Mittwoch, Januar 15

Es läuft derzeit nicht gut für den US-Autokonzern Tesla in Grünheide bei Berlin: Die Bürger haben sich gegen Ausbaupläne gestellt, Aktivisten besetzen einen Wald – und nun legt ein Brandanschlag die Produktion lahm.

Biegt man vom Bahnhof Fangschleuse in den Wald ein, fällt als Erstes ein riesiges Banner mit der Aufschrift «Water is a Human Right» ins Auge. Dann wird ein Dutzend Konstruktionen sichtbar, die mehrere Meter über dem Boden kunstvoll an den Bäumen vertäut sind. Teils sind es nur Plattformen, teils ausgebaute Baumhäuser. Am Boden ist Logistik ordentlich aufgereiht, vom Veloständer über die Mülltrennung bis zum Frühstücksbuffet.

Protest aus Baumhäusern

Der mittlerweile weltberühmte Wald liegt in der Gemeinde Grünheide im Bundesland Brandenburg, im Südosten von Berlin. Der US-Konzern Tesla will ihn roden, um mehr Platz für seine am Waldrand angrenzende Gigafactory, eine Fabrik für E-Autos, zu gewinnen.

Aktivisten wollen das verhindern und haben deshalb in der Nacht auf den 29. Februar mit dem Bau der Baumhäuser begonnen. Derzeit seien etwa 60 bis 80 Menschen vor Ort beteiligt, sagt Robin, Sprecherin der hier aktiven Gruppierung «Tesla stoppen». Der Wasserschutz ist eines der Hauptargumente der Projektgegner, da Tesla in einer Region mit Wasserknappheit viel Wasser brauche, Abwasser produziere und bei Störfällen das Grundwasser verschmutze.

Robin (links oben) ist Sprecherin der Gruppe «Tesla stoppen», die in Grünheide die Tesla-Erweiterung verhindern will und von Anwohnern mit Lebensmittel- und Sachspenden unterstützt wird.

Robin spricht deshalb von einer «Wasserbesetzung». Im Kapitalismus werde Wasser nach den Interessen von Konzernen und Milliardären verteilt. E-Autos seien keine Lösung für die Klimakrise, sondern für die Krise der Automobilindustrie, sagt die Aktivistin unter Verweis auf den CO2-Ausstoss bei der Produktion, den Mangel an grünem Strom zu ihrem Betrieb und die Umweltfolgen des – für die Batterien benötigten – Lithium-Abbaus in Südamerika. Saubere E-Autos seien eine dreckige Lüge, ergänzt Elster, ein anderes Mitglied der Gruppe.

Die Bürger sagen Nein

Derartige Kritik gegen die Tesla-Fabrik gibt es, seit der Standort 2019 angekündigt worden ist. Zugleich hat aber die Landesregierung Brandenburg unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke das Projekt vehement unterstützt. Bewilligung und Bau erfolgten in Rekordzeit. Als die Fabrik im März 2022 mit der Auslieferung der ersten Autos durch Konzernchef Elon Musk eröffnet wurde, feierten neben Woidke auch Bundeskanzler Olaf Scholz und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit. Auch die Erweiterung wird von Scholz und dem Bundesland befürwortet.

Anders sieht das eine Mehrheit der Einwohner der Standortgemeinde Grünheide, die erstmals direkt Stellung nehmen konnten. In einer am 16. Februar abgeschlossenen Einwohnerbefragung haben 57,5 Prozent gegen und 35 Prozent für den sogenannten Bebauungsplan 60 gestimmt. Abstimmungsberechtigt waren 7660 der 9200 Bürger des Orts, die Abstimmungsbeteiligung betrug 75 Prozent. Die zu beantwortende Frage lautete, ob «weitere 100 ha Wald (im Landschaftsschutzgebiet) in der Gemarkung Grünheide (Bebauungsplan Nr. 60) in eine Industriefläche umgewandelt werden» sollten, «die für Logistik, Lagerhaltung und soziale Gebäude genutzt» werde.

