Die Ermittler müssen nun klären, wie stark der Tatverdächtige aus dem Zürcher Oberland mit der Staatsverweigerer-Szene vernetzt war.
Kurz vor elf Uhr morgens am letzten Freitag hört der Inhaber eines Gewerbebetriebs in Hittnau einen Knall. Als er durchs Fenster seines Büros schaut, kann er kaum glauben, was sich abspielt: Schwerbewaffnete Polizisten stürmen das Wohnhaus direkt gegenüber auf der anderen Strassenseite.
Dann hört er Schreie. Von wem sie kommen, weiss er nicht.
Der Augenzeuge beobachtet, dass rund ein halbes Dutzend Polizeiwagen auf dem Grundstück stehen und Polizisten den Hauseingang bewachen. An der Strasse steht ein Mann in gelber Leuchtweste mit einem Funkgerät.
Die Aktion dauert Stunden, für Passanten wird die Strasse gesperrt. So schildert es der Augenzeuge gegenüber der NZZ. Die Ermittler führen einen Bewohner des Hauses ab, sie tragen mehrere Waffen und diverse Munition aus dem Haus. Gegen 15 Uhr sei es ruhiger geworden, und die Polizei sei abgezogen, sagt der Gewerbler.
Später wird er erfahren: Sein 64-jähriger Nachbar ist mutmasslich ein Entführer. Ein Entführer mit Verbindungen in das Milieu der Staatsverweigerer.
Zwei Wochen vor seiner Verhaftung soll Josef Hirz (Name geändert) am Abend des 13. Februars auf einem Parkplatz in das Auto eines 27-jährigen Mitarbeiters der Gemeinde Pfäffikon gestiegen sein und diesen mit Waffengewalt entführt haben. Doch der Plan des Entführers geht schief: Bereits nach kurzer Zeit gelingt dem jungen Mann die Flucht.
Der Mechaniker, der abdriftet
Die Liegenschaft, in der Hirz wohnte und arbeitete, gehört seiner Partnerin. Es handelt sich um ein historisches Fabrikgebäude, das zu Wohnungen umgenutzt wurde. Die Werkstatt des Mechanikers ist in einem Anbau untergebracht. Auch Hirz’ Partnerin arbeitete auf dem Areal.
Der Augenzeuge, der die Verhaftung beobachtet hat, kennt den Mann und dessen Partnerin. Die beiden seien kaum aufgefallen und hätten eher zurückgezogen gelebt, sagt der Gewerbler zur NZZ. Eine andere Nachbarin äussert sich ähnlich.
Hirz arbeitet seit über dreissig Jahren als selbständiger Mechaniker in der Region Zürich. Auf der seit Jahren nicht mehr überarbeiteten Website seines Betriebs finden sich neben Angaben zu Maschinenteilen auch Bauernsprüche.
Vor einigen Jahren eröffnet er seine Werkstatt in Hittnau. Als ihn einmal die lokale Wochenzeitung besucht, betont er, wie wichtig es ihm sei, Dinge zu reparieren, statt sie wegzuwerfen. Er wehre sich gegen die «Wegwerfgesellschaft».
Und er schwärmt von seinem Job: Die Arbeit in der Werkstatt sei kein Abrackern oder Stress, sondern Genuss und Freude. Dafür nehme er auch längere Arbeitstage in Kauf.
Doch dann verändert er sich. Er und seine Partnerin treten aus dem lokalen Gewerbeverein aus. In einem Protokoll im Herbst 2020 hält der Verein fest, trotz Nachfrage habe man keine Begründung für den Austritt erhalten. Möglicherweise ist Hirz da bereits abgedriftet. Anwohner schildern jedenfalls, er sei während der Corona-Pandemie schwierig geworden.
Gegenüber dem «Blick» sagt ein Nachbar, der 64-jährige Schweizer lehne den Staat und das Bezahlen von Steuern ab. Einer sagt: «Wenn man das Falsche sagte, sprach er eine halbe Stunde ohne Pause und verbreitete seine Verschwörungstheorien.»
Irgendwann gerät er offenbar auch mit den Gemeindebehörden in Konflikt.
