Montag, September 16

Der deutsche Komponist war eine prägende Figur der zeitgenössischen Musik und seit 2015 künstlerischer Leiter der Lucerne Festival Academy. Jetzt ist Wolfgang Rihm im Alter von 72 Jahren gestorben.

Wolfgang Rihm, 1952 in Karlsruhe geboren, gehörte zu den produktivsten und einflussreichsten Komponisten des späten 20. Jahrhunderts und der zweiten Generation der sogenannten Nachkriegsavantgarde. Seine zahlreichen Werke drangen weit über die Fachzirkel der Neuen Musik hinaus und werden heute weltweit in Konzertsälen und auf führenden Opernbühnen rezipiert. Wie seine Familie bestätigte, ist Rihm in der Nacht auf den 27. Juli den Folgen einer langjährigen Erkrankung erlegen.

Rihm wurde durch die Aufführung seines Orchesterstücks «Morphonie – Sektor IV» bei den Donaueschinger Musiktagen 1974 schlagartig international bekannt. Denn mit diesem Werk durchbrach er das damals in der zeitgenössischen Musik herrschende Dogma des Serialismus, in dem alle Parameter der Musik durch vermeintlich objektive Reihentechniken bestimmt werden. Rihm pochte stattdessen auf den genuin subjektiven Ausdruckscharakter der Musik. Von der damals auch in der zeitgenössischen Musik diskutierten Auflösung des klassischen Werkbegriffs und der Rolle des Autors hielt er wenig. Er wollte sein Schaffen ganz unumwunden zum Ausdruck persönlichen Erlebens und individueller Themen machen.

Befreiungsschlag

Was ihm die zunächst abschätzig gemeinte Etikettierung als Neo-Romantiker und Vertreter einer «Neuen Einfachheit» eintrug, erwies sich alsbald als entscheidender Befreiungsschlag für die in ideologische Grabenkämpfe verstrickte Nachkriegsmusik. Denn Rihm sorgte auch für einen entspannteren Umgang mit der bis dahin verpönten Tradition, die er eben nicht verdammte oder beargwöhnte, sondern auf vielfältige Weise in seinem Schaffen reflektierte. Er ist damit diesem flexibleren Rückbezug auf die ältere Musikgeschichte zum Vorbild für viele heutige Komponisten und Komponistinnen geworden.

Umso mehr, als er jede Dogmatik und damit auch jede Bildung einer «Rihm-Schule» im engeren Sinne stets abgelehnt hat. Das zeigte sich exemplarisch bei seiner Arbeit als Lehrer, unter anderem in Karlsruhe, und dann seit 2015 als künstlerischer Leiter der Lucerne Festival Academy, deren Komponistenseminar er gerade durch seine Offenheit gegenüber verschiedenartigen künstlerischen Ansätzen prägte.

Rihms eigenes künstlerisches Denken kreiste oft um Metaphern eines organischen Wachstums seiner Werke, das Wuchernde, nur scheinbar ziellos Mäandernde der Natur faszinierte ihn. «Das Werk als Organismus, als labyrinthische Anlage, die entsteht, während sie geschaffen wird, das sind Vorstellungen, die mich seit langem produktiv leiten», so erklärte Rihm einmal – ganz ohne die bei vielen Künstlern verbreitete Scheu, sich in die Karten oder in die kompositorische Werkstatt blicken zu lassen. Auch diese Form der Offenheit war charakteristisch für ihn: Er hat das ebenso geistreiche wie anschaulich-präzise Sprechen (und Schreiben) über die eigenen wie auch über fremde Werke zu einer Kunstform erhoben.

Enge Bindung ans Lucerne Festival

Dem Lucerne Festival war Rihm schon vor 2015 eng verbunden, als er die Nachfolge von Pierre Boulez als Academy-Leiter und vor allem hinter den Kulissen ungemein anregender Spiritus Rector des Festivals übernahm. Die Verbindung mit Luzern begann schon 1992 mit der Aufführung seines für Anne-Sophie Mutter geschriebenen Violinkonzerts «Gesungene Zeit» mit Mutter als Solistin und dem Collegium Novum Zürich unter der Leitung von Paul Sacher. Im Sommer 1997 wurde Rihm dann erstmals mit einer Werkretrospektive als Composer-in-Residence geehrt. Zur Eröffnung des KKL Luzern spielten die Berliner Philharmoniker 1998 sein Werk «IN-SCHRIFT» unter der Leitung von Claudio Abbado.

Gemeinsam mit Boulez und mit Heinz Holliger gehörte Rihm seither zu den wichtigsten Protagonisten der Gegenwartsmusik am Lucerne Festival. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte sind mehr als fünfzig Werke Rihms dort zur Aufführung gelangt, darunter zahlreiche Auftragswerke und Uraufführungen.

Rihms Präsenz in Luzern als Komponist und der intensive Austausch mit ihm als Musikdenker und Musikvermittler seien für alle Beteiligten von unschätzbarem Wert gewesen, sagte der Intendant Michael Haefliger in einer vom Festival verbreiteten persönlichen Stellungnahme zum Tode Rihms. «Neben seinem enzyklopädischen Wissen war er ein Mensch von grosser Herzensgüte und viel Humor, immer neugierig und offen.»

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