Donnerstag, Oktober 3

In einer lauen Sommernacht kommt es zu einer groben Schlägerei zwischen Linksautonomen und Billettkontrolleuren. Sieben Jahre später hat das Zürcher Obergericht nun drei Täter verurteilt.

Der Zuschauerraum im Saal des Obergerichts ist für einmal richtig vollgepackt: Neben einer Kantonsschulklasse sind vor allem zahlreiche Sympathisanten aus der linksextremen Szene im Saal. Eine mündliche Urteilseröffnung mit Begründung gibt es dann allerdings nicht. Das Urteil wird später nur schriftlich im Dispositiv veröffentlicht.

Seit der nächtlichen Prügelei sind bereits rund sieben Jahre vergangen: In einer lauen Sommernacht im Juli 2017 bereiteten sich rund ein Dutzend Mitarbeiter der VBZ und des privaten Sicherheitsdienstes Vüch um 4 Uhr morgens an der Tramhaltestelle Limmatplatz im Zürcher Kreis 5 auf eine Grosskontrolle des letzten Nachtbusses vor.

Gemäss Anklagen wurden die VBZ-Mitarbeiter dann plötzlich als «Arschlöcher» und «Opfer der Stadt Zürich» beleidigt. Sie sollen richtiggehend umzingelt worden sein, und zwar nicht von Buspassagieren, sondern von Angehörigen der linksautonomen Szene. Ein Angreifer schlug einem VBZ-Mitarbeiter ein Kontrollgerät aus der Hand. Danach eskalierte der Streit zur handfesten Prügelei, an der rund ein Dutzend Autonome beteiligt gewesen sein sollen.

Vonseiten der Linksextremen wurden dabei auch Fahrradketten eingesetzt. Drei VBZ-Mitarbeiter wurden verletzt. 16 Videokameras zeichneten das Geschehen auf. Zu sehen ist dabei auch, wie ein Mann einem VBZ-Kontrolleur von hinten eine Glasflasche über den Kopf zieht, die zerbricht. Der VBZ-Mann musste zwar ins Spital, erlitt aber «nur» eine Gehirnerschütterung.

Mit DNA-Analysen identifiziert

Drei Tätern, die durch DNA-Analysen identifiziert werden konnten, wurde im März 2023 am Bezirksgericht Zürich der Prozess gemacht. Alle anderen Angreifer sind bis heute unbekannt geblieben.

Die drei Beschuldigten wurden zu Freiheitsstrafen von 8 bis 36 Monaten verurteilt. Ein heute 36-jähriger Schweizer Elektromonteur, der einen VBZ-Mitarbeiter aufs Tramgleis gestossen haben soll, akzeptierte eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten wegen Raufhandels sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

Die beiden anderen Beschuldigten zogen ihre Urteile ans Obergericht weiter: Der Hauptbeschuldigte, ein 34-jähriger gelernter Schweizer Goldschmied, der dem VBZ-Kontrolleur die Flasche über den Kopf geschlagen hat, wurde wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Raufhandels sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden oder Beamte zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt; 18 Monate vollziehbar, 18 Monate bei einer Probezeit von drei Jahren bedingt aufgeschoben. 44 Tage sass er in Haft.

Eine 37-jährige Schweizer Studentin wurde mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bestraft. Sie bleibt der Berufungsverhandlung zwar unentschuldigt fern. Weil ihr Anwalt angibt, von ihr ausreichend instruiert worden zu sein, wird die Verhandlung trotzdem durchgeführt.

Der 34-Jährige, der seinen Lebensunterhalt heute als Landschaftsgärtner verdient und sein Dächlikäppli auch im Gerichtssaal auf dem Kopf behält, macht vor Obergericht – wie schon vor Vorinstanz – vollumfänglich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Der Schlag mit der Flasche ist zwar eingestanden. Sein Anwalt behauptet aber einen Notwehrhilfe-Exzess. Der Beschuldigte habe nur einem Kollegen zu Hilfe eilen wollen, der von Kontrolleuren zu Boden geworfen worden sei.

Verhältnismässige Notwehrhilfe?

Die Verteidiger plädieren in den Hauptanträgen darauf, das Urteil aufzuheben und die Sache wegen angeblicher Befangenheit der erstinstanzlichen Richter an eine andere Gerichtsabteilung zurückzuweisen; eventualiter auf Freispruch. Die Bezirksrichter hätten eine vorgefasste Meinung gehabt. Von einem koordinierten Vorgehen der Gruppe oder einer «Zusammenrottung», wie in der Anklage behauptet, könne nicht die Rede sein.

Der Angriff sei von den VBZ-Angestellten ausgegangen. Der Landschaftsgärtner habe sich nur gewehrt und einen einzigen Schlag mit einem Gegenstand ausgeführt, «den er zufällig in der Hand» gehabt habe. Es sei eine in diesem Fall verhältnismässige Notwehrhilfe gewesen. Der Schlag habe gar keine Konsequenzen gehabt. Der VBZ-Angestellte sei Vollkontakt-Thaiboxer und «Schlimmeres gewohnt».

Der Anwalt des Privatklägers meint dazu: «Es ist mir neu, dass man sich als Vollkontakt-Thaiboxer gegenseitig Flaschen auf den Kopf haut.» Zudem sei sein Klient nicht Vollkontakt-Thaiboxer, sondern VBZ-Kundenberater. Er und die Staatsanwältin beantragen Bestätigung der vorinstanzlichen Urteile.

Wie aus dem nun schriftlich vorliegenden Urteilsdispositiv hervorgeht, hat das Obergericht dies mehr oder weniger gemacht. Beim Hauptbeschuldigten bleibt es bei 36 Monaten Freiheitsstrafe für versuchte schwere Körperverletzung, Raufhandel sowie Gewalt und Drohung gegen Beamte. Es werden aber nur noch 16 Monate vollzogen und 20 Monate bedingt aufgeschoben.

Die 37-jährige Studentin erhält neu eine bedingte Geldstrafe von 240 Tagessätzen à 30 Franken bei einer Probezeit von 4 Jahren. Drei Opfern werden Genugtuungen von 2000 Franken, 750 Franken und 600 Franken zugesprochen.

Urteil SB230209 vom 28. 5. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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