Montag, September 30

Der Landwirt Reto Meier lässt am Wochenmarkt den Kunden entscheiden, wie viel er zahlen will. Dann greift die Verwaltungspolizei ein.

Am Winterthurer Wochenmarkt hat der Landwirt Reto Meier diesen Sommer ein soziales Experiment gestartet: Er liess die Preise an seinem Gemüsestand weg; auch eine Waage war nirgendwo zu finden. Die Kundinnen und Kunden bestimmten den Wert der Tomaten, Auberginen, Stangenselleries, Salate und Randen selbst.

Doch das Preiseraten dauerte nicht lange. Nach nur drei Wochen hat die Winterthurer Verwaltungspolizei eingegriffen, wie die Tamedia-Zeitungen berichten. Gemäss nationaler Preisbekanntgabeverordnung müssen Produkte in der Schweiz zwingend einen Preis tragen. So ist es auch im Winterthurer Marktreglement festgehalten.

Meiers Experiment fand dadurch ein jähes Ende. Doch was wollte er damit überhaupt bezwecken?

In den vergangenen Jahren hätten ihn Diskussionen mit Kunden über seine Preise «zu Änderungen motiviert», erzählt der Landwirt. Diese bewegten sich eher im oberen Preisniveau.

Reto Meier und seine Partnerin Eva Laportella betreiben einen Gemüsegarten in Wülflingen mit Demeterzertifizierung nach Permakulturprinzipien. Diese Art der Landwirtschaft setzt sich zum Ziel, dem Boden Sorge zu tragen, auf Monokulturen zu verzichten und einen natürlichen Lebensraum zu gestalten. Sie ist aufwendiger – und dadurch teurer – als die klassische Landwirtschaft, da auf Pestizide verzichtet wird.

Jeder soll Zugang zu Produkten haben

Auch wenn er am Existenzminimum lebe, habe er oft Bedenken, zu viel zu verlangen, sagt Meier. Mit dem Verzicht auf die Preise sollte jeder zu ihren Produkten Zugang haben. So könne jemand, der mehr habe, mehr geben. Damit jemand, der weniger habe, weniger geben könne. Davon sei dieses Geschäftsmodell abhängig, damit sie auch davon leben könnten.

Das Paar wollte seine Kunden auch «sensibilisieren». Sie sollten sich ihres Konsums bewusst werden und einschätzen lernen, wie viel sie wirklich selber brauchen.

«Der Konsument soll abschätzen, wie viel ihm bestimmte Produkte wert sind», sagt Eva Laportella. «Dieses Bewusstsein wollen wir fördern.» Sie findet, dass das Konsumverhalten generell «unnatürlich» geworden sei. «Die Leute haben oft kein Mass und keine Vorstellung, welche Arbeit hinter bestimmten Produkten steckt.»

Während des Experiments auf dem Markt hätten die Kunden eher zu viel gezahlt, sagt Meier. Doch ob er mehr Gewinn als sonst gemacht habe, wisse er nicht.

Die Tamedia-Zeitungen nannten Beispiele, wie die Kundschaft den Wert des Gemüses einschätzte. Für neun Tomaten zahlte einer beispielsweise zwölf Franken, mit der Anmerkung, dass eine Waage hilfreich wäre. Ein anderer zahlte die Hälfte davon für eine einzige Tomate. Er habe sich am Preis eines anderen Demeter-Standes orientiert.

Einige Kunden «überfordert»

Der Verzicht auf das Preisschild kam nicht bei allen Kunden gut an. Einige seien «überfordert» gewesen, stellte Meier fest. Sie wünschten sich zumindest Richtpreise. Dem ist Meier nun nach der Intervention der Verwaltungspolizei nachgekommen.

Dennoch zeigt sich Meier mit seinem Versuch zufrieden. Es habe viele Diskussionen gegeben, und er habe zum Nachdenken angeregt. Er habe viel positive Rückmeldung erhalten.

Seit Dienstag kann man sich bei seinem Gemüsestand wieder an Richtpreisen orientieren, die Preise sind aber immer noch verhandelbar, wie es auf einem Schild heisst. Reto Meier will sein soziales Experiment weiterführen. Wenn auch mit einer Light-Version.

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