Das Grundstück gehört dem Bundesland, für den Bebauungsplan ist die Gemeinde zuständig. Konkret sollten auf dem zusätzlichen Gelände ein Güterbahnhof, Lager- und Logistikhallen, eine Betriebs-Kita und Schulungsräume entstehen, erklärt Pamela Eichmann, die sozialdemokratische Vorsitzende der Gemeindevertretung (Gemeinderat), im Gespräch. Für die meisten Gegner geht es aber nicht nur um dieses Grundstück, sondern um die Erweiterungspläne von Tesla insgesamt. Der US-Konzern will die Kapazität seines einzigen Werks in Europa von derzeit maximal 500 000 Fahrzeugen auf zukünftig 1 Million Autos pro Jahr erhöhen. Auch die Zahl der Mitarbeiter, die zurzeit gut 12 000 beträgt, soll massiv steigen.

Pamela Eichmann (links unten) ist Vorsitzende der Gemeindevertretung von Grünheide, dem Standort der Gigafactory von Tesla (oben). Die Aktivisten haben sich auf kalte Nächte in den Baumhäusern eingestellt.

Das Abstimmungsergebnis ist rechtlich nicht bindend. Dennoch wird der Bebauungsplan laut Eichmann in der bisherigen Form in der Gemeindevertretung gar nicht mehr zur Abstimmung gebracht. Derzeit suche die Verwaltung nach einer Lösung. Wie es weitergehe, sei offen. Unklar ist, ob noch vor der am 9. Juni anstehenden Kommunalwahl ein Entscheid fallen wird.

Ungleiche Partner

In dieser offenen Lage hält das Camp im Wald den Druck aufrecht. Auch wenn viele Einwohner der eher kleinbürgerlichen, beschaulichen Gemeinde weltanschaulich Welten von der bunten Truppe im Wald trennen dürften, treffen sie sich im Widerstand gegen Tesla. Die Aktivisten genössen grossen Rückhalt bei der Bevölkerung, sagt Manu Hoyer, Sprecherin der lokalen Bürgerinitiative Grünheide. So erhielten sie jeden Tag Lebensmittel- und Sachspenden.

Die Bürgerinitiative kämpft seit 2019 unter anderem mit dem Wasser-Argument gegen die Tesla-Ansiedlung. Sie hat sich auch im Vorfeld der Abstimmung mit Flugblättern, Informationsmaterial und Haustürbesuchen engagiert. Über die Besetzung war sie laut Hoyer nicht informiert. Aber man habe sich mit den Besetzern solidarisiert. Es sei eine friedliche, kreative Besetzung.

Brandanschlag als Schock

Hingegen verurteilt Hoyer den Brandanschlag auf einen Strommast in der Nähe. Dieser hat in der Nacht auf Dienstag nicht nur das Tesla-Werk und ein Edeka-Verteilzentrum lahmgelegt, sondern auch die Stromversorgung in mehreren umliegenden Gemeinden unterbrochen. Während Letztgenannte rasch wiederhergestellt worden ist, dauert das erneute Hochfahren der notfallmässig gestoppten Produktion bei Tesla länger.

Wie der Konzern gegenüber der Nachrichtenagentur DPA erklärte, wird die Produktion wohl auch noch nächste Woche ruhen. Schon am Dienstag hatte Werksleiter André Thierig den Schaden, der Tesla aus dem Produktionsunterbruch entsteht, auf einen «hohen neunstelligen Betrag» geschätzt.

Zum Anschlag bekannt hat sich eine als linksextremistisch eingestufte «Vulkangruppe». Für sie sei das ein terroristischer Anschlag gewesen, sagt Pamela Eichmann. Man habe in der Gemeinde ein Altersheim und eine Reha-Klinik mit einer Intensivstation, auf der Patienten beatmet werden müssten. Die Täter hätten es billigend in Kauf genommen, dass Menschen zu Schaden kommen könnten. Auch in einer Erklärung der Bürgerinitiative heisst es: «Dieser Anschlag schadet unserer Arbeit.» Man stehe weiterhin für Dialog und sozialen Frieden ein.

Etwas gewunden drückt sich hingegen «Tesla stoppen» aus. Laut einer Erklärung auf ihrer Website haben die Aktivisten «aus der Presse erfahren, dass es durch einen Brand an einem Strommast zu einem Stromausfall» gekommen sei. «Uns liegen keine Informationen vor, wer oder was für diesen Brand verantwortlich ist.» Es gebe «verschiedene Akteure, die auf ihre Weise Widerstand gegen die Ausbeutung und Zerstörung durch diesen Konzern leisten. Unsere Art des Widerstands ist eine Wasserbesetzung.»

Diese Besetzung wird bis jetzt von der Polizei geduldet, zunächst bis 15. März. Doch in einer ersten Reaktion auf den Anschlag erklärte der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, die Lage werde neu bewertet und das könnte auch die Beendigung der Duldung bedeuten.

