Die 155. Brigade verfügt über motivierte Soldaten und moderne westliche Ausrüstung. Paris und Kiew wollen die Fehler der Vergangenheit vermeiden – beide brauchen dringend einen Erfolg.
Russlands ungebrochener Vormarsch setzt die Ukrainer seit Monaten schwer unter Druck. In einer solch schwierigen Kriegsphase sind positive Nachrichten rar – und sehr willkommen: Zu ihnen gehört, dass die 155. Brigade ihre Ausbildung in Frankreich und Polen abgeschlossen hat. Sie ist zurück in der Ukraine und durchläuft die letzten Trainingseinheiten. Bald könnte sie die Reihen der Verteidiger an der Front verstärken.
Paris und Kiew haben nicht mit Symbolismus gespart, um die Verbundenheit der beiden Nationen zu betonen: Die Brigade ist nach Anna von Kiew benannt, einer Prinzessin aus der Kiewer Rus, die im 11. Jahrhundert Königin von Frankreich wurde. Ihr Symbol ist ein Skorpion. Das Motto der Einheit lautet «on ne passe pas». Es geht auf die Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg zurück. Damit sollen die Parallelen zum brutalen Stellungskrieg in der Ostukraine zum Ausdruck kommen.
Kiew und Paris wollen alte Fehler vermeiden
Die 155. Brigade gehört zu jenen 10 Verbänden, welche die Ukrainer dieses Jahr neu aufgestellt haben. Militärexperten halten sie für die am besten ausgerüstete. Sie verfügt über ein Bataillon mit 31 Leopard-2-Panzern und insgesamt 138 gepanzerten Fahrzeugen aus französischen Beständen. Dazu kommen 18 moderne Caesar-Artilleriegeschütze sowie knapp zwei Dutzend Milan-Panzerabwehrsysteme.
1500 französische Instruktoren und Übersetzer bildeten 2300 Ukrainer aus, mehrere hundert Panzerfahrer übten in Polen unter norwegischer Führung auf den Leopard 2. Der Rest der 4500 Angehörigen der Brigade, deren Hauptquartier in der Region Riwne liegt, erhielt ihr Training in der Ukraine. Über ihre Ausrüstung ist nichts bekannt. Aus Kiew heisst es, dass zu den Soldaten der Brigade sowohl erfahrene Kämpfer aus anderen Einheiten als auch neu mobilisierte gehörten.
J’en avais pris l’engagement : nos militaires forment actuellement 2 300 soldats ukrainiens dans le Grand Est, avec des équipements qu’ils utiliseront en mission.
La brigade Anne de Kyiv sera formée et équipée grâce à la solidarité de la France. pic.twitter.com/LFwv06LW6b
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) October 9, 2024
Die ukrainischen und westlichen Militärführungen wollen bei dieser Einheit Fehler vermeiden, die sie im Vorfeld der gescheiterten Gegenoffensive von 2023 begangen hatten: Damals erhielten meist unerfahrene Soldaten modernes Material, das sie auf dem Schlachtfeld nur ungenügend zu bedienen wussten. Sie wurden rasch aufgerieben. Nun setzt die Ausbildung den Schwerpunkt auf den Kampf der verbundenen Waffen, mit Soldaten, die westliches Gerät kennen. Der Kommandant der 155. Brigade, Oberst Dmitro Rjumschin, befehligte zuvor zwei Verbände, die mit Leopard-2-Panzern ausgerüstet waren.
Zumindest jene drei Bataillone, die im Ausland ausgebildet wurden, verfügen über einheitliches Material, was die Logistikprobleme verringert. Die Frage lautet allerdings, ob diese wieder auftauchen, wenn sie mit dem ukrainischen Teil der Brigade zusammengeführt werden. Unklar ist auch, wie einsatzbereit die nicht im Ausland ausgebildeten 2200 Brigadeangehörigen sind.
Die Ressourcen bleiben knapp: So steht laut dem Journalisten David Axe kein Ersatz zur Verfügung, falls Leopard-Panzer beschädigt oder zerstört werden. Der Militärbeobachter Juri Butusow meldet zudem, es gebe im ukrainischen Budget kein Geld für Drohnen und elektronische Störsender. Er hat deshalb eine Sammelaktion gestartet, um die 155. Brigade damit auszurüsten.
Macron und Selenskis Prestigeprojekt
Für Kiew wie Paris ist die Einheit nicht nur als Symbol der Verbundenheit ein zentrales Projekt. Präsident Emmanuel Macron hat erhebliches politisches Kapital in sie investiert, um in innenpolitisch turbulenten Zeiten Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Er will auch das Image des Zögerers loswerden, das ihm seit seinen erfolglosen Telefonaten mit Putin 2022 anhaftet. Frankreich hat die Unterstützung für die Ukraine deshalb jüngst erheblich vergrössert, auch durch die Lieferung von Mirage-Kampfjets und Gleitbomben. Bereits 2023 hatte das Land zudem 8800 ukrainische Soldaten ausgebildet.
Für Selenski ist die Brigade ein Prestigeprojekt, weil er damit den Beweis antreten könnte, dass es der Militärführung weiterhin gelingt, schlagkräftige Einheiten zu bilden. Seit Monaten dominieren die grossen Probleme mit der Mobilisierung und Motivation neuer Truppen die Schlagzeilen. Die Frontkommandanten nehmen neue Rekruten eher als Risikofaktor denn als Verstärkung wahr, weil viele von ihnen unter feindlichem Feuer in Panik geraten oder wegrennen. Gleichzeitig sind die kampferprobten Verbände nach fast drei Jahren Krieg ausgedünnt und erschöpft.
Ob die 155. Brigade die hohen Erwartungen erfüllen kann, wird sich bald zeigen. Sie soll spätestens Anfang des neuen Jahres zum Einsatz kommen. Juri Butusow, oft ein harter Kritiker von Propaganda der Armeeführung, sieht in ihr «motivierte Kommandanten und der Ukraine treu ergebene Menschen» am Werk. Solche operativen Reserven gebe es nicht viele in der Armee. Deshalb müssten sie so gut wie möglich ausgerüstet und geschützt werden.

