Dienstag, November 26

Von einem Präsidenten der Weltklimakonferenz wird erwartet, dass er die Interessen unterschiedlichster Länder ausgleicht und hinter den Kulissen Kompromisse schmieden kann. Beobachter zweifeln daran, dass Babajew diesen Erwartungen gerecht werden kann.

Ab morgen ist es wieder so weit: Für zwei Wochen kommen Vertreter von knapp 200 Staaten zur 29. Weltklimakonferenz zusammen, kurz COP29. Sie findet in Baku statt, der Hauptstadt von Aserbaidschan, dessen Wirtschaft stark von Erdgas- und Erdölexporten abhängt. Der Präsident der COP ist Muchtar Babajew. Der 57-Jährige ist seit 2018 Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen des autoritär regierten Landes. Er hat bereits fünfmal die Delegation Aserbaidschans bei Weltklimakonferenzen geleitet, kennt das herausfordernde Format also zur Genüge.

Für manche ist es der Beginn einer grossen Karriere. Etwa für Angela Merkel, die in Berlin 1995 als Leiterin der ersten Uno-Klimakonferenz (COP1) zum ersten Mal die Weltbühne betrat. Merkel hatte vorher extra einen Englischkurs belegt. Sie leitete die Verhandlungen umsichtig und durchsetzungsfähig.

Für andere endet die Aufgabe in Schmach, wie etwa für den dänischen Ministerpräsidenten Lars Lökke Rasmussen. Unter seiner Präsidentschaft scheiterte 2009 in Kopenhagen die COP15. Damit geriet der Erfolg der internationalen Umweltpolitik überhaupt in Gefahr.

Einige wachsen über sich hinaus und überraschen ihre grössten Kritiker – etwa Abdullah bin Hamad al-Attiyah aus Katar. Als Präsident der Konferenz von 2012 liess er seine Vergangenheit als Präsident der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) hinter sich, erzielte einen Konsens darüber, die Opfer des Klimawandels zu entschädigen, und klopfte das Verhandlungsergebnis mit schnellen Hammerschlägen fest.

Wieder andere bleiben nicht wegen Erfolgen in Erinnerung, sondern, wie Sultan al-Jaber bei der letzten COP in Dubai, wegen Debatten um Interessenkonflikte. Dieser Präsident war der Chef des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Adnoc.

Das Amt der COP-Präsidenten geht mit einer grossen Verantwortung einher. Sie sollen einen hochkomplexen Verhandlungsprozess mit Hunderten Themen und Unterthemen leiten, bei dem die Interessen von armen und reichen Ländern, von Demokratien und Diktaturen, von Fossilökonomien und Öko-Vorreitern aufeinanderprallen. Von den COP-Präsidenten wird erwartet, dass sie auf offener Bühne Visionärskraft zeigen und hinter den Kulissen Kompromisse schmieden können. Zudem müssen sie vor allem in der Schlussphase bis in die Nacht hinein verhandeln können, ohne zu schwächeln.

Von dem Präsidenten der COP29 wird viel erwartet

Babajew, der Präsident der diesjährigen COP, ist für die meisten Menschen, die sich mit dem Klimaschutz beschäftigen, ein Unbekannter. Bei der COP29 wird er oben auf dem Podium Platz nehmen, neben Simon Stiell, dem Exekutivsekretär der Uno-Klimarahmenkonvention. Er ist zudem Leiter der sogenannten «Troika», in der sein Vorgänger aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und sein Nachfolger aus Brasilien, wo die COP30 stattfinden wird, vertreten sind. Das Dreiergespann soll durch Zusammenarbeit für Kontinuität über die jährlichen Gipfel hinweg sorgen. Bei dieser COP steht auch im Fokus, ob die drei Länder glaubhaft handeln und ihre nationalen Klimaziele nachschärfen.

Schafft Babajew es, die Weltklimakonferenz so entscheidend voranzubringen, wie es nötig wäre? Fortschritte erhofft man sich vor allem im Bereich der Finanzierung. In Reden im Vorfeld der COP29 hat Babajew signalisiert, dass er die Lage als sehr ernst und rasches Handeln als sehr wichtig ansieht, also kein Verharmloser sein will.

Alle Staaten müssten ihre Anstrengungen, Emissionen zu reduzieren und sich auf Klimastress vorzubereiten, jetzt deutlich erhöhen, sagte er etwa während der Climate-Week Ende September in New York. Auch seine Heimat, die Kaukasusregion, sei «mit extremer Hitze, Wasserknappheit und sinkenden Wasserständen im Kaspischen Meer konfrontiert, die sich unmittelbar auf unser Leben und unsere Lebensgrundlagen auswirken», schrieb er im September warnend in einem 20-seitigen Rundschreiben an Teilnehmer der Konferenz, in dem er seine Agenda darlegte.

