. Daraufhin entwickeln sie Antikörper dagegen. Diese werden regelmässig abgezapft, gereinigt und dann als Antiserum gegen das Schlangengift eingesetzt.

Eine Forschergruppe um David Baker von der University of Washington in Seattle hat nun ein Medikament präsentiert, das biotechnologisch hergestellt wird und somit ohne die Mithilfe von Pferden auskommt. Mit KI-Modellen wurden kurze Eiweissmoleküle am Computer entworfen, die passgenau an diverse Toxine aus Giftnattern andocken. Das neue Mittel ist somit auch ein gutes Beispiel dafür, wie KI zur Entwicklung von Medikamenten beitragen kann.

Die Giftmoleküle sehen aus wie drei gespreizte Finger und heissen deshalb Three-Finger-Toxins, kurz 3FT. Sie setzen sich im Körper der Opfer auf Rezeptoren auf Muskel- und Nervenzellen und destabilisieren diese. Somit kommt es zu den tödlichen Lähmungen der Atem- und Herzmuskulatur, aber auch Ausfallerscheinungen im Gehirn.

In ersten Laborversuchen bewiesen die neuen Anti-3FT ihre Wirksamkeit. So wurden menschliche Zellen in der Petrischale zuerst in 3FT gebadet und dann die neuen Eiweissmoleküle hinzugegeben. Sie sorgten dafür, dass die Zellen trotz Gifteinfluss funktionsfähig blieben und überlebten.

Noch besser: Die neuen Gegenmittel retteten auch Mäusen das Leben. Doch es zeigte sich, dass die neuen Blocker schnell gegeben werden müssen. Wurden sie 15 Minuten nach der Giftinjektion verabreicht, blieben alle Mäuse putzmunter. Liess man hingegen 30 Minuten verstreichen, starben manche Tiere.

Auch die neuen Gegenmittel sind sehr spezifisch: Jedes Eiweissmolekül wirkt nur gegen ein Toxin. Das ist auch zu erwarten, da ja das Eiweissmolekül so entworfen wurde, dass es ganz genau an einen Gegner passt und diesen blockiert.

Ideal sind Kombis aus verschiedenen Giftblockern

Allerdings ist es möglich, in einem künftigen Medikament mehrere spezifische Blocker zu mischen. Solch ein Kombipräparat könnte dann als Gegenmittel gegen mehrere Schlangengifte wirken. Ärzte müssten dann nicht mehr wissen, welches Tier die Opfer erwischt hat.

Auch ein weiteres neues Anti-Schlangengift-Mittel kommt ohne Pferde aus. Es wurde kürzlich von dem Team um Irene Khalek vom Scripps Research Institute in Kalifornien entwickelt. Das Team hat in einer grossen Datenbank mit lauter im Labor hergestellten Antikörpern einige aufgespürt, die ebenfalls manche 3FT neutralisieren. In Tierstudien bewahrten die synthetischen Antikörper Mäuse vor dem Gifttod. Die Forscher charakterisieren derzeit Antikörper gegen Schlangentoxine aus Vipern suchen.

Beide neuen Entwicklungen haben dieselben Vorteile: Sie können in grossen Mengen künstlich und somit ohne Pferde produziert werden. Das senkt die Kosten. Gerade in ärmeren Ländern, wo die meisten Schlangenunfälle passieren, könnten wirksame Gegenmittel viel breiter verfügbar werden, als sie es derzeit sind.

Zudem sind die neuen Antitoxine voraussichtlich sicherer. Denn manchmal entwickelt unser Körper eine Reaktion gegen Seren aus Pferden, was schwerwiegende Schäden verursacht. Des Weiteren sind biotechnologisch hergestellte Mittel zuverlässiger, da sie immer die gleiche Menge Wirkstoff enthalten, Pferdeseren hingegen nicht.

Noch ist allerdings keines der beiden neuen Gegenmittel erhältlich, sie müssen erst in klinischen Studien getestet werden. Das sollte nun laut den beteiligten Forschern wie auch medizinischen Hilfsorganisationen schnellstmöglich geschehen, um Menschenleben zu retten.

Was tun nach einem Schlangenbiss

Um die Überlebenschancen zu erhöhen, bis das – hoffentlich wirksame – Gegenmittel eintrifft, sollten Bissopfer einige Regeln beachten. Leicht gesagt, aber ver . . . schwer einzuhalten: Ruhe bewahren. Je höher das Paniklevel ansteigt, desto schneller schlägt das Herz und desto schneller wird das Gift im Körper verteilt.

Die Wunde sollte in Ruhe gelassen und die betroffene Gliedmasse immobilisiert werden. Auf gar keinen Fall darf die Wunde ausgesagt oder angeschnitten werden. Auch das Abbinden des Arms oder Beins ist schädlich. Im Gegenteil, alles, was Arm oder Bein einengt, sollte entfernt werden. Und daran denken: Längst nicht jeder Schlangenbiss injiziert eine tödliche Menge an Gift in den Körper.

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