Die Frage, welche die Ermittler nun zu klären haben, lautet: Wie stark war Josef Hirz innerhalb der Staatsverweigerer-Szene vernetzt? Sollten die Ermittlungen im Entführungsfall von Pfäffikon den Verdacht bestätigen, wäre es eine neue Eskalationsstufe – und der Beweis, dass sich ein Teil der Staatsverweigerer-Szene in der Schweiz radikalisiert und vor Gewalttaten nicht mehr zurückschreckt.
«Sie leben in einer anderen Welt»
In welchem Bereich der entführte Pfäffiker Gemeindemitarbeiter tätig war, haben die Behörden bisher nicht bekanntgegeben. Laut einem Bericht der Tamedia-Zeitungen handelt es sich beim 27-Jährigen um einen Pfändungsbeamten. Sie zählen zu den Angestellten, die im direkten Kontakt mit den Staatsverweigerern arbeiten müssen. Der betroffene Mitarbeiter soll bei der Pfändung von Josef Hirz beteiligt gewesen sein.
Weigert sich jemand, Steuern zu bezahlen, dann sind es Personen wie er, die am Ende Geld eintreiben müssen. Was das heisst, weiss Thomas Winkler. Er ist Präsident des Zürcher Verbands der Betreibungsbeamten und Leiter des Betreibungsamts in Dietikon.
Den Umgang mit den Staatsverweigerern bezeichnet Winkler als extrem schwierig. Würden sie aufs Amt bestellt, kämen sie selten alleine. «Meist gibt es dann ein riesiges Theater.» Es beginne damit, dass sie den Ausweis des Betreibungsbeamten sehen wollten.
Werde dieser gezeigt, behaupteten sie, er sei von einer privaten Firma ausgestellt worden. «Damit meinen sie die Schweiz. Sie sind überzeugt davon, dass der Staat aufgelöst wurde.» Entsprechend akzeptierten sie auch keine Weisungen, die vom Amt kommen. Ein geordneter Vollzug sei nicht möglich.
«Wir sind schwierige Kunden gewohnt», sagt Winkler. «Das Spezielle an den Staatsverweigerern ist, dass sie vernetzt sind und sich darüber austauschen, wie man sich möglichst renitent verhalten kann.» Es bringe nichts, mit ihnen zu diskutieren. Argumentativ dringe man schlicht nicht durch. «Sie leben in einer anderen Welt.»
In der Amtsstube sei man aber relativ gut geschützt, alle Gemeinden hätten Sicherheitskonzepte für heikle Situationen, die regelmässig überprüft würden. Schwieriger sei es bei Hausbesuchen.
Will ein Staatsverweigerer partout nicht im Amt vorbeikommen oder seine Vermögenswerte offenlegen, sind solche Besuche unumgänglich. «Wenn wir einen Pfändungsvollzug machen müssen, dann nehmen wir immer die Polizei mit.»
Gehe es nur darum, persönlich einen Zahlungsbefehl zuzustellen, sei das aber nicht immer möglich. Man versuche dann, vorher herauszufinden, ob es sich um eine radikalisierte Person handle.
Die Betreibungsbeamten stehen dazu im Austausch mit dem Bedrohungsmanagement der Kantonspolizei. Dieses wurde geschaffen, nachdem im Jahr 2011 ein Mann in Pfäffikon seine Ehefrau und die Leiterin des Sozialamts erschossen hatte.
Winkler sagt, er sei froh, dass es diese Fachgruppe bei der Polizei gebe. «Ein Teil der Staatsverweigerer radikalisiert sich. Dass es nun zu einer Entführung gekommen ist, ist eine beunruhigende Entwicklung.»
Tatverdächtiger sitzt in Untersuchungshaft
Im Fall von Josef Hirz bleiben noch viele Fragen ungeklärt. Die Ermittlungen müssen nun zeigen, weshalb der 64-jährige Mechaniker zum Kurzzeit-Entführer geworden ist.
Josef Hirz befindet sich inzwischen in Untersuchungshaft. Das Zwangsmassnahmengericht hat einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft gutgeheissen. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung bis zu einem rechtskräftigen Verfahrensabschluss.