Zu seinen wichtigsten Zielen für die COP29 zählt der Minister, dass die reichen Staaten sich zu deutlich höheren jährlichen Zahlungen für den Klimaschutz in ärmeren Ländern verpflichten als die derzeitigen 100 Milliarden Dollar, die zu beschliessen schon sehr schwer war.

Die COP29 folgt auf Monate, in denen an Land und in den Meeren ein Temperaturrekord den anderen jagte, gleichzeitig in Westafrika, Mitteleuropa und den USA ungewöhnlich heftige Überschwemmungen auftraten, mit dem Rio Negro ein grosser Nebenfluss des Amazonas austrocknete und mit dem Pantanal das grösste Feuchtgebiet der Erde in Flammen stand. Die Warnrufe aus der Wissenschaft, dass Prognosen bereits Wirklichkeit werden, sind unüberhörbar.

Auch Wirtschaftsvertreter sind alarmiert: «Geopolitische Spannungen und rekordverdächtige Klimaereignisse unterstreichen die Dringlichkeit der internationalen Verhandlungen», sagt Alexander Keberle, Leiter Energie, Infrastruktur und Umwelt bei Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft.

Im Vordergrund stehen Finanzierungsfragen

Christoph Bals, der Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch, ist einer der erfahrensten Beobachter von Uno-Klimaverhandlungen. Babajew liege richtig, wenn er sehr grundsätzliche Finanzfragen zur Diskussion stellen wolle, etwa zur Rolle von Entwicklungsbanken und dazu, wie private Gelder in den Klimaschutz gelenkt werden könnten, sagt er. «Sollen die Ziele für Klimaschutz, Anpassung und zur Bewältigung der Schäden erreicht werden, bedarf es mindestens einer Verzehnfachung der bislang mobilisierten 100 Milliarden Euro jährlich.»

Alexander Keberle von Economiesuisse hält den geplanten Fokus der COP29 auf die Klimafinanzierung ebenfalls für richtig. «Sinnvoll wäre je eine einheitliche CO2-Abgabe für Industrieländer, für Schwellenländer und für Entwicklungsländer, damit sich möglichst viele Länder daran beteiligen», sagt er.

Welche Länder wie viel in den «Loss and Damage»-Fonds einzahlten, müsse sich nach deren Beitrag zu den historischen Emissionen richten., sagt Alexander Keberle, Leiter Energie, Infrastruktur und Umwelt bei Economiesuisse. Dieser Fonds ist zum Ausgleich von Verlusten und Schäden gedacht, die durch den Klimawandel verursacht wurden. Zudem, so Keberle, sollten Länder ihre Klimaziele zusammenlegen können, um sie gemeinsam zu erreichen. Ein wünschenswertes Resultat der Klimakonferenz wäre auch ein verbindliches Datum für den Ausstieg aus der Kohle.

Ein weiterer Knackpunkt der Konferenz ist die Frage, welche neuen Klimaziele sich die Staaten setzen. Denn die bisherigen Massnahmen und ihre schleppende Umsetzung laufen auf eine Erderwärmung um gefährliche 2,5 bis 2,9 Grad Celsius bis 2100 hinaus. «Nur mit bedeutend gesteigerten Ambitionen der Länder, die den Klimawandel verursachen, ist es noch möglich, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen», sagt Delia Berner von der Alliance Sud, einer entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft von sechs Schweizer Organisationen.

Christoph Bals fiel positiv auf, dass sich Babajew schon im April beim «Petersberger Klimadialog» im Berliner Aussenministerium mit klaren Worten zum Ziel bekannte, die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten, was sofortige tiefgreifende Massnahmen notwendig machen würde. Im Sommer kündigte Babajew an, auch sein Land werde die «Nationally determined contributions», kurz NDC, so nachschärfen, dass sie zu dem Klimaziel passten.

Kritik an Aserbaidschans Klimabilanz

Niklas Höhne, Professor für CO2-Reduktion an der Universität Wageningen und Initiator des Climate Action Tracker, stuft die eigenen Pläne des Landes Aserbaidschan allerdings als «absolut ungenügend» ein. Ende 2023 hatte das Gastgeberland bei den Vereinten Nationen als neues Ziel hinterlegt, bis 2050 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Nötig, um zum 1,5-Grad-Ziel beizutragen, wäre gemäss dem Climate Action Tracker aber ein viel schnellerer Rückgang: eine Reduktion der heutigen Emissionen von 70 Millionen Tonnen auf 35 Millionen Tonnen 2030 und nur noch 10 Millionen Tonnen 2050.

