Montag, November 25

Professionelle Auto-Abschleppdienste stehen im Ruf, willkürlich Gebühren zu erheben. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Kurz nach Mitternacht kommt ein Mann im August 2018 bei seinem Hotel am Stadtrand von Zürich an. An der Reception erkundigt er sich, wo er sein Fahrzeug parkieren könne. Er habe es auf die Schnelle in der Nähe stehen lassen.

Nur Minuten später hat er sein Auto auf einen regulären Parkplatz gestellt. Dort bleibt das Auto auch. Davon, dass ihn ein Abschleppdienst im Visier hatte, ahnt er nichts.

Und doch erhält er wenige Tage später unliebsame Post. «Obwohl der Autohilfe-24 AG niemand einen konkreten Auftrag zum Abschleppen des Fahrzeugs erteilt hatte, schickte sie dem Geschädigten eine Rechnung über 506.20 Franken.»

So steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat. Noch härter traf es einen Mann, der in der Stadt Zürich falsch parkierte: Ihm wurden 1427 Franken und 5 Rappen in Rechnung gestellt.

Am Mittwoch steht vor dem Bezirksgericht Bülach ein Vertreter einer Berufsgattung, die zu den unbeliebtesten überhaupt gehören dürfte: jene der Auto-Abschleppdienste. Wucher, lautet der Vorwurf. Dem Beschuldigten droht eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten, wenn auch bedingt.

Das 5,57-Fache der städtischen Gebühren

Der 48-jährige Schweizer war der einzige Verwaltungsrat der Autohilfe AG, einer Firma, die ihr Geld mit dem Abschleppen unrechtmässig parkierter Fahrzeuge auf Privatgrund verdiente. Solche Anbieter gibt es rund ein Dutzend im Raum Zürich. Ihre Kunden sind Liegenschaftenbesitzer, die nicht wollen, dass ihre Parkplätze von Fremden besetzt werden.

Sie treten an die Firmen oft auch das Recht ab, Gebühren zu erheben und einzutreiben. Viele Automobilisten haben den Eindruck, sie seien der Willkür der Abschleppfirmen ausgeliefert.

In der Anklageschrift gegen den Verwaltungsrat der Autohilfe-24 AG klingt es ähnlich. Die Gebühren hätten «in einem klaren Missverhältnis zur erbrachten Leistung» gestanden, heisst es da. Die Staatsanwaltschaft verglich die Beträge jeweils mit den Gebühren, die die Stadt Zürich vorsehe. In einem Fall wären dies 130 Franken gewesen, doch der fehlbare Automobilist wurde mit 723.60 zur Kasse gebeten. Dies entspricht dem 5,57-Fachen.

Der Beschuldigte, der sich durch überrissene Gebühren «einen namhaften Beitrag an die Kosten zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes» erwirtschaftet haben soll, ist leicht untersetzt, trägt Brille und spricht vor Gericht mit sanfter Stimme.

Als der Richter mit ihm die 27 Fälle in der Anklageschrift Punkt für Punkt durchgeht, erscheint ihm jeder einzelne Posten gerechtfertigt. «Ich war nicht dabei», sagt er immer wieder ruhig, «aber das scheint mir okay zu sein.»

Von Haus aus ist er Elektromonteur. Vom Abschleppen erhoffte er sich zunächst einen Zusatzverdienst, um die Alimente für seine beiden Kinder bezahlen zu können. Später stieg er als Verwaltungsrat in die Firma ein mit dem langfristigen Ziel, diese zu übernehmen. Sie gehörte einem Freund von ihm. «Ich hoffte, dass wir auf einen grünen Zweig kämen», sagt er, «aber das war schwierig.»

Die Firma warf nichts ab, sondern machte im Gegenteil jährlich Zehntausende Franken Verlust. Der Beschuldigte liess sich als Verwaltungsrat 200 Franken pro Monat auszahlen. Heute ist er wieder als Elektromonteur tätig.

Für den Anwalt des Beschuldigten ist offensichtlich, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht im Mindesten die Mühe gemacht hat, den wirtschaftlichen Hintergrund der Firma zu analysieren. «Ich beschäftige mich mit Kalkulationen in Betrieben. Die Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht.» Deren Preisvorstellungen würden nicht den realen Verhältnissen auf dem Markt entsprechen.

