Mittwoch, April 2

Der erfolgreichste deutsche Filmproduzent stösst sich auch an Tilda Swinton, die an der Berlinale Werbung für BDS machen durfte. Als Sohn eines Auschwitz-Überlebenden äussert sich Moszkowicz deutlich über die Israel-Verachtung in der Branche.

Zwei Gesprächsthemen drängen sich auf: Kino und Israel. Martin Moszkowicz, den international erfolgreichsten deutschen Filmproduzenten, treibt das Schicksal des jüdischen Staats um. Als Sohn eines Holocaust-Überlebenden wuchs Moszkowicz in München auf, wo er als Teenager das palästinensische Terrorattentat auf die israelische Olympiadelegation aus nächster Nähe miterlebt hat. In Tim Fehlbaums fulminantem, von Moszkowicz produziertem Film «September 5» wird der Anschlag aus der Sicht von amerikanischen Sportjournalisten nacherzählt.

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Zusammen mit seiner Frau, der Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie, lebt der Produzent auch heute noch in München. Moszkowicz’ Zweitwohnsitz in Los Angeles ist dem Feuer zum Opfer gefallen. Er habe etwas Neues gefunden und sich «übergangsweise etabliert», sagt er bei einem Besuch in Zürich. «Da muss man mal sehen, wie das jetzt weitergeht.»

Herr Moszkowicz, wollen wir über Filme reden oder über Israel?

Ich bin ja ein grosser Freund davon, dass man überhaupt redet. Aber es ist schwer geworden, über Israel ein vernünftiges Gespräch zu führen. Ich bekomme immer wieder ekelhafte Schreiben. Auch nach unserem Interview wird das so sein. Leute fühlen sich bemüssigt, mich zu beleidigen oder zu bedrohen. Der Unterschied zu früher ist, dass die Leute heute dazu stehen, mit ihrem richtigen Namen.

Was es nicht besser macht.

Im Gegenteil, das ist sehr besorgniserregend. Die Leute haben keine Hemmungen mehr, ihren Hass öffentlich und direkt zu äussern ohne Angst vor Strafverfolgung. In den Diskussionen hört man immer wieder: Man dürfte dies nicht mehr sagen, jenes nicht mehr sagen. Dabei wird alles gesagt. Israel wird ununterbrochen kritisiert. Und es gibt natürlich auch unter Juden eine Bandbreite von Meinungen. Warum sollte es die auch nicht geben? Unverhandelbar ist für mich einzig, dass es einen israelischen Staat gibt.

Was bedeutet Ihnen Israel?

Das Thema Israel treibt mich schon mein Leben lang um. Mein Vater hat Auschwitz überlebt. Er war ein grosser Versöhner und hat immer versucht, die Menschen zusammenzubringen. In Buenos Aires, wo er meine Mutter kennengelernt hat, lebten auf der einen Seite viele jüdische Migranten und auf der anderen Seite auch geflüchtete Nazi-Grössen.

Ihre Mutter war die Tochter eines SS-Offiziers.

Ja, wobei sie sich früh von den politischen Ansichten ihres Vaters gelöst hatte. In der deutschen Community von Buenos Aires haben sich meine Eltern kennengelernt. Die Fügung ist kaum zu glauben.

Wer war Ihr Vater, der Regisseur Imo Moszkowicz?

Imo war ein deutscher Jude, der eigentlich Rabbiner hätte werden sollen. Dann kamen die Verfolgung und der Krieg. Mein Grossvater konnte nach Argentinien auswandern und wollte die Familie nachholen, was durch die «Reichskristallnacht» unmöglich wurde. Die Familie ist zunächst in Essen in ein Arbeitslager gesteckt worden. Dort ging ein Bruder von Imo trotz Judenstern ins Kino. Er wurde verhaftet und nach Auschwitz deportiert.

Wurde er umgebracht?

Direkt an der Rampe erschossen. Ein SS-Mann hatte ihn geschlagen, er schlug zurück, worauf er auf der Stelle getötet wurde. Bis auf Imo und seinen Vater wurde die gesamte Familie ermordet. Imo hat vielleicht auch deshalb überlebt, weil er in Auschwitz angefangen hat zu schauspielern.

Wie meinen Sie das, in Auschwitz mit der Schauspielerei begonnen?

In einer Theatergruppe, die den anderen Häftlingen etwas Unterhaltung bot.

Als Überlebensstrategie?

