Die Super-League-Saison ist vorbei, der Schweizer Klubfussball trieb auch in dieser Saison wunderliche Blüten. Sechs davon greifen wir heraus.

Das leerste Versprechen

Christian Constantin führt sich manchmal auf, als wäre er im Kasino. Er beherrscht nicht alles, am wenigsten bisweilen sich selbst. Aber er weiss, wie er mit Immobilien, mit der Politik und mit den Medien zu dealen hat. Beim Jahreswechsel 2022/23 kündigte er an, dass Mitte 2024 der von ihm bezahlte professionelle Fussball des FC Sion eingestellt werde. Keine Millionen mehr, Rückzug, fertig lustig. Der Schrecken ging tief. Gibt’s ein Leben ohne Constantin?

Nein. Der Klub stieg zwar 2023 krachend ab, aber dann geschah zweierlei. Erstens fand die Mannschaft mit dem neuen Trainer Didier Tholot den Tritt, und zweitens gewann Constantin das Spiel mit der Politik. Er hört nicht auf. Stattdessen soll in Sitten ein neues Stadion entstehen. Der Immobilienmakler Constantin will 50 Millionen beisteuern, ist aber nicht selbstlos. Als Gegenleistung möchte er Sittener Boden, auf dem er Wohnungen hochziehen kann. Erpressung? Nein, nie. Das wäre unter der Walliser Würde.

Die Behörden ziehen einstweilen mit. Lex Constantin? Er reibt sich die Hände, denkt an den Medientanz nach seiner Endzeitdrohung. Das Team steigt in die Super League auf, und schon wachsen die Bäume gegen den Himmel. Matterhorn-Kolosseum («Cervin Coliseum») soll die neue Arena heissen. Geht’s noch grösser? Nein, die PR-Crew Constantin leistet ganze Arbeit. Ihr Animationsfilm über das Kolosseum schlägt alles. Nur Grösse zählt.

Das kompromissloseste Jugendhaus

Der FC Luzern dümpelt im Mittelmass und wird von einer langwierigen Führungsfehde zwischen der Chefetage und dem Mehrheitsaktionär Bernhard Alpstaeg belästigt. In der Zentralschweiz gehen Fragen um, ob die jetzige Generation einmal mehr als Durchschnitt erleben wird. Oder ob das immer so bleiben wird. Einfach so, weil es Luzern ist.

Aber da ist Hoffnung. Denn die Luzerner können auch gewinnen. In der U-21-Trophy summieren sie fast 15 000 Minuten und führen die Nachwuchstabelle überdeutlich an. Honoriert wird von der Liga, wer am meisten Spieler mit Jahrgang 2002 oder jünger einsetzt. Pascal Loretz, Luca Jaquez, Severin Ottiger, Lars Villiger und der für sechs Millionen Euro nach Brügge verkaufte Ardon Jashari machen den Klub zum Nachwuchs-Champion. Wenigstens das.

Weit distanziert auf den weiteren Rängen sind die Grasshoppers (Filipe de Carvalho, Bradley Fink) und der FC Basel (Leon Avdullahu, Dion Kacuri). Der Meister YB lebte in dieser Kategorie nur von Aurèle Amenda, der Servette FC von Théo Magnin. Im FC Stade Lausanne-Ouchy scheint der Nachwuchs inexistent. Der Klub ist wie in der Meisterschaft Letzter.

Zufälliges Treffen mit Verantwortlichen des FC Luzern in einem Schweizer Fussballstadion. Sie zeigen auf dem Mobiltelefon die Tabelle der U-21-Trophy. Luzern ist top. Das Problem: «Das interessiert niemanden», sagen sie. Ja, Mario Balotelli vereint 20-mal so viel Medienaufmerksamkeit auf sich wie konsequente Jugendförderung.

Der geheimnisvollste Rücktritt

Ende Februar tritt die Schiedsrichterin Esther Staubli zurück. Und dies, nachdem sie nach Leitungen von Super-League-Spielen gute Noten erhalten hat. Der Rückzug erfolgt nicht zum Saisonschluss oder am Ende des Kalenderjahres wie sonst üblich bei Referees. Nein, mitten in der Saison, unvermittelt. Der erste Reflex: It’s a man’s world, sie hat genug von lauter Männern, Spielern, Trainern, Funktionären. Sie mag nicht mehr – und beschert dem Schweizerischen Fussballverband (SFV) einen schmerzhaften Rückschlag in der Frauenförderung.

Staubli erklärt sich nicht weiter und antwortet auf eine Anfrage nicht. Der Zeitpunkt des Rücktritts ist sonderbar und ruft nach einer Ausleuchtung. Der mögliche Grund: Markus Nobs, der frühere Schiedsrichter, der Lebenspartner Staublis und für den SFV im Schiedsrichterwesen tätig, verlässt den Verband. Will oder muss ihn nach Unstimmigkeiten in der Abteilung verlassen. Es vergehen wenige Wochen, bis auch Staubli unvermittelt geht.

