Dienstag, Oktober 22

Zwei in der Schweiz wohnhafte Türken waren in ein illegales Geschäft mit Haartransplantationen involviert. Vor Gericht keimen allerdings Zweifel auf, dass es sich bei ihnen wirklich um die Verantwortlichen handelt.

Am 25. November 2022, nachmittags gegen 15 Uhr, machte die Polizei an der Zürcher Bahnhofstrasse eine Razzia gegen eine Firma, die Haartransplantationen durchführte. Auf dem Behandlungsstuhl sass mit blutüberströmtem Kopf seit 9 Uhr morgens ein türkischer Flüchtling. Er hatte 2300 Franken für die Behandlung bezahlt, die nach der Stürmung der Praxis durch die Polizei abgebrochen wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hätten dem Patienten noch 1000 Haare eingesetzt werden sollen, die dann einfach in den Müll geworfen wurden.

Der Patient hatte geglaubt, die Behandlung werde durch Ärztinnen vorgenommen. Es stellte sich aber heraus, dass es sich bei den zwei behandelnden Personen um türkische Pflegefachfrauen handelte, die illegal in der Schweiz arbeiteten. Die beiden Frauen und weitere Beteiligte wurden verhaftet. Die Frauen wurden zuerst abgeurteilt: Im Juni 2023 kamen sie vor Gericht, bis dahin hatten sie je 207 Tage in Haft verbracht.

Das Bezirksgericht Zürich sprach die beiden Frauen, die damals 43 und 24 Jahre alt waren, vom Hauptvorwurf des Betrugs frei. Beide sind ausgebildete türkische Pflegefachfrauen, die jahrelange Erfahrung mit Haartransplantationen hatten. Sie waren extra für die Behandlungen aus der Türkei eingeflogen worden. Beide Frauen sprachen kein Deutsch und bestritten vor Gericht, sich als Ärztinnen ausgegeben zu haben.

Verurteilt wurden sie im Juni 2023 aber wegen einfacher Körperverletzung, Ausübung einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und Vergehen gegen das Heilmittelgesetz. Sie erhielten bedingte Freiheitsstrafen von 8 und 8,5 Monaten.

Haarklinik von der Türkei aus betrieben?

Nun, 17 Monate später, stehen wegen der gleichen Vorwürfe zwei in der Schweiz wohnhafte türkische Männer im Alter von 32 und 34 Jahren vor Bezirksgericht Zürich. Laut der Anklageschrift soll es sich bei ihnen um verantwortliche Organisatoren des Geschäfts handeln. Beide waren ebenfalls im November 2022 verhaftet worden und sassen je 77 Tage in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwältin hat wegen Betrugs, einfacher Körperverletzung, Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung, Vergehen gegen das Heilmittelgesetz und mehrfacher Übertretung des kantonalen Gesundheitsgesetzes bedingte Freiheitsstrafen von je 10 Monaten und Bussen von je 1000 Franken beantragt.

Der 34-jährige Beschuldigte stammt aus der Automobilbranche und war zu jener Zeit arbeitslos. Deshalb habe er den Job an der Bahnhofstrasse angenommen, erzählt er im Gerichtssaal. Er bekräftigt seine Unschuld. Er habe keinerlei Tätigkeiten mit Verantwortung ausgeübt. Er sei nur als Deutsch-Türkisch-Übersetzer angestellt worden, habe das Bargeld für die Eingriffe entgegengenommen, die Frauen vom Hotel zum Arbeitsort gefahren und ihnen zwischendurch Sandwiches gebracht.

Er habe nicht gewusst, dass es sich bloss um Pflegefachfrauen gehandelt habe, und sei immer davon überzeugt gewesen, dass es Ärztinnen seien. Laut seinem Verteidiger, der auf einen vollumfänglichen Freispruch plädiert, handelte es sich um einen «Gang-go»-Job. Wer in der Kantine des Universitätsspitals Sandwichs verkaufe, sei auch nicht verantwortlich dafür, dass die Ärzte dort die notwendigen Bewilligungen hätten.

Beim 32-jährigen Mitbeschuldigten sieht die Sachlage etwas anders aus: Er ist Inhaber einer Firma für Haartransplantationen in der Schweiz, die legal und mit den erforderlichen Bewilligungen operiert. Er erklärt aber, der Behandlungsraum an der Zürcher Bahnhofstrasse habe mit seiner Firma absolut nichts zu tun gehabt. Jene Haarklinik sei direkt von einer Firma aus der Türkei aus betrieben worden.

Er habe lediglich für einen Bekannten in der Türkei die Räumlichkeiten angemietet und ausgestattet. Operativ habe er aber nichts mit dieser Haarklinik in Zürich zu tun gehabt. Als Gegenleistung habe er von dem Firmeninhaber in der Türkei Medizinalmaterial günstiger erhalten. Er sei während der Behandlungen an der Bahnhofstrasse auch nie vor Ort gewesen und habe nicht gewusst, dass die zwei Frauen keine Ärztinnen gewesen seien. Diese seien direkt in der Türkei rekrutiert worden. Auch sein Verteidiger beantragt einen vollumfänglichen Freispruch.

Hintermann in der Türkei bleibt unbehelligt

Der Einzelrichter hält in seinem Urteilsspruch fest, dass der Hintermann in der Türkei, der namentlich bekannt ist, wohl tatsächlich eine wesentliche Rolle in diesem Fall gespielt habe. Er sei aber nicht in die Strafuntersuchung einbezogen worden. Deshalb kommt er ungeschoren davon.

Der 34-jährige Beschuldigte, der Übersetzungsdienste leistete und Sandwichs holte, wird von allen Vorwürfen freigesprochen. Er erhält 9980 Franken Schadenersatz für entgangene Arbeitslosengelder während der Haft und 15 400 Franken Genugtuung.

Der 32-jährige Firmeninhaber wird von den Vorwürfen des Betrugs, der einfachen Körperverletzung und der Beschäftigung von Ausländerinnen ebenfalls freigesprochen, aber wegen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz und Übertretung des kantonalen Gesundheitsgesetzes zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 90 Franken und 2000 Franken Busse verurteilt.

Die Geldstrafe ist vollumfänglich durch die Haft erstanden. Und von der Busse bleiben nur noch 300 Franken übrig, der Rest gilt als durch die Haft geleistet. Alle Zivilforderungen des Patienten, der nebst Schadenersatz mindestens 8000 Franken Genugtuung wollte, werden auf den Zivilweg verwiesen.

Das Gericht billigt beiden Beschuldigten «in dubio pro reo» zu, dass sie davon ausgegangen seien, es handle sich tatsächlich um Ärztinnen. Sie hätten beide keine Verantwortung für die Rekrutierung und Bewilligungen der Frauen getragen.

Der 32-Jährige habe aber einen zentralen Tatbeitrag geleistet, indem er Medikamente für die Haarklinik an der Bahnhofstrasse bestellt und entgegengenommen habe. Er habe als «massgebliche Schlüsselfigur» dafür gesorgt, dass Medikamente zur Verfügung gestanden seien. Zudem sei er für die Infrastruktur und damit auch für die Einholung einer Bewilligung für den Betrieb eines Ambulatoriums zuständig gewesen.

Urteile GG240037 und GG240038 vom 21. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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