Montag, Oktober 21

Matthias Ackeret bewundert die Mächtigen und wird dafür belächelt: Er biedere sich an, sei unkritisch, ohne eigene Meinung. Interessanter ist die Frage: Was fasziniert ihn so am Leben der anderen?

Es wird ein guter Tag werden. Ein Freitagmorgen im Oktober, und Matthias Ackeret ist im Auto unterwegs nach Herrliberg, um eine weitere Folge von «Teleblocher» aufzuzeichnen. In ungefähr jeder dritten Sendung sage Christoph Blocher etwas, das die Medien danach aufgreifen würden, sagt Ackeret. Manche Journalisten seien sich zwar immer noch zu schade, die Quelle zu nennen. Aber egal.

Es sei doch «Wahnsinn»: Seit 17 Jahren gebe es «Teleblocher», seine Interview-Sendung mit dem Alt-Bundesrat, die sich jeweils zwischen 30 000 und 60 000 Zuschauer anschauen. Praktisch keine Sendung hätten sie ausfallen lassen, bald zeichneten sie die 900. Folge auf. «Teleblocher» sei damit wohl der älteste Internet-Talk. Er klingt jetzt ein bisschen wie Roger Schawinski, sein ehemaliger Chef von Tele Züri.

Kurz vor 7 Uhr klingelt Ackeret am Tor der Villa über dem Zürichsee. Dieses öffnet sich, und Ackeret lenkt seinen Mazda in die Einfahrt. Christoph Blocher, in Anzug und Krawatte wie Ackeret, erwartet den Besuch bereits vor der Haustür.

Dann läuft alles so ab, wie es jeden Freitagmorgen abläuft. Sie sitzen am Esstisch und trinken Kaffee, umgeben von Albert Ankers «Schulspaziergang» und dem Genfersee von Ferdinand Hodler. Man redet über dies und das. Der Alt-Bundesrat macht sich Gedanken über die Archivierung seines schriftlichen Nachlasses. Matthias Ackeret erzählt, wie es der Schriftsteller Martin Walser gehalten hat, mit dem er befreundet war.

Es ist ein Aufwärmen, kein Sich-Absprechen. Ackeret verrät nicht, wozu er Blocher später befragen wird. Alles soll unmittelbar wirken. Noch nie wurde das Gespräch nachträglich geschnitten. Er überlege sich die Themen oft erst bei der Zeitungslektüre am Freitagmorgen, hat Ackeret auf der Fahrt nach Herrliberg gesagt. Nur ein Thema ist diesmal gesetzt: Christoph Blocher hat Geburtstag.

«Sie werden heute 84. Was geht einem da durch den Kopf?», fragt Ackeret, als die beiden Männer um 7 Uhr 30 auf ihren Stühlen mitten in Blochers Stube vor dem antiken Kachelofen sitzen, wo sie der Kameramann platziert hat. Blocher sagt, weshalb ihn sein Geburtstag mit Dankbarkeit erfülle. Ackeret lächelt, hört zu, nickt, wartet den Schlusspunkt ab und sagt: «Wechseln wir zur Realpolitik.»

«Teleblocher» verursacht Wirbel

Es ist ein guter Tag für Matthias Ackeret: Am Wochenende wird «Teleblocher» von der NZZ, über die «Sonntagszeitung» bis zur SRF-«Tagesschau» zitiert. Blocher spricht sich in der Sendung für ein Ja zur Gesundheitsreform aus, entgegen der Parole der SVP-Parteileitung. An der SVP-Delegiertenversammlung am Samstag sagte die Basis ebenfalls Ja. Blocher habe auf «Teleblocher» die Vorgabe gemacht, wird vermutet.

Kurz nach 8 Uhr sitzt Ackeret wieder im Auto, zieht die Krawatte aus und sagt: Vielleicht sollte er Blocher öfter unterbrechen und nachhaken. Es klingt nicht so, als sähe er darin einen Makel. Vielmehr nimmt er die Kritik an seinem Interviewstil vorweg: Blocher einfach reden zu lassen.