Dass solche Ziele mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew zu schaffen sein sollen, ist beinahe ausgeschlossen. Seit 2010 sind die Emissionen seines Landes um 38 Prozent gestiegen. Beim Petersberger Klimadialog hat er noch die eigenen Öl- und Gasreserven ein «Geschenk Gottes» genannt und ihre Nutzung als «Recht» der Öl- und Gasstaaten bezeichnet.

Aus den Reihen von Umweltschützern wird Babajew – wie zu erwarten – viel Misstrauen entgegengebracht. Nicht nur vertritt er eine Regierung, die auf Erdölförderung baut, er kommt auch selbst aus der Ölbranche. Bevor er 2010 in die Politik ging und Abgeordneter wurde, hat er für die State Oil Company of Azerbaijan gearbeitet. Er war dort für Nachhaltigkeit zuständig, also nicht ganz so hochrangig in das globale Ölbusiness eingebunden wie Sultan al-Jaber.

Sir David King, früherer Chefwissenschafter bei der britischen Regierung und Gründer der Climate Crisis Advisory Group, nannte Anfang des Jahres die Ernennung eines weiteren früheren Ölmanagers zum COP-Präsidenten dennoch «so enttäuschend wie angesichts der Ölabhängigkeit Aserbaidschans unausweichlich».

«Die COP-Präsidentschaft eines Landes, dessen Geschäftsmodell grösstenteils von fossilen Energien abhängt und das autoritär regiert ist, ist herausfordernd – für die Welt, aber auch für den COP-Präsidenten», sagt Christoph Bals.

«Ich erwarte, dass das Gastgeberland seine nationalen Interessen in Bezug auf fossile Energieträger aussen vor lässt und alles daransetzt, im Sinne des Pariser Abkommens ambitionierte Beschlüsse zu ermöglichen», sagt Delia Berner, die bei Alliance Sud für internationale Klimapolitik zuständig ist und in Baku als Vertreterin der Zivilgesellschaft Teil der Schweizer Delegation sein wird.

Der aserbaidschanische Umweltaktivist Cavid Qara sieht Babajews bisheriges Wirken sehr kritisch. Qara war jüngst als Vertreter der kleinen, unregistrierten Organisation Ecofront bei Abgeordneten des Deutschen Bundestags eingeladen, die sich von der Lage in der autoritär regierten Kaukasusrepublik ein Bild machen wollten. Bis kurz vor Babajews Amtsantritt im Umweltministerium arbeitete er dort nach eigenen Angaben als Berater für den Bereich Waldpolitik.

«Babajew hat sich nicht für die Umwelt interessiert, sondern nur dafür, von allen gelobt und als mächtigster Mann gesehen zu werden, der im Ministerium vor allem Kosten senkt», sagt Qara. Mit ständigem Mikromanagement habe er die Mitarbeiter stark verunsichert und erst gar nicht versucht, sich mit grösseren Firmen anzulegen oder grössere Erfolge zu erzielen. Er werde bei der COP zwar freundlich und diplomatisch agieren, habe aber für Aserbaidschan bisher keinen überzeugenden Plan vorgelegt, aus fossiler Energie auszusteigen: «Wie soll man da glaubwürdig sein?»

Qara ist nach seinem Ausscheiden aus dem Umweltministerium nach Grossbritannien gezogen, er orchestriert seither von dort aus Proteste gegen illegale Waldzerstörung in Aserbaidschan. Er wird zur COP in sein Heimatland fahren, tritt die Reise allerdings mit einem mulmigen Gefühl an: «Bei den Menschenrechten ist die Situation in Aserbaidschan schlecht», sagt er.

NZZ Planet A

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Christoph Bals von Germanwatch ist vor diesem Hintergrund sehr besorgt, wie stark die Zivilgesellschaft in Aserbaidschan unter dem Druck der autoritären Regierung steht. Er sieht es als erste Messlatte für Babajews Amtsführung als COP-Präsident an, ob sich Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen aus Aserbaidschan und der ganzen Welt im Umfeld der COP29 «frei und unbekümmert ausdrücken und auch frei demonstrieren» können.

Langfristig wird man Babajew aber eher daran messen, ob die COP29 zur reinen «Zwischenkonferenz» gerät, die schnell in Vergessenheit gerät, wie manche Unterhändler aus der EU glauben – oder ob es wegweisende Beschlüsse gibt. Der COP-Präsident selbst weckt ziemlich hohe Erwartungen, wenn er sagt, die Erfolge von Baku sollten «das Fundament für alle zukünftigen Anstrengungen in der Klimapolitik bilden» und «ein neues Kapitel aufschlagen.»

Damit dies auch nur ansatzweise gelingt, muss sehr viel gut laufen in Baku – auch, dass der aserbaidschanische Präsident die COP nicht handstreichartig von Babajew übernimmt.

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