Ja, es war ein Weg, gedanklich aus der Situation rauszukommen. Der andere Weg wäre gewesen, sich auf den Rücken zu legen und nach oben zu schauen. Dann sah man auch keine Baracken und keinen Stacheldraht mehr. Imo war gerade achtzehn Jahre alt, als er befreit wurde. Beim Todesmarsch, wo die SS die überlebenden Häftlinge nach Deutschland zurückgeführt hat, ist er an der heutigen tschechischen Grenze befreit worden. Die Amerikaner, die ihn retteten – zwei GI, die ich Jahrzehnte später sogar noch ausfindig machen konnte –, haben zu Imo gesagt: Wir nehmen dich mit nach Amerika. Er müsse nur zu einem bestimmten Zeitpunkt in Paris sein, da gehe der Flieger. Imo wollte mit dem Zug nach Paris fahren, aber die Strecken waren zerbombt, der Zug wurde umgeleitet. Und er fand sich in Ahlen wieder, in Westfalen. Er sagte: «Da komme ich ja her!», und ist ausgestiegen.

Er blieb in Deutschland?

Später ist er nach Südamerika gegangen, auf der Suche nach seinem Vater. Aber er liebte die deutsche Sprache und die deutschen Dichter. Zwar sprach er auch Hebräisch und Jiddisch, aber ganz nach Israel zu ziehen, wäre nichts für ihn gewesen. Wie Friedrich Torberg gesagt hat: «Das sind Bodybuilder, die da leben.» Die brauchten Pflugscharen und Traktoren, um das Land aufzubauen, und nicht Theater. Er kam zurück nach Deutschland, war dann Regieassistent bei Gründgens in Düsseldorf.

Ausgerechnet bei dem früheren Nazi?

Darüber kann man sicher diskutieren, aber das ist letztlich auch ein Beispiel dafür, wie mein Vater versucht hat, in Deutschland die Menschen wieder zusammenzubringen. In der deutschen Theaterlandschaft war Gründgens – auch nach dem Krieg – eine der wichtigsten Persönlichkeiten. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater schlecht über ihn gesprochen hat.

Sagen Sie, wie alt waren Sie 1972?

Ich war vierzehn Jahre alt.

Wie erinnern Sie sich an das Attentat von palästinensischen Terroristen auf die israelische Olympiadelegation in München?

Wir waren sehr nahe an den Geschehnissen dran. Am Gärtnerplatz gab es zunächst eine grosse Veranstaltung, wo meine Mutter die Sportler kennengelernt hat. Vor Beginn der Spiele waren auch Israeli aus dem Umfeld der Delegation bei uns zu Hause. Wir hatten häufig Besuch aus Israel. Es war ein offenes Haus, fast ein Hippie-Haus. Viele Jahre lang hat da etwa Esther Ofarim gewohnt, die israelische Sängerin.

Als der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum mit der Idee zum Spielfilm «September 5» an Sie herangetreten ist . . .

. . . da fand ich die Geschichte natürlich gleich sehr interessant. Und als ich den fertigen Film dann gesehen habe, hat es mich erwischt wie noch nie. Ich mache den Job ja doch schon ein paar Jahre, da ist man eigentlich abgebrüht. Aber nach dieser Vorführung musste ich erst einmal raus aus dem Saal. Zehn Minuten tief Luft holen.

Weil es Erinnerungen geweckt hat?

Es war wie ein Hieb in die Magengrube. Normalerweise gibt man als Produzent nach der ersten Vorführung Anmerkungen, man sagt: Dies oder jenes geht nicht, das müsst ihr ändern, dann gibt es eine Testvorführung mit Publikum. Ich habe nur gesagt: Wir bringen den Film so raus.

Hatten Sie keine Bedenken wegen der antiisraelischen Stimmung nach dem 7. Oktober?

Nein.

Stimmt es, dass der Film bei der Berlinale 2024 abgelehnt wurde?

Ich weiss es nicht und kann deshalb dazu nichts sagen.

Bei dem Israel-Hass im vergangenen Jahr auf der Berlinale kann man es sich allerdings vorstellen.

Darum bin ich dieses Jahr auch nicht zur Eröffnung gegangen. Ich halte die Auszeichnung von Tilda Swinton für extrem ungeschickt. Die Kunst ist frei, und Künstler sollen auch seltsame Positionen haben dürfen. Warum man aber jemanden, der bekanntermassen erklärte BDS-Unterstützerin ist, in der momentanen Weltlage in den Vordergrund stellen muss, hat sich mir nicht erschlossen.

Ein Film über israelische Opfer passt nicht in den propalästinensischen Zeitgeist. Denken Sie, dass «September 5» deswegen keine Oscars bekommen hat?

Nein. Ich weiss, wie schwer man es bei den Oscars mit Nicht-Hollywood-Filmen hat. Ich glaube nicht, dass es da eine politische Komponente gab.