Als «Teleblocher» 2007 startete, war Ackeret heftigen Anwürfen ausgesetzt. Er lasse sich von Blocher, der damals Bundesrat war, instrumentalisieren, empörten sich Politiker und Journalisten. Der damalige SRF-Chefredaktor Ueli Haldimann nannte ihn ein Blocher-Groupie. Der Publizist Roger de Weck prophezeite ihm das Ende seiner Karriere.

Dabei will es der 61-jährige promovierte Jurist mit allen gut haben. Wo er politisch steht, wird auch nach über 800 «Teleblocher»-Sendungen nicht klar. Er sei völlig unkritisch und ohne eigene Meinung, heisst es. Er schaue gerne hoch und hoffe, dass etwas vom Glanz der Mächtigen auf ihn abfalle.

Wahrer ist wohl, dass es Ackeret gut geht, wenn er anderen ein gutes Gefühl vermittelt. Er versichert sie ihrer Bedeutung. Er rivalisiert gerade nicht mit ihnen. Deshalb lassen sie ihn, der sich etwas Unschuldiges bewahrt hat, nahe an sich heran.

Er setzt sich ein Ziel und rennt los

Der Verleger und Chefredaktor von «Persönlich», des Magazins für Kommunikation und Werbung, wollte schon immer «dort sein, wo etwas passiert». Aufgewachsen in Uhwiesen im Zürcher Weinland, träumte Ackeret als Teenager davon, eines Tages für den Medienpionier Roger Schawinski zu arbeiten. Meistens erreicht er, was er sich in den Kopf gesetzt hat: Er wurde Videojournalist bei Schawinskis Privatsender Tele Züri. Ein rasender Reporter mit Schaffhauser Dialekt, begeisterungsfähig und beflissen, wenn es darum geht, sich mit Prominenten vor der Kamera zu zeigen. Dafür wird er belächelt. «Frohnatur» nennt man ihn.

Denkt Ackeret an manche Begegnungen, muss er selber lachen. Als Helmut Kohl einst in Zürich landete, hielt ihm Ackeret das Mikrofon unter die Nase und frage: «Herr Bundeskanzler, wie gefällt Ihnen Zürich?» Kohl antwortete: «Ich sehe ja nur Sie, und das ist mir zu wenig.» Ein paar Jahre später ging Ackeret mit Gerhard Schröder für ein Fernsehinterview auf dem Zürichsee Pedalo fahren.

Nach dem Ende der DDR machte er das Haus von Egon Krenz ausfindig, dieser öffnete ihm verweint und im Trainer die Tür. «Wie geht es Ihnen?», fragte Ackeret. «Schlecht», antwortete Krenz. Danach organisierte Ackeret dem ehemaligen SED-Generalsekretär einen Vortrag in Schaffhausen.

Ackeret erzählt solche Anekdoten, als hätte er sie gestern erlebt. Er hat ein phänomenales Gedächtnis. Er weiss, wann was auf der Welt passiert ist, weil er sich erinnert, wo er damals war. «Fragen Sie mich nach einem Ereignis, und ich sage Ihnen das Datum», fordert er das Gegenüber auf. Meistens besteht er. Sieht er das Staunen, freut er sich wie ein Kind.

Ackeret war in Hongkong, als dieses an China überging. Er reiste kurz nach 9/11 nach New York. Er suchte nach der Ibiza-Affäre um den damaligen österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Villa auf Ibiza, wo das Skandalvideo gedreht wurde – lag nachts wach, studierte Google Maps, bis er den Ort lokalisierte und hinfuhr.

Warum tut er das?