«Abschleppdienste dürfen etwas kosten», findet der Anwalt

Die Staatsanwaltschaft hatte die Gebühren in der Stadt Zürich als Vergleichswert genommen, aber diese stammen aus den 1990er Jahren. Sie seien nur schon aufgrund der Teuerung veraltet, so der Anwalt. Die Stadtpolizei schleppe zudem selbst so gut wie nie Fahrzeuge auf Privatgrund ab, sondern verweise stets an Abschleppdienste.

Für die Abschleppfirmen sei der Aufwand beträchtlich, so der Anwalt. Und handwerkliche Dienstleistungen seien teuer geworden. «Wenn Sie heute Ihr Auto in die Garage bringen, kostet nur schon das Grüezi sagen ein Vermögen», führt er aus. «Abschleppdienste sind Spezialisten, die etwas kosten dürfen.»

Der Beschuldigte selbst legt im Prozess dar, wie der Preis zustande komme. Es gebe einen Grundtarif, aber meistens kämen Zusatzkosten dazu. Handle es sich beispielsweise um ein Fahrzeug mit 4×4-Antrieb, müsse dieses auf Rollen transportiert werden. Bei tiefergelegten Fahrzeugen brauche es einen Wagenheber. Ab einem gewissen Gewicht müsse ein anderes Abschleppfahrzeug angefordert werden.

Und wenn das Abschleppfahrzeug schon unterwegs sei, sich der Automobilist aber in der Zwischenzeit entferne, fielen trotzdem Kosten an. Dies dürfte der Fall gewesen sein beim Mann, der sein Auto vor dem Hotel abgestellt hatte.

Vor Gericht sagt der Beschuldigte: «Wir probieren den Job so gut wie möglich zu machen, und es ist kein dankbarer Job. Man wird bedroht und beschimpft, besonders wenn die Leute angetrunken sind. Bei den Preisen sind wir fair, wir rechnen scharf nach Rapport ab.»

Ist ein Automobilist mit der Gebühr nicht einverstanden, ist es am Abschleppdienst, den Rechtsweg zu beschreiten – ein grosser Aufwand für diesen. Das Fahrzeug darf er nicht zurückbehalten, denn dies käme der Nötigung gleich.

Von Wucher könne man da nicht sprechen, sagt der Anwalt des Beschuldigten. Juristisch gesehen gehe dies nur schon deshalb nicht, weil Wucher ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien voraussetze. Das gebe es aber nicht zwischen einem Abschleppdienst und jemandem, dessen Auto abgeschleppt wurde.

Richter sieht keine Zwangslage

Den Anwalt stört, dass öffentlich stets die Abschleppfirmen am Pranger stünden. Dabei seien die Parksünder die wahren Gesetzesbrecher. Ihr Tun käme einer Nötigung der geprellten Parkplatzbesitzer gleich, ist er überzeugt – auch wenn ein entsprechender Fall bisher leider nicht bis vor Bundesgericht ausgefochten worden sei.

Der Richter folgt dem Verteidiger auf der ganzen Linie. Er spricht den Mann frei und entscheidet gegen die Staatsanwaltschaft sowie mehrere Privatkläger. Die Parksünder seien den Preisen nicht derart ausgesetzt, dass man strafrechtlich von einer Zwangslage sprechen müsse. Die Frage, ob die Höhe der Gebühren angemessen sei, sei eine fürs Zivilrecht. Somit müsste in erster Instanz ein Friedensrichter entscheiden, ob die Gebühren angemessen sind oder nicht.

Jene Parksünder, die sich geprellt fühlen, könnten also zivilrechtlich gegen den Beschuldigten vorgehen. Allerdings trifft dies längst nicht auf alle zu, die in der Anklageschrift aufgeführt werden: Viele von ihnen haben die Rechnung nämlich einfach nicht bezahlt. Das ist typisch für die Branche. So haben es jeweils rund zwei Drittel der Automobilisten gehalten, deren Autos von der Autohilfe-24 AG abgeschleppt wurden.

Was letztlich ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein dürfte, dass die Firma 2022 in Konkurs ging.

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