Ihre Solidarität bringt den SFV um die im Moment einzige Super-League-Schiedsrichterin. Merke: Fussball ist: a man’s world. Aber manchmal ist es anders, als man denkt.

Der abrupteste Abgang

Im FC St. Gallen war ein Triumvirat unzertrennlich: der Präsident Matthias Hüppi, der Sportchef Alain Sutter und der Trainer Peter Zeidler. Die zwei Letztgenannten sind mit langfristigen Verträgen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausgerüstet. Einmal Trainer, immer Trainer – koste es so viel Energie, wie es kosten muss.

Das Jahr 2024 beginnt, und es kommt zum Unvorstellbaren: Nicht Zeidler rückt in den Fokus, nicht der Trainer, der den Draht zur Mannschaft Anfang Saison derart ausgeprägt zu verlieren schien, dass zwecks Team-Kitt eine Alpstein-Wanderung unter der Leitung Hüppis vonnöten war. Nein, Sutter ging, musste gehen, sprengte das auf Ewigkeit gepolte Triumvirat kurzerhand auf.

Alain Sutter taucht ab, reist ins Ausland und kommt vier Monate nach der Trennung in St. Gallen wieder zum Vorschein – als Fussballexperte in einer Übertragung von Blue-TV. Er sagt, dass er zuerst einmal habe verdauen müssen, das Ende in St. Gallen sei ein «Schock» gewesen. Die Folgen: Zuerst sackt das Team in der Zeit ohne Sutter ab, erholt sich und klassiert sich am Ende dort, wo es sich immer klassiert: deutlich hinter der Spitze. Aber im Gegensatz zum Vorjahr spielt es in der nächsten Saison Europacup.

Ein Schrittchen vorwärts. Mit dem neuen Sportchef Roger Stilz, mit Zeidler, mit Hüppi, aber ohne Sutter.

Der grossartigste Publikumsrekord

«Schlicht und einfach grossartig» – so bewertet der FC Zürich den Zuschauerzuspruch. Über 15 500 Fans kamen im Durchschnitt in den Letzigrund zum FCZ, ein Rekord in der Klubgeschichte und ausserdem fast eine Verdoppelung in den letzten acht Jahren. Da darf man sich auch einmal per Medienmitteilung selber auf die Schulter klopfen.

Für Selbstlob gab es im FCZ sonst wenig Grund. Die Südkurve ist zwar ein Magnet für die Jugendlichen, aber der Menschenstrom hatte auch Schattenseiten: Zum Schaden der Quartierbewohner gibt es an Matchtagen vor und nach den Spielen beispielsweise keinen Tram- und Busverkehr, weil die Verkehrsbetriebe keine Lust mehr haben auf Fan-Rambazamba. Und ganz ohne Gewalt ging auch diese Saison nicht über die Bühne: Mehrfach verordneten die Stadtbehörden nach Ereignissen ausserhalb des Stadions die Schliessung der Südkurve. Die Leute kamen trotzdem.

Sie kamen auch trotz einer Saison, die der FCZ wegschmiss wie ein faulig gewordener Apfel. Statt den fulminanten Beginn für einen Höhenflug à la Meisterjahr 2022 zu nutzen, brachte der hastige Umbau des neuen Sportchefs Milos Malenovic viel Unruhe in den Klub, bis der Trainer Bo Henriksen keine Lust mehr hatte und im Februar nach Mainz wechselte. Die Spieler verlernten das Toreschiessen, Henriksens Nachfolger durften brav ein paar Spiele coachen. Dann kam mit Ricardo Moniz schliesslich der Trainer, der den FCZ doch noch in den Europacup führte – und Cheftrainer bleiben darf.

Das bewegendste Zirkusspektakel

Waren es 35 Millionen Franken, waren es 40 Millionen? Es war jedenfalls rund drei Mal so viel, wie beispielsweise der FC Winterthur pro Saison für den ganzen Klub braucht: der Betrag, den der FC Basel allein für neue Spieler ausgab. Wer auch dank dem Halbfinal in der Conference League 2023 mehr als 55 Millionen Franken durch Verkäufe von Spielern einnahm, kann es sich leisten. Oder etwa nicht, David Degen?

Und schon ist der FC Basel am Tabellenende, entlässt den Trainer Timo Schultz, macht den Sportchef Heiko Vogel zum Trainer, der Klub purzelt auf den letzten Platz und entlässt Vogel nach drei Spielen und drei Niederlagen. Es geht drunter und drüber – ein Spektakel, besser als im Zirkus Knie.

Einer der neuen Spieler, er ist für fast 5 Millionen gekommen, heisst Renato Veiga – das Drei-, Vier-, Fünffache soll er dem FCB einbringen, wenn Veiga dereinst in die Premier League wechselt, mindestens. Als er gegen den FCZ ein Tor schoss und gerade den 10. Tabellenplatz verteidigt hatte, redete Veiga von der Champions League. Relegation Round hiess dann der Wettbewerb, den Veiga und die anderen, für insgesamt 35 oder 40 Millionen Franken eingekauften Spieler zuletzt absolvierten.

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