Es ist Montagabend, Matthias Ackeret sitzt im Café Plüsch in Zürich-Wiedikon, gleich um die Ecke ist die «Persönlich»-Redaktion. Er trinkt einen Espresso, der erste von dreien. Er sagt: Stehe er schliesslich vor der Villa auf Ibiza, habe er ein Glücksgefühl. Er redet schnell, fährt sich oft durch die Haare, bestätigt Fragen zuerst mit «Jo, jo». Doch statt seine Motivation zu analysieren, zitiert er lieber zwei Künstler, deren Lebensmotto er sich verinnerlicht habe. André Heller habe gesagt, man solle sich keinen einzigen Tag langweilen. Andy Warhols Spruch von den fünfzehn Minuten Ruhm setzt er um, indem er Augenblicke verewigt – von sich an geschichtsträchtigen Orten oder mit Menschen mit Namen.

Die Selfies stellt er auf seinen Instagram-Account. Am Zurich Film Festival (ZFF) gelang ihm soeben eine verwackelte Aufnahme von Richard Gere, sein eigenes Gesicht angeschnitten am unteren Bildrand. Er posiert mit Emil und Schawinski. Zu Udo Jürgens’ 90. Geburtstag postet er ein altes Foto von sich und dem Sänger. Dann wieder sieht man ihn am Grab von Joe Dassin in LA, dessen Chansons er so gerne hat.

Schawinski: «Ein lieber, unpolitischer Mensch»

Roger Schawinski hat Ackeret gefördert, die beiden Männer sind befreundet. Ackeret hat auf Radio 1 eine wöchentliche Kolumne und den Podcast «Shortlist» mit Marc Jäggi. Er war schon mehrfach zu Gast in der Talk-Sendung «Doppelpunkt». Dabei zeigt sich Schawinski von seiner angriffigsten Seite. Er hält Ackeret vor, dass dieser der Mikrofonhalter von Blocher sei und noch nie einen Journalistenpreis gewonnen habe. Er nennt ihn nekrophil, weil er seine toten Idole auf Friedhöfen besucht.

Er möge Ackeret sehr gut, aber etwas provoziere ihn an dessen Art, sagt Roger Schawinski am Telefon. Würden sie sich privat treffen und trinke man dabei ein, zwei Gläser, könne er sich manchmal mit Frotzeleien nicht zurückhalten. Seine Frau müsse ihn dann zügeln. Ackeret sei «ein lieber, etwas ängstlicher Mensch, der alles und alle toll findet und völlig unpolitisch ist». Als Fan der grossen alten Männer, einschliesslich ihm, Schawinski, wolle er im Gegenzug öfters, dass man auch Fan von ihm sei. Letztlich halte ihre Beziehung das aus. «In einer Welt, die so voller Zynismus, Neid und Missgunst ist, sind Menschen wie Matthias eine Ausnahme», sagt Schawinski.

Ackeret nennt Schawinskis Kritik an ihm als Journalist «Sticheleien». Das sei «part of the game». So sei er halt, er trage ihm das nicht nach.

Wenig überraschend lobt Christoph Blocher Ackerets Methode. Dieser gehe «offen und neugierig» an ein Gespräch heran, wie es sich für einen Journalisten gehöre: «Er kommt nicht mit einer vorgefassten Meinung und wertet nicht.»

Jean Ziegler, am anderen Ende des politischen Spektrums, ist ein weiterer väterlicher Freund von Ackeret. Ziegler bezeichnet Ackeret als «freien Geist mit einer radikalen Unabhängigkeit», auch als Medienunternehmer. Er habe eine menschenfreundliche, lebendige Intelligenz. «Einen Ackeret gibt es nur einmal», sagt er. «Seine Bedeutung im Schweizer, nein im europäischen Geistesleben wird unterschätzt.»

Damit meint Ziegler auch Ackeret, den Romanautor. Ackeret hat neben Sachbüchern mehrere Romane veröffentlicht, die er meist nachts schreibt, wenn er nicht schlafen kann. Für «Die ganze Welt ist Ballermann» ging er 1998 mit seinem Freund Manfred Klemann, heutiger Miteigentümer von «Persönlich», auf Reisen. Von jedem Ort schickten sie ihrem Idol Martin Walser eine Postkarte. Auch das stand für Ackeret schon als Student fest: Er würde Walser eines Tages kennenlernen.

