In ihrem Regieerstling fokussiert Céline Sallette allein auf die seelischen Versehrungen der berühmten französisch-schweizerischen Künstlerin: der steinige Weg aus dem psychischen Gefängnis zum künstlerischen Aufbruch.

Am Anfang wird sozusagen auf sie geschossen – mit der Kamera werden Fotos im Staccato gemacht. Es ist ein Mode-Shooting, und die Männerstimme aus dem Off sagt ihr, wie sie den Kopf heben, wie sie in die Kamera lächeln, wie sie in die Welt schauen soll. Dann explodiert ein Scheinwerfer. Wüstes Männergefluche, und das Setting wird abgebrochen.

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Am Schluss des abendfüllenden Kinofilms über das Leben der berühmten französisch-schweizerischen Künstlerin Niki de Saint Phalle schiesst diese selber. Jetzt mit einem Gewehr, und zwar auf eines ihrer eigenen Bilder: damit die darauf angebrachten Farbbeutel platzen, bersten und bluten, die Farbe die Leinwand hinunterläuft – und dadurch Kunst entsteht.

Nach etlichen Nervenzusammenbrüchen und Elektroschocks, die ihr in psychiatrischen Kliniken verabreicht wurden, hat sie den Durchbruch als Künstlerin geschafft. Das dabei entstandene Bild sieht man allerdings nicht. Man sieht nur die Künstlerin, wie sie abdrückt, immer wieder. Dann folgt der Abspann. Zuvor aber heisst es noch fast lapidar, dass Niki de Saint Phalle eine der grössten Künstlerinnen ihrer Zeit geworden ist.

Hat man schon einmal einen Film über einen Künstler, oder genauer: eine Künstlerin, gesehen, in dem von der Kunst gar nichts gezeigt wird? In «Niki de Saint Phalle» wird nicht ein einziges ihrer Kunstwerke sichtbar. Bis am Schluss wartet man vergebens darauf. Der Film setzt voraus, dass man ihr Werk kennt, die berühmten Nanas, die dicken, fliegenden Engelfrauen und die Shooting-Paintings, mit welchen Niki de Saint Phalle in den sechziger Jahren zum Weltstar wurde.

Kindheitstrauma

Filme über grosse Kunstschaffende hat es in jüngster Zeit zur Genüge gegeben: Cézanne, Gauguin, van Gogh, Klimt, Schiele, Alberto Giacometti. Alle Genies. Man sieht sie malen, man sieht sie hadern. Man sieht, wie ihre Kunst entsteht. Man schaut ihnen im Atelier gleichsam über die Schulter. Aber keiner dieser Filme hat so eindringlich die innere Tragödie ausgeleuchtet, die nötig scheint, um überhaupt Kunst machen zu wollen oder machen zu können, wie jetzt der neue Spielfilm zur Biografie von Niki de Saint Phalle.

«Mein Name ist Niki de Saint Phalle, Nachfahrin von Gilles de Rais. Er hat Hunderte von Kindern geschändet und umgebracht», sagt sie den Zuschauern vor dem Beginn der Ausführung ihres Shooting-Paintings mit geladenem Gewehr. Saint Phalle, das ist kein Künstlername, das ist der Name ihrer eigenen Familie, ihres Vaters von adliger Abstammung. Jetzt benutzt sie den Namen für ihre Zwecke als Künstlerin, den Phallus, dieses Attribut des Vaters, das einst gegen sie gerichtet war, als er sie mit 11 Jahren vergewaltigte.

Kunst als Therapie

Ganz konsequent fokussiert der Film über Niki de Saint Phalle auf das innere Drama der Künstlerin, auf ihr Kindheitstrauma. Der Film ist ein Psychodrama – feinfühlig, in weichen Bildern ausgeleuchtet und hinreissend gespielt von Charlotte Le Bon in der Rolle der Niki de Saint Phalle. Die Erzählung benutzt Rückblenden in die Kindheit, die wie Erinnerungsfetzen aufblitzen und wieder abreissen: das Verdrängen, die Qual des Verdrängten.

Da ist auch der verständnisvolle Ehemann, der die gemeinsamen Kinder aufzieht: Niki verlässt die junge Familie, um sich in der Kunst neu zu erfinden. Und findet eine neue Familie bei ihren Künstlerfreunden Jean Tinguely und Eva Aeppli.

Eine Frage wirft das Regiedebüt von Céline Sallette allerdings auf. Müssen Künstlerinnen versehrte Seelen haben, um gut in ihrer Kunst zu sein? Man denkt an Louise Bourgeois, an Nan Goldin. Oder, um weit in die Kunstgeschichte zurückzugreifen, an Artemisia Gentileschi. Sie alle nutzten Kunst als Therapie. Bei Niki de Saint Phalle scheint das jedenfalls funktioniert zu haben.

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