Allerdings werden die Oscars nicht verschont von antiisraelischen Tendenzen. Dieses Jahr «No Other Land», letztes Jahr sorgte Jonathan Glazers israelkritische Dankesrede anlässlich von «The Zone of Interest» für Irritation.

Glazers Film finde ich, von seinen formalen Gekonntheiten abgesehen, fragwürdig: wie er mit dem Holocaust umgeht und die Juden nur auf der Tonspur vorkommen . . . Aber ich habe dieses Thema damals auch bei unserem Constantin-Film «Der Untergang» mit dem Produzenten Bernd Eichinger lange diskutiert. Ein Film über das Ende des «Dritten Reiches», in dem das Thema Holocaust und Judenvernichtung nicht vorkommt? Ich fand das falsch. Aber wahrscheinlich hatte Bernd recht, der Film war ein riesiger Erfolg in der ganzen Welt.

Womit hatte er recht?

Seine Position war: «Nein, das muss so sein, weil das ein Film über die Täter ist.» Und auch wenn es schmerzhaft ist: Täterfilme sind immer erfolgreicher als Opferfilme. Wenn man von Ausnahmen wie «Schindler’s List» absieht, sind die meisten Filme, die sich mit den Opfern beschäftigen, kommerziell irrelevant.

Die Constantin Film hat sich oft für den kommerziellen Zugang zu einem Thema entschieden. Zu oft?

Ich kann nicht für die Constantin sprechen, weil ich seit letztem Jahr nicht mehr Vorstandsvorsitzender bin und jetzt als Produzent für die Firma arbeite. Aber klar ist: Damit man Filme wie «September 5» machen kann, braucht es auch die grossen kommerziellen Erfolge wie «Fack ju Göhte» und «Resident Evil» . . .

. . . die aber immer seltener werden. Hat das Kino noch Zukunft?

Wir müssen uns am Schlafittchen nehmen und uns fragen, warum es in Deutschland so selten gelingt, kommerziell erfolgreiche Filme zu machen, die weltweit eine Relevanz haben.

Liegt es an der Förderung?

Grundsätzlich ist in der deutschen Infrastruktur vieles im Argen, und dazu gehört auch die kreative Infrastruktur. Aber insgesamt ist die Kreativbranche in Deutschland sehr stark, mit einem Volumen von über 200 Milliarden Euro. Und wir haben mit 123 Milliarden Euro einen grossen Wertschöpfungsanteil, höher als der Maschinenbau oder die chemische Industrie.

Verdient die Branche also mehr Geld?

Wir brauchen Produktionsunterstützungen wie steuerliche Anreize und Investitionsverpflichtungen für die Streamer. Auf der anderen Seite sehe ich die Situation für das Kino gar nicht so negativ. Global haben wir einen Rückgang von 35 Prozent bis 40 Prozent in den Produktionsvolumina für Fernsehen und Streaming, aber nur etwa 5 bis 10 Prozent im Kinobereich. Ich kann allen Marktteilnehmern nur raten, sich nicht nur auf die Forderung nach mehr Unterstützung zu konzentrieren, sondern auch selbst entsprechend zu investieren. Die Märkte der Zukunft werden heute – in der Krise – verteilt.

Aber mit Kino lässt sich doch kein Geld mehr verdienen.

Doch, gerade mit Kino und weil man dort eine entsprechende «Upside» hat. Das grosse Problem bei den Streamern, aber auch beim klassischen Fernsehen und Pay-TV ist, dass man die erfolgreichste Produktion der Welt realisieren kann, aber als Hersteller verdient man deswegen kaum mehr daran. Ich erkenne eine Hinwendung wieder zum Kino. Kurz vor den PGA Awards, dem amerikanischen Filmpreis der Produzenten, sass Tim Fehlbaum gerade im Uber auf dem Weg zur Preisverleihung, als er eine SMS bekam: «Steven Spielberg will call you in five minutes.» Spielberg hat ihn dann angerufen und ihm zwanzig Minuten lang erzählt, wie toll es sei, dass es heute noch solche Kinofilme gebe.

Ein Ritterschlag.

Das ist, wie wenn Gott auf die Erde kommt und das Telefon in die Hand nimmt. Da weiss man, dass man das Richtige macht. Ich verrate Ihnen jetzt etwas: In den achtziger Jahren habe ich einen meiner allerersten Filme koproduziert – einen deutsch-ungarischen Spielfilm namens «Hiobs Revolte», der nominiert war als bester ausländischer Film –, und wissen Sie, wer mich damals angerufen hat . . . Steven Spielberg.

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