Donnerstag, Juni 26

Zwei Westschweizer Hochschulen wollen nicht mehr mit israelischen Institutionen zusammenarbeiten. Es ist das Resultat einer orchestrierten Machtausübung.

Die Universitäten Genf und Lausanne haben in den vergangenen Wochen Partnerschaftsprogramme mit der Hebräischen Universität Jerusalem aufgekündigt. An beiden Universitäten waren nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und dem Start des Gaza-Krieges antiisraelische Proteste ausgebrochen, denen von den Leitungsgremien weit mehr Raum zugestanden wurde als an den Universitäten der deutschen Schweiz.

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Die Proteste hatten nur wenige, aber sehr entschiedene Befürworter und zum Teil sogar aktive Treiber unter den Dozierenden und Mitarbeitern. Die in dieser Hinsicht erstaunlich monotone Medienlandschaft der Romandie leistete ihnen einen nicht zu unterschätzenden Support. Hinzu kam Zuspruch von prominenter politischer Seite wie etwa dem Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga, der den Studierenden, die im Mai 2024 Räume der Universität Lausanne besetzten, einen Solidaritätsbesuch abstattete. «Zu behaupten, dass Universitäten neutral bleiben müssten, bedeutet, Partei zu ergreifen», erklärte er damals.

Die jüngsten Massnahmen der beiden Hochschulen stellen jedenfalls nicht weniger dar als einen vorläufigen Tiefpunkt im Niedergang schweizerischer Universitätskultur. Die nun offiziell verkündete Beendigung der Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität, die von den Rektoraten mit einer ethischen und wertebasierten Haltung begründet wird, ist das Resultat einer orchestrierten aktivistischen Machtausübung, gepaart mit einer maximalen Intransparenz bei der Entscheidungsfindung. Die betroffene israelische Institution selbst konnte bei diesem Spiel am wenigsten Einfluss nehmen, denn es schien nie im Vordergrund zu stehen, bestimmte Fragen mit ihr zu besprechen, sondern Tatsachen zu schaffen.

Es geht nicht primär um notleidende Menschen

Dass vor einem Jahr der Verein zur Unterstützung und Förderung jüdischer Hochschulangehöriger in der Schweiz (JUMS) gegründet wurde, hing mit der Erfahrung einer wachsenden Zahl von Studierenden wie Dozierenden zusammen, sich exponiert und ausgegrenzt zu fühlen. Denn was ihnen widerfuhr, hatte nichts mit der herkömmlichen lebendigen Diskussions- und Protestkultur zu tun, wie sie Universitäten in der westlichen Welt seit der Nachkriegszeit charakterisiert hat.

In der als Form einer Machtausübung vollzogenen Besetzung universitärer Gebäude, im kompromisslosen Diskurs und im radikalen Verdammungsvokabular erkannten viele jüdische Hochschulangehörige nicht primär Solidarität mit den notleidenden Menschen in Gaza, sondern etwas ganz anderes. Etwas, das der britische Publizist Jake Wallis Simons in einem 2023 (kurz vor dem 7. Oktober) erschienenen Buch als «Israelophobia» bezeichnet hat. Es ist ein Hass, der, jenseits des Charakters aller sonst üblichen Auseinandersetzungen mit fehlbaren Staaten, diesen einzigen, den jüdischen Staat als illegitim und als Krebsgeschwür diffamiert.

In welchem Masse sich der Diskurs bereits wegbewegt hat von dem, was einst als schweizerische Kultur des gegenseitigen Respekts im universitären Milieu galt, zeigte sich im Mai dieses Jahres am Dies academicus der Universität Lausanne. Der freisinnige Erziehungsdirektor des Kantons Waadt, Frédéric Borloz, wurde während seiner Ansprache von rund zwanzig Aktivisten vom Mikrofon weggedrängt, das Publikum hatte sich stattdessen deren Anklagen gegen die Universität und den Kanton anzuhören, «Komplizen des Genozids» zu sein. Medial wurde auch dieser Übergriff in der Romandie eher zur Kenntnis genommen als verurteilt, juristische Konsequenzen scheint er ohnehin nicht gezeitigt zu haben. Politische Folgen hatte er allerhöchstens insoweit, als er ein weiterer Baustein der Strategie war, die letztlich dazu führte, dass die Universität Lausanne wenige Wochen später ihre strategische Partnerschaft mit einer israelischen Universität aufkündigte.

