Der Austausch des Regierungschefs wirft ein Schlaglicht auf die Rolle des Milliardärs Bidsina Iwanischwili in der Südkaukasus-Republik. Die Gräben im Land könnten sich noch vertiefen.
Bidsina Iwanischwili kann es nicht lassen. Der georgische Milliardär hat erneut das Versprechen gebrochen, der Politik den Rücken zu kehren und nicht wiederzukommen. Ende vergangenen Jahres liess er sich überraschend von der Partei Georgischer Traum, mit der er 2012 den damaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili von der Macht verdrängt hatte, zum Ehrenvorsitzenden küren. Seine Rückkehr begründete er damit, dass die Partei dank ihrer unangefochtenen Stellung im Innern morsch und anfällig für Korruption geworden sei.
Im Hinblick auf die Parlamentswahlen vom Herbst will er offenbar wieder selbst vermehrt zum Rechten sehen, um der Partei die Macht zu sichern. Iwanischwili erinnert an einen Familienpatriarchen, der es doch immer besser weiss als die junge Generation und ständig in deren Arbeit eingreift. Wirklich weg war er ohnehin nie gewesen. Sein Schatten schwebt über der georgischen Politik genauso wie derjenige Saakaschwilis. Mit dem Parteiamt zeigt er aber an, dass er es offenbar für zu riskant hält, seine Funktionäre nur von hinter den Kulissen aus zu steuern.
Unerwartete Rochade an der Regierungsspitze
Iwanischwilis Rückkehr löste in Georgien gemischte Gefühle aus. Manche frohlockten, weil sie in dem 67-jährigen Geschäftsmann, der sein Vermögen in Russland gemacht hatte, einen Heilsbringer sehen. Andere werteten die Entscheidung als Zeichen der Schwäche des politischen Systems, wenn angeblich nur auf den «Übervater» Verlass ist. Auch Ratlosigkeit über die wahren Gründe für die Kehrtwende ist verbreitet.
Die erste Auswirkung ist denn auch ein Wechsel an der Spitze der Regierung, die vom Georgischen Traum beherrscht wird. Irakli Garibaschwili, seit März 2021 zum zweiten Mal im Amt des Ministerpräsidenten, verkündete zu Wochenbeginn seinen Rücktritt. Kurz danach wurde bekannt, dass er den Parteivorsitz übernimmt, während der bisherige erste Mann des Georgischen Traums, Irakli Kobachidse, Regierungschef werden soll. Das Parlament muss kommende Woche noch zustimmen, aber das ist eine Formsache.
Die Rochade ist ganz im Stil Iwanischwilis, auch wenn dieser behauptet, nicht er, sondern Garibaschwili sei der Auslöser des Revirements. Die Art und Weise, wie Spitzenpolitiker nicht zum ersten Mal ohne für die Öffentlichkeit überzeugende Begründung ausgetauscht würden, zeuge von schlechter politischer Kultur, schrieb ein georgischer Kommentator. Es gehe immerhin um höchste Staatsämter, aber es werde so getan, als seien unwichtige Beamte betroffen.
Saakaschwilis Schatten
Garibaschwilis Wechsel an die Parteispitze erhärtet die Vermutung, es gehe Iwanischwili und dem Georgischen Traum vor allem darum, besser für die Parlamentswahlen vom Herbst gewappnet zu sein. Derzeit sieht zwar mangels überzeugender Alternative nichts nach einem Machtverlust aus. Aber Garibaschwili hielt an einem nur zwanzig Minuten dauernden Sonderparteitag eine kämpferische Rede. Diese deutet an, dass die seit Jahren anhaltende Spaltung der Politik in zwei Lager, dasjenige des Georgischen Traums und dasjenige der Saakaschwili-Anhänger, in aller Härte fortgesetzt wird.
Garibaschwili arbeitete sich am Parteitag einmal mehr an Saakaschwili und dessen Regierungszeit ab. Das Feindbild des Georgischen Traums befindet sich in Haft, wird aber stationär im Spital behandelt wegen einer schwerwiegenden, nicht geklärten steten Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Der hitzige einstige Vorzeige-Reformer macht seine Gegner dafür verantwortlich und vermutet, dass er vergiftet wurde und zum langsamen Dahinsiechen verurteilt ist. Er nimmt aber auch vom Krankenlager aus Einfluss auf seine Partei, die Vereinigte Nationalbewegung. Diese kommt ebenso wenig von ihrem Gründer-Helden weg wie der Georgische Traum von Iwanischwili.
Gemischtes Signal an die EU
Die Partei wie auch manche Beobachter beteuern, mit dem Wechsel von Garibaschwili zu Kobachidse ändere sich an der Politik der Regierung nichts. Auf den ersten Blick leuchtet das ein: Der 45-jährige, in Düsseldorf zum Juristen promovierte Rechtsprofessor Kobachidse ist ein loyaler Funktionär wie sein Vorgänger. Zeitweise war er Parlamentsvorsitzender gewesen, musste aber nach dem Skandal um den Auftritt eines russischen Abgeordneten im georgischen Parlament im Sommer 2019 zurücktreten.
Trotzdem wirkt seine Ernennung nicht ganz widerspruchsfrei. Kobachidse ist hitzköpfiger als der in der Bevölkerung beliebtere Garibaschwili. Er wetterte gegen den Westen, dem er vorwarf, Georgien als zweiten Frontstaat gegen Russland aufbauen zu wollen. Auch wehrte er sich gegen westliche Nichtregierungsorganisationen, obwohl er selbst früher für solche gearbeitet hatte. Er war einer der lautesten Verfechter des Gesetzes über ausländischen Einfluss, das im vergangenen März zu heftigen Strassenprotesten in Tbilissi geführt hatte. Und er steht für kontroverse konservative Positionen in Anlehnung an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Diese ideologische Linie wird von vielen Georgiern nicht gutgeheissen. Sie befürchten, die angestrebte Integration in die Europäische Union werde damit torpediert. Nach der Gewährung des Kandidatenstatus im Dezember verlangt die EU das gelebte Bekenntnis zu liberalen, pluralistischen Werten. Hinter einem EU-Beitritt steht eine grosse Mehrheit der Bevölkerung.
Iwanischwili nannte die Ausrichtung auf die EU-Mitgliedschaft eine politische Priorität. Auch die von ihm verlangte Korruptionsbekämpfung passt zu den Forderungen der EU. Aber Kobachidses Ernennung könnte den Gegensatz zwischen den europafreundlichen Beteuerungen und der tatsächlichen Regierungspolitik, die in den vergangenen Jahren russlandfreundlicher und gegenüber dem Westen zurückhaltender wurde, vertiefen.