Bewunderung für die B-Prominenz

Man kann einen Abend mit Ackeret verbringen, unterhält sich bestens, lacht viel, ohne dass er fassbarer würde. Einmal blinkt sein Handy – seine Schwester Regula. Sie hat die Hotelfachschule besucht und arbeitet heute in einem Altersheim. Als Ackerets Mutter schwer an Demenz erkrankte, übernachtete er viel bei seinem Vater in Uhwiesen, damit dieser nicht so allein war. Die letzten Monate verbrachte Ackeret damit, das Haus seiner Kindheit zu räumen. Anfang Jahr ist die Mutter gestorben. Sein Vater, ein ehemaliger Lehrer, zog mit 94 ins Altersheim.

Vieles klingt bei Ackeret gleichwertig. Schon spricht er wieder über sein Netzwerk, das stetig wächst. An seinen 60. Geburtstag lud er 200 Leute ins Restaurant La Salle in Zürich ein. Viele Gäste sah man wieder am Jubiläumsfest zum 60-jährigen Bestehen des «Persönlich»-Verlags diesen Juli. Ackeret hat nicht nur einen Draht zu den Unerreichbaren. Er zählt auch den Skirennfahrer Bernhard Russi zu seinen Bekannten, die Ex-Miss Schweiz Christa Rigozzi oder die Schlagersängerin Paola Felix, denen er an solchen Anlässen eine Bühne bietet. Der Dünkel ist ihm fremd: Er wäre gern Chefredaktor der «Glückspost» geworden, sagt er.

Man kann jetzt sagen: Natürlich fehlt so einem die kritische Distanz, ist er doch gefangen in dem sozialen Netz, auf das er so stolz ist. Die Härte als Chef fehle ihm, gibt Ackeret zu. Er möge es harmonisch. Ackeret treffe ungern unpopuläre Entscheidungen, sagt Christian Beck, Online-Redaktor bei «Persönlich»: «Konflikten weicht er aus.» Andererseits vertraue er einem und lasse der neunköpfigen Redaktion grosse Freiheiten.

Journalisten anderer Medien und Werbeleute wiederum wissen, dass sie vom Branchenportal fair behandelt werden, solange Ackeret dessen Chef ist. Hier gibt es keine reisserischen Schlagzeilen, wird niemand in die Pfanne gehauen.

Vielleicht weil er ein so unspektakuläres Leben hat, ersinnt sich Ackeret das Leben anderer, die Brüche erleben, sich Feinde machen, mit Frauen durchbrennen. Er ist Single, seine Beziehungen hielten meist nur drei Jahre. Für eine Familie hätte es keinen Platz gehabt, sagt er. «Ich führe mein eigenes Leben.» Ein Leben, das er wie ein Mann ohne Eigenschaften mit dem Leben anderer füllt, durch die er existiert.

Eine solche Aneignung macht er auch in seinem neuen Roman «Der Magier von Hiva Oa», der in diesen Tagen erscheint. Eine Geschichte voller Phantasie, Tempo und Witz: Ackeret setzt darin dem gescheiterten Immobilieninvestor René Benko ein Denkmal. Benko heisst bei ihm Remo Blanko. Blanko versteckt sich im Zürcher Luxushotel Dolder, setzt sich dann auf die Südseeinsel Hiva Oa ab, wo er seinen Widersacher Augusto Venzini sucht, den Starfotografen. Die Figur Venzini ist Ackerets Freund Alberto Venzago gewidmet.

Ackeret wird René Benko ein Buch schicken und hofft, dass er an die Vernissage kommt. Zuerst fliegt er aber nach Florida. Sollte Donald Trump die amerikanischen Wahlen gewinnen, schafft er es vielleicht wieder an eine Wahlparty wie 2016. Wenn es auch kein Selfie mit Trump geben wird, so war er doch dabei.

Matthias Ackeret: Der Magier von Hiva Oa. Münster-Verlag, Basel 2024. 150 S., Fr. 23.90. Die Buchpremiere findet am 26. November im Zürcher Kaufleuten statt.

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