Fadenscheinige Argumente

Natürlich können Universitätsleitungen nicht öffentlich eingestehen, dass sie dem Druck von letztlich zahlenmässig relativ kleinen, aber extrem aggressiven Gruppen und ihren Claqueuren nachgegeben haben. Sie berufen sich entweder (wie die Universität Genf) auf «Experten» oder (wie die Universität Lausanne) auf eine «Ethikkommission», die nach sorgfältigen Erwägungen zu dem Schluss gekommen seien, dass eine Zusammenarbeit mit der Hebräischen Universität nicht mehr tragbar sei. Interessanterweise erfährt man zu keinem Zeitpunkt, wer diese Experten oder Kommissionsmitglieder sind, nach welchen Kriterien ihnen diese Kompetenz zugesprochen worden ist und auf welchen wissenschaftlichen Quellen, Informationen und Erwägungen ihre Schlüsse beruhen.

Auch fehlt jede Reflexion dazu, ob tatsächlich Universitäten in der Pflicht stehen, politische Verantwortung für das Handeln der Staaten zu übernehmen, in denen sie sich befinden. Und schon gar nicht wird hinterfragt, was die Funktion gerade der Universitäten in Israel und nicht zuletzt der Hebräischen Universität ist, die in einem sich verhärtenden politischen Klima inmitten eines Krieges Stimmen aller politischen, weltanschaulichen und auch ethnischen Couleur Raum geben – womit sie ironischerweise genau das tun, dem sich jene konsequent verschliessen, die zu ihrem Boykott aufrufen.

Das einzig Schweizerische, muss man leider sagen, was im Charakter der Massnahmen dieser Universitäten durchschlägt, ist die Verdruckstheit, mit der sie kommuniziert und angewandt werden. So wird betont, die Partnerschaft mit der Hebräischen Universität sei gar nie konkret in Projekte oder in Form von Studierendenaustausch umgesetzt worden – und überdies seien individuelle Kooperationen von Dozierenden zwischen den jeweiligen Universitäten selbstverständlich weiterhin gestattet. Der ethisch hochmögend aufgeladenen Ankündigung folgt also auf Nachfrage die ebenso eilfertige wie verstohlene Versicherung, es werde ja weder von den Konsequenzen noch von den Intentionen her so heiss gegessen, wie es gekocht worden sei.

Die Deutschschweiz macht es besser

Der JUMS hat auf die öffentlichkeitswirksamen Massnahmen beider Universitäten reagiert, mit einer Presseerklärung zum Vorgehen der Universität Genf und mit Briefen an den Grossen Rat und den Regierungsrat des Kantons Waadt zu dem der Universität Lausanne. Der Verein versucht mit demokratischen Methoden Überzeugungsarbeit zu leisten, ohne mit rechthaberischem Radau den universitären Betrieb zu sprengen. Der Kraft des guten Arguments zu glauben, entspricht dem Verständnis von Akademie, wie wir es gelernt haben und an unseren Wirkungsstätten weiterhin einzubringen uns bemühen.

Und wie sieht es in der Deutschschweiz aus? Man bemüht sich hier redlich um die Förderung des Dialogs, gerade auch vonseiten der Universitätsleitungen. So regte das Rektorat der Universität Basel die Fachbereiche der Nahoststudien und der Jüdischen Studien dazu an, eine Ringvorlesung zu veranstalten, die ein möglichst breites Spektrum wissenschaftlicher Meinungen zum Thema «Israel und Palästina» umfasst und von Studierenden wie von der interessierten Öffentlichkeit dankbar angenommen wird. Ein Aufkündigen der Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten steht überdies nicht zur Diskussion, wie Vertreter verschiedener Deutschschweizer Universitäten und der Eidgenössischen Hochschulen infolge der Ereignisse in der Romandie den Medien erklärten.

Dennoch ist auch hier Wachsamkeit gefordert. An der Universität Zürich wurde vergangenen Dezember der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes bei einem Vortrag niedergeschrien. Und wer wie ich Anlaufstelle für Klagen und Sorgen jüdischer Hochschulangehöriger ist, weiss von weiteren Erfahrungen, die uns zeigen, dass wir nicht mehr in der Selbstverständlichkeit von Akzeptanz und Pluralität leben, die uns in der Schweiz in Stein gemeisselt schien.

Dass diese destruktiven Kräfte an Einfluss verlieren, ist beileibe im Interesse nicht nur jüdischer Hochschulangehöriger, sondern des Universitätsstandorts Schweiz insgesamt. Sinnlose, politisch motivierte Boykotte anderer Universitäten, eine Zerstörung der Kultur der freien Rede, aktivistische Unterwanderung und die Schaffung einer Atmosphäre, in der sich manche Studierende oder Dozierende nicht mehr zu ihrer Identität zu bekennen wagen, können nicht das Rezept für eine erfolgreiche Zukunft sein.

Alfred Bodenheimer ist Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel sowie Krimiautor. Gemeinsam mit Jacques Ehrenfreund von der Universität Lausanne ist er Co-Präsident der Association for the Promotion and Support of Jewish University Members in Switzerland (JUMS).

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