Mittwoch, Februar 5

Weshalb das Bezirksgericht Winterthur den Straftatbestand der «Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit» nicht als erfüllt erachtet.

Im Juli 2020 betritt ein heute 26-jähriger Italiener zusammen mit einem Kollegen eine Moschee in Winterthur. Sie nehmen Getränke in den Gebetsraum mit. Der Imam macht sie darauf aufmerksam, dass dies nicht erlaubt sei. Der Beschuldigte soll geantwortet haben, laut Koran sei es erlaubt, im Gebetsraum zu trinken. Es sei eine Sünde, dies zu verbieten.

Zudem habe der Beschuldigte erklärt, der Imam und die in der Moschee anwesenden Gläubigen seien gar keine richtigen Muslime und beteten falsch. Bereits eine Woche zuvor soll der Beschuldigte Gläubige in der Moschee auf die gleiche Art und Weise belästigt haben.

In der Anklageschrift ist dies als «Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit» angeklagt.

Weil die Behörden damals glaubten, es könnte sich beim Italiener um einen radikalen Islamisten handeln, wurde er verhaftet. Bei ihm zu Hause wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet und durchgeführt. Dabei kamen mehrere Dateien mit harter Pornografie und Propagandavideos des Islamischen Staates zum Vorschein.

In der Anklage sind mehrere weitere Vorfälle aufgelistet: das Nichttragen einer Maske in einer S-Bahn während der Pandemie und Gewalt und Drohung gegen das Zugpersonal. Er soll zwei ZVV-Mitarbeitern damit gedroht haben, ihre Zungen herauszuschneiden, wenn sie nicht ruhig seien.

Hinzu kommen ein Ladendiebstahl in einem Manor-Warenhaus, der Verstoss gegen ein zweijähriges Hausverbot im Coop, ein Einbruch in einen Gewerbebetrieb mit Diebstahl eines Tresors mit angeblich 10 000 Franken Inhalt und der Diebstahl eines iPhones von einem Passanten im Bahnhof Winterthur.

Aufgrund einer Schizophrenie schuldunfähig

Eine Gerichtspsychiaterin diagnostizierte beim Beschuldigten eine Schizophrenie. Zum Zeitpunkt aller Taten sei er nicht schuldfähig gewesen. Die Staatsanwältin beantragte deshalb die Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person mit einer stationären Massnahme. Im Gerichtssaal ergänzt sie ihre Forderungen mit einem fakultativen Landesverweis von fünf Jahren für den in Winterthur geborenen und aufgewachsenen Beschuldigten.

Dieser kann sich im Gerichtssaal an vieles nicht erinnern. Ja, er sei in der Moschee gewesen, um dort zu beten, aber nur einmal. Bei den Anschuldigungen handle es sich um ein Missverständnis. Die Diebstähle und den Einbruch bestreitet er. Wie seine DNA am Einbruchsort auf einen Aktenvernichter unter dem Einstiegsfenster gekommen ist, weiss er nicht. In der Untersuchung gab er an, sie könne eventuell durch eine Drittperson, welcher er die Hand geschüttelt habe, durch Fremdübertragung dorthin gelangt sein.

Der junge Mann, der von einer IV-Rente lebt, fühlt sich zudem «vollkommen gesund» und ist überzeugt, dass er nicht an Schizophrenie leidet. Es handle sich vielmehr wohl um ein Burnout und ADHS. Mit einer ambulanten Massnahme ist er einverstanden, eine stationäre Therapie lehnt er aber kategorisch ab.

Sein Verteidiger weist darauf hin, dass sein Mandant seit zwei Jahren absolut deliktfrei lebe. Es werde ihm auch kein einziges Gewaltdelikt vorgeworfen. Eine stationäre Massnahme sei deshalb überhaupt nicht verhältnismässig. Dasselbe gelte für den Landesverweis. Mit seinem Verhalten in der Moschee habe er die Glaubensfreiheit nicht gestört. Der Imam selber habe ausgesagt, dass seine religiösen Gefühle nicht verletzt worden seien. Der öffentliche Friede sei nicht gefährdet worden.

Verhalten nicht schwer genug

Das Bezirksgericht Winterthur stellt in seinem Urteil fest, dass die Straftatbestände der Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit, der harten Pornografie, der Gewaltdarstellungen und der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte nicht erfüllt seien. Die restlichen Straftatbestände – vor allem sämtliche Vermögensdelikte – seien erfüllt. Der 26-Jährige habe sie aber im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit begangen. Von einer Strafe wird abgesehen, und es wird lediglich eine ambulante Massnahme angeordnet.

Sein Verhalten in der Moschee reiche für die Erfüllung des Straftatbestandes nicht aus. Die Gläubigen seien nicht beschimpft oder verspottet worden. Eine Hausdurchsuchung sei durch sein Verhalten gar nicht gerechtfertigt gewesen. Die gefundenen Dateien seien als Beweismittel nicht verwertbar.

Das Zugpersonal habe sich durch die Äusserungen des Beschuldigten nicht bedroht gefühlt und keine Angst gehabt. In diesem Zusammenhang seien nur die Straftatbestände des Ungehorsams gegen Anordnungen eines Sicherheitsorgans des öffentlichen Verkehrs und der Verletzung der Maskentragpflicht erfüllt.

Der Beschuldigte müsse behandelt werden und benötige eine Therapie. Die Gutachterin sei noch von Gewaltdelikten ausgegangen, diese seien aber in der Strafuntersuchung eingestellt worden. Deshalb reiche eine ambulante Therapie. Eine Verwahrung komme sowieso nicht infrage. Zum Beschuldigten sagt der Gerichtsvorsitzende direkt: «Sie haben eine ernsthafte Erkrankung, es wäre schön, wenn Sie das akzeptieren könnten.»

Urteil DG230041 vom 14. 3. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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