«Wir bleiben hier»

Während unserer Gespräche im Camp wird dieses von einer kleinen Gruppe von Polizisten und Zivilisten besucht. Offiziell geht es um eine Kontrolle durch die Bauaufsicht, Polizisten mit dunklen Sonnenbrillen fotografieren die Bauten. Elster mutmasst, dass es in Wahrheit eine Inspektion zur Vorbereitung einer allfälligen Räumung sei.

Denn die Aktivisten wollen auch bleiben, wenn die Duldung beendet wird, und zwar «bis wir Erfolg haben oder gewaltsam geräumt werden», wie Robin erklärt. Im Gegensatz zu einem Camp auf dem Boden erfordert die Räumung von Baumhäusern Spezialkräfte mit besonderer Ausrüstung, was sie aufwendig und langsam macht.

Die nächtliche Besetzung des Waldes erfolgte im Lichte roter Stirnlampen. Mit dabei war Elster von der Gruppe «Tesla stoppen» (rechts oben).

Während die Kapitalismusgegner im Wald kaum von Tesla zu überzeugen sein dürften, erstaunt die hohe Ablehnung durch die lokale Bevölkerung doch etwas. Immerhin würde der auf dem Grundstück geplante Güterbahnhof den Abtransport der Autos über die Bahn statt wie derzeit per Lastwagen ermöglichen.

Zudem haben sich einige mit dem Werk verbundene Erwartungen durchaus erfüllt. Es hat nicht nur Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen, sondern nach Einschätzung von Ökonomen auch dazu beigetragen, dass das Wirtschaftswachstum des Bundeslandes zuletzt über dem deutschen Durchschnitt lag. Grünheide wiederum profitiert von höheren Steuereinnahmen, was laut Eichmann den Bau einer Schule ermöglicht.

Aus Sicht von Hoyer bleiben der Gemeinde allerdings nur die Nachteile wie das stark gestiegene Verkehrs- und vor allem Schwerverkehrsaufkommen. Den Güterbahnhof hätte Tesla auch auf dem bestehenden, 300 Hektaren grossen Firmenareal errichten können, hierfür habe eine Bewilligung vorgelegen, sagt sie.

Der Rat der Unternehmer

Zur geringen Verankerung in der lokalen Bevölkerung dürfte der Umstand beitragen, dass viele Tesla-Beschäftigte nicht in der vergleichsweise kleinen Gemeinde wohnen, sondern zupendeln. Nach Einschätzung der SPD-Politikerin Eichmann trägt aber auch Tesla ein bisschen Schuld. Die Menschen störe die Salami-Taktik, der Konzern hätte besser von Anfang an gesagt, dass weiterer Wald gerodet werden müsse.

Auch habe man zu Beginn überhaupt keine Ansprechpartner bei Tesla gehabt, das habe sich inzwischen gebessert. Zudem versuche Tesla mittlerweile, sich mehr in die Gemeinde einzubringen. Das Unternehmen habe Mähroboter für den Fussballklub und Solarleuchten für den Jugendklub gesponsert, eine Unterstützung von Veranstaltungen, etwa des örtlichen Heimatfests, lehne es jedoch ab.

Tatsächlich scheint der hemdsärmlige Amerikaner Musk wenig Gespür dafür zu haben, wie ein Unternehmen in Europa auftreten muss, um die Akzeptanz zu fördern. Alexander Schirp, der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg ist und die Ansiedlung als Glücksfall für ganz Brandenburg sieht, rät dem Autobauer zu einer offensiveren Kommunikationspolitik. «Es ist eine ein bisschen ungewöhnliche Strategie, mit niemandem zu sprechen ausser mit den zuständigen Stellen», sagte er im regionalen RBB-Radio. Da sei sehr viel Luft nach oben. Tesla könnte auch Botschaften senden, die überzeugen könnten. So spreche das Unternehmen zum Beispiel trotz der anhaltenden Wasser-Kritik kaum darüber, dass es auf dem Weg zu einem geschlossenen Wasserkreislauf ohne Entnahme von Grundwasser sei.

Doch Tesla bleibt verschwiegen: Auch die Anfrage der NZZ wegen eines Gesprächs, eines Telefonats oder wenigstens schriftlicher Unterlagen für diesen Text blieb unbeantwortet.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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