Julian Nagelsmann kritisiert den öffentlichrechtlichen Rundfunk scharf. Das ist ungeschickt, doch der Ärger des deutschen Nationaltrainers ist verständlich.
Fussball, das wird kaum jemand bestreiten wollen, ist ein Sport, der im Modejargon als «inklusiv» bezeichnet werden kann. In keiner anderen Sportart sind die Eintrittsbarrieren niedriger, wenn es um Status und Herkunft der Aktiven geht.
Insofern kann auf den ersten Blick kaum überraschen, dass die Bestürzung über eine von der WDR-Redaktion «Sport Inside» in Auftrag gegebene Umfrage gross ist, die eine sehenswerte Dokumentation über die Erfahrungen von Nationalspielern nichtdeutscher Herkunft flankiert. Laut dieser wünschen sich 21 Prozent der Deutschen, die befragt wurden, mehr weisse Nationalspieler, 17 Prozent hätten anstelle von Ilkay Gündogan gerne einen Captain deutscher Herkunft.
Die Ergebnisse sind schmerzlich für Spieler wie Tah und Gündogan
Das sind zweifellos unsympathische Resultate, und sie sind schmerzlich für Spieler wie Ilkay Gündogan und Jonathan Tah, für Leroy Sané, Jamal Musiala und Deniz Undav. Nur: Können sie wirklich verwundern?
Es ist nicht neu, dass etwa ein Fünftel der Bevölkerung ein reaktionäres und zum Teil rassistisches Weltbild pflegt. Anders wären die immer noch stattlichen Umfragewerte der in Teilen rechtsextremen AfD gar nicht zu erklären. Insofern dokumentiert die Umfrage lediglich Offensichtliches. Und genau an diesem Punkt wird es interessant. Denn daran schliesst die Frage an, welches Erkenntnisinteresse zugrunde lag – oder ob es lediglich darum ging, ein Thema, das für Aufregung sorgen könnte, zu bewirtschaften und auf diese fragwürdige Weise Werbung für die TV-Dokumentation zu machen.
„Wir spielen eine EM für jeden im Land. Ich hoffe nie wieder etwas von so einer Scheiß-Umfrage zu lesen.“@J__Nagelsmann (@DFB_Team) pic.twitter.com/MRxXykBQ6a
— Nurder Koch (@NurderK) June 2, 2024
Die Umfrage hat jedenfalls krawallstiftend gewirkt. Und die Reaktion des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) fiel genau so aus, dass sie zum Skandalisieren taugt: Der Trainer Julian Nagelsmann kritisierte zwar auch die ausgrenzende Haltung der Befragten, doch er nahm das Anliegen als solches aufs Korn. Er fände es «einen Wahnsinn, dass wir im Öffentlichrechtlichen so eine Frage stellen ( . . . ) Ich war schon schockiert, dass solche Fragen gestellt werden, dass manche so antworten auch. ( . . . ) Ich hoffe, nie wieder irgendwas von so einer Scheiss-Umfrage zu lesen.»
Die Reaktionen darauf waren barsch. Ein deutscher Wirtschaftsprofessor, der an einer renommierten amerikanischen Universität lehrt, attestierte Deutschland auf X nicht nur ein hohes Mass an Rassismus. Er beklagte auch, dass «die geistig Minderbemittelten» nun den Überbringer der schlechten Nachricht steinigen würden. Dies war klar auf Julian Nagelsmann gemünzt und womöglich auch auf den Nationalspieler Joshua Kimmich, der schon vor seinem Coach Kritik an der Umfrage geübt hatte.
Typisch deutscher Umgang mit Rassismus.
Es wird natürlich derjenige angefeindet der ihn anspricht- und nicht derjenige welcher ihn ausübt#Umfrage #nagelsmann #Nationalmannschaft #dfb #ard pic.twitter.com/5WyTVt6uWS— Jaman Oh (@JamanOh) June 2, 2024
Trainer Nagelsmann war schlecht beraten
Der pöbelnde Ökonom vertritt indes keine Minderheitenmeinung. Allerdings ist Nagelsmanns Ärger aus eigensinnigen Motiven durchaus verständlich: Eine solche Diskussion stört ihn in der Vorbereitung auf die anstehende EM. Nur war die Art und Weise, in der sich der Trainer äusserte, reichlich ungelenk, so dass man sich fragt, von wem er medial eigentlich beraten wird. Falls Nagelsmann wissen will, wie es zu solchen Umfragen kommt, hat er einen kompetenten Ansprechpartner im eigenen Haus: Der DFB-Mediendirektor Steffen Simon war bis vor gar nicht langer Zeit WDR-Sportchef und hat einst die Einführung der Sendung «Sport Inside» verantwortet.
Nur stellt sich ausserdem die Frage, wem die Kritik überhaupt gilt. Der DFB reisst sich mehr als nur ein Bein aus, um seine Kritiker zur Linken zu besänftigen. Dieser Verband tut wirklich alles, um als moderne, progressive, inklusive Organisation dazustehen. Zur Vorbereitung auf die Europameisterschaft ist die Mannschaft nach Thüringen gereist, um dort einmal nach dem Rechten zu sehen. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass Nagelsmann und Co. die Reaktionen auf diese obskure Umfrage erschüttern. Sie erleben gerade, wie es ist, wenn eine per se gute Sache ins Gegenteil verkehrt und zum Zwecke des Radaus gebraucht wird.