Mittwoch, Oktober 2

Ein serbischer Familienvater ist wegen sexuellen Übergriffen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 10 Jahren Landesverweis verurteilt worden.

Es war nachts um 2 Uhr 30 als ein 10-jähriges Mädchen im Pyjama, barfuss und in Panik aus einer Wohnung im Zürcher Unterland flüchtete und 500 Meter durch die Dunkelheit zu seinem Elternhaus rannte. Das Mädchen war bei einer damals ebenfalls 10-jährigen Kollegin zu Besuch gewesen, um dort zu übernachten. In der Wohnung war nur noch der Vater der Kollegin anwesend.

Zuhause erzählte das Kind, es sei vom Vater der Kollegin vergewaltigt worden. Das Mädchen wurde zeitnah im Kinderspital untersucht. Ein Abstrich förderte ein inkomplettes Y-DNA-Profil zutage, dass mit jenem des Angeschuldigten übereinstimmte, wie sich später herausstellte.

Der Mann, ein serbischer Handwerker Mitte 50, wurde verhaftet. Im Laufe der Strafuntersuchung erzählte auch dessen eigene Tochter, sie sei über Jahre mehrfach vom Vater vergewaltigt worden. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werden hier weitere Daten zu den involvierten Personen und Örtlichkeiten nicht näher genannt.

Zu dritt im gleichen Bett geschlafen

Die Staatsanwaltschaft I für schwere Gewaltdelikte hat den Familienvater wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfacher Vergewaltigung und mehrfachen Inzests angeklagt.

In der Anklage steht, dass sich der Beschuldigte in jener Nacht ins gleiche Bett zwischen die beiden Mädchen legte. Er soll das Nachbarmädchen anal penetriert haben, während die Tochter schlief. Unter dem Vorwand, auf das WC zu müssen, konnte das Opfer die Wohnung verlassen.

In einem zweiten Dossier wird dem Beschuldigten vorgeworfen, seine eigene Tochter an mindestens fünf verschiedenen Daten, als sie zwischen 8 und 10 Jahre alt war, sexuell missbraucht und vergewaltigt zu haben. Er habe jeweils zu ihr gesagt, sie dürfe niemandem davon erzählen, sonst müsse sie ins Jugendheim.

Im Prozess vor Bezirksgericht Bülach bestreitet der Beschuldigte sämtliche Vorwürfe. Es handle sich um ein Komplott seiner Ehefrau, von der er sich inzwischen getrennt hat. Sie habe die beiden Mädchen zu Falschaussagen angestiftet. Diese hätten gewusst, dass er eine neue Freundin hatte und er habe ihnen gesagt, sie dürften das nicht der Mutter sagen.

Seine Ehefrau wolle ihn nun zugrunde richten und «völlig kaputtmachen». Zudem wolle sie Geld und ihn aus der Schweiz vertreiben.

Er bestätigt allerdings, im selben Bett wie die beiden Kinder geschlafen zu haben. Es handelte sich um das Bett eines damals nicht in der Wohnung anwesenden Sohnes (was für die Strategie der Verteidigerin von entscheidender Bedeutung ist). Er sei aber müde gewesen und habe gar nicht gemerkt, dass das Nachbarmädchen die Wohnung verlassen habe. Er habe geschlafen.

Er wisse nicht, weshalb die Mädchen so etwas erzählten. Sie müssten von seiner Ehefrau, mit der er massive Probleme und Streitigkeiten habe, manipuliert worden sein. Als die Richterin fragt, wieso das gefundene inkomplette Y-DNA-Profil mit seinem DNA-Profil übereinstimme, sagt er: «Ich habe nichts berührt und nichts gemacht.»

Im Laufe der Befragung bestätigt der Beschuldigte allerdings, dass er regelmässig gemeinsam mit seiner Tochter und der Ehefrau gebadet und geduscht habe. Er habe dabei aber immer die Unterhose anbehalten. Als Begründung gibt er an: «Der Verwalter kritisierte uns immer, dass wir zu viel Wasser verbrauchen, deshalb haben wir zusammen gebadet.»

DNA-Spuren vom Sohn?

Der Staatsanwalt beantragt eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren, die Anordnung eines lebenslänglichen Tätigkeitsverbots im Kontakt mit Minderjährigen und 10 Jahre Landesverweis. Von der Schuld des Serben in Bezug auf das Nachbarmädchen ist der Ankläger aufgrund der Beweise und der «eindrücklichen und detaillierten Aussagen» des Mädchens überzeugt.

Die Straftaten gegenüber der Tochter habe er aber nur «in dubio pro duriore» angeklagt, räumt der Staatsanwalt ein. Dort fehlten nämlich objektive Beweismittel, und es sei durchaus auffällig, wie detailarm und «leer» die Aussagen der Tochter seien.

Die Verteidigerin plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch. Für 318 Tage ungerechtfertigter Haft seien dem Beschuldigten 63 600 Franken zu vergüten und er sei sofort aus der Haft zu entlassen. Bei der ärztlichen Untersuchung im Kinderspital seien am Nachbarsmädchen keine frischen Verletzungen festgestellt worden und das inkomplette DNA-Profil sei nur an einer einzigen Stelle gefunden worden.

Das Mädchen habe im Bett geschlafen, das normalerweise von einem Sohn des Beschuldigten benützt werde. Dieser habe dasselbe Y-Chromosom wie der Vater. Es sei deshalb nicht auszuschliessen, dass von der Bettwäsche DNA des Sohnes auf das Mädchen übertragen worden sein könnte, referiert sie. Die Aussagen der beiden Mädchen seien zudem schlichtweg unbrauchbar.

Was wirklich geschehen sei, wisse das Gericht nicht, deshalb müsse es den Beschuldigten «in dubio pro reo» freisprechen.

40 000 und 10 000 Franken Genugtuung für die Opfer

Die drei zuständigen Richterinnen des Bezirksgericht Bülach folgen dann aber in allen Punkten den Anträgen des Staatsanwalts; also 5 Jahre Freiheitsstrafe, lebenslängliches Tätigkeitsverbot und 10 Jahre Landesverweis. Die Tochter erhält 40 000 Franken, das Nachbarsmädchen 10 000 Franken Genugtuung zugesprochen.

Die Einvernahmen der Mädchen seien verwertbar. Es sei ausgeschlossen, dass die DNA-Spur am Anus von der Bettwäsche stamme. Das Kind habe nicht nur eine kurze Pyjama-Hose, sondern auch eine Unterhose getragen. Es sei zudem höchst unwahrscheinlich, dass ein Kind mitten in der Nacht durch die dunkle Nacht renne, wenn nicht etwas Schlimmes passiert sei, begründet die vorsitzende Richterin.

Es gebe zudem überhaupt keinen Grund, dass sich das Nachbarsmädchen und deren Eltern an einem Komplott der Ehefrau beteiligen sollten.

Auch die Aussagen der eigenen Tochter sehe das Gericht als glaubhaft an. Dass sie in ihren Schilderungen eher vage bleibe, könne ein Schutzmechanismus sein. Wenn die Mutter hinter den Vorwürfen stehen würde, hätten sie die Aussagen wohl vorher geübt. Und das Kind schildere durchaus auch Details. Ein Härtefall liege beim obligatorischen Landesverweis nicht vor.

Der Beschuldigte bleibt in Sicherheitshaft. Diese ist bis Dezember verlängert worden.

Urteil DG240012 vom 26. 6. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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