Montag, Oktober 7

Noch ist das Mittel gegen Kartoffelkäfer nur in den USA erhältlich. Sein Wirkstoff ist eine ganz spezielle RNA. Auch andere Schädlinge könnten mit solch neuartigen Insektiziden bekämpft werden.

Neuartige Insektizide braucht das Land. Hierin sind sich viele Bauern und sogar Umweltschützer für einmal einig. Schädlinge sind ein grosses Problem. Weltweit werden bis zu 40 Prozent der Ernte durch Käfer und Co. vernichtet. Viele der derzeit verwendeten Produkte töten nicht nur einen Schädling, sondern auch harmlose und nützliche Insekten und sind zudem ungesund für andere Tiere und auch Menschen.

Anfang Jahr wurde in den USA ein Insektizid der Firma Greenlight Biosciences zugelassen, das mit grossen Versprechungen aufwartet. Dank einem völlig neuen Wirkmechanismus soll es sehr spezifisch nur gegen den anvisierten Schädling wirken. Für alle anderen Lebewesen hingegen, egal ob Krabbeltierchen, Feldlerche oder Mensch, soll es ungefährlich sein.

Das Mittel heisst Calantha und soll die Kartoffelkäfer reduzieren. Diese schwarz-gelb gestreiften Krabbler stammen aus den USA und wurden Anfang des vergangenen Jahrhunderts nach Europa eingeschleppt. Unsere Grosseltern erinnern sich noch: Nach der Schule ging es auf den Kartoffelacker, die Käfer mussten per Hand von den Pflanzen gepflückt werden. Pro gefülltem Konfi-Glas gab es einige Pfennige oder Rappen. Heute gibt es zwar Mittel gegen die Kartoffelkäfer, doch viele davon sind wirkungslos geworden.

Die wahren Feinde der Bauern – und der Pommes-frites-Fans – sind die Larven: Die Kartoffelkäferweibchen legen ihre Eier auf den Blättern ab. Daraus schlüpfen die Larven, sie vertilgen dann gnadenlos Blatt um Blatt. Eine Horde Larven frisst eine Kartoffelpflanze innert Stunden kahl.

Warum RNA-Insektizide sehr spezifisch wirken

Das soll nun der neue Wirkstoff in Calantha verhindern: ein RNA-Faden. RNA ist chemisch gesehen ähnlich aufgebaut wie DNA. Aber die RNA erfüllt in der Zelle eine andere Aufgabe: Während die DNA die Erbinformation enthält, spielt RNA eine wichtige Rolle bei der Proteinproduktion.

Wenn die Larven beim Blätterfressen den RNA-Faden des Insektizids aufnehmen, wird er im Verdauungstrakt in die Darmzellen transportiert. Hier zerschneidet ihn ein Enzym – wie eine Schere einen Wollfaden – in lauter Stückchen.

Die kleinen RNA-Stückchen lagern sich dann an eine ganz bestimmte Bauanleitung für ein Protein an und blockieren diese. Das entsprechende Eiweiss kann nicht mehr hergestellt werden. Die Kartoffelkäferlarven sterben innert weniger Tage.

Ein RNA-Molekül kann viel spezifischer auf einen Schädling ausgerichtet werden als die Giftmoleküle in herkömmlichen Insektiziden. Denn diese blockieren Prozesse in Nervenzellen, die nicht nur im anvisierten Schädling, sondern auch in vielen anderen Insekten und Tieren existieren. Im Gegensatz dazu blockiert das neue Insektizid ein Molekül, das nur in einem Insekt oder allenfalls engen Verwandten vorkommt.

Um sicherzustellen, dass wirklich nur die Larven der Kartoffelkäfer und nicht etwa jene von Marienkäfern vernichtet werden, haben die Forscher der Herstellerfirma zuerst geschaut, welche Eiweissmoleküle absolut lebensnotwendig sind für die Kartoffelkäferlarven. So wurden potenzielle Ziele bestimmt.

Im nächsten Schritt haben sie Datenbanken durchforstet, um herauszufinden, bei welchen Insekten diese möglichen Zielproteine vorkommen. Ausgewählt wurde dann ein Eiweiss, das so nur Kartoffelkäfer und vier Verwandte besitzen. Zwei davon liess das Insektizid mit dem RNA-Wirkstoff unbehelligt, zwei andere wurden vernichtet. Doch diese zwei sind ebenfalls Schädlinge.

In weiteren Versuchen wurden Nützlinge wie Marienkäfer oder Bienen im Labor und im Gewächshaus dem Mittel ausgesetzt. Laut der Herstellerfirma schadete es diesen selbst in hohen Konzentrationen nicht. Auch in Feldversuchen in Nordamerika und Europa seien keine negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna festgestellt worden.

Nebenwirkungen sind unwahrscheinlich

Umweltschützer befürchten allerdings, dass ein Insektizid mit RNA doch nicht ganz so spezifisch wirkt wie versprochen. Es ist ja zu erwarten, dass diverse andere Insekten, Fische oder Säugetiere mit dem Mittel in Kontakt kommen und es auch aufnehmen.

Im Menschen wird ein RNA-Faden bereits im Blut abgebaut. Doch bei manch anderen Lebewesen kann er in die Zellen gelangen. Zum einen besitzen sie aber nicht das Zielprotein und somit nicht die Andockstation für die RNA aus dem Insektizid. Zum anderen sei die Gefahr sehr gering, dass irgendeine andere als die anvisierte Bauanleitung in einem harmlosen Insekt oder einem anderen Tier blockiert werde, erklärt Aline Koch, langjährige RNA-Forscherin von der Universität Regensburg. Denn die Bindung einer RNA an eine Bauanleitung für ein Protein sei sehr exakt.

«Diese RNA-Interaktionen werden seit Jahrzehnten erforscht, und zwar in vielen Zellarten unterschiedlicher Organismen», betont Koch. Selbst wenn es zu einer nicht erwarteten unspezifischen Bindung an irgendeine Bauanleitung komme, sei es unwahrscheinlich, dass diese einen Effekt habe. Das kleine fremde RNA-Stückchen wird einfach im Laufe der Zeit abgebaut.

Kritiker wenden ein, dass die Stabilisatoren, die den RNA-Insektiziden beigemischt werden, giftig für Insekten oder andere Tiere sein könnten. Diese Substanzen sollen den Wirkstoff vor UV-Licht oder Regen schützen. Denn RNA zerfällt innert weniger Tage. In Forschungsprojekten wird die RNA zur Stabilisierung zum Beispiel in Minikapseln aus Chitosan verpackt, einem Zuckermolekül aus dem Panzer von Krabben. Derzeit gibt die Herstellerfirma Greenlight Biosciences nicht bekannt, welche Stabilisatoren dem Insektizid gegen Kartoffelkäfer beigemischt sind. Laut den publizierten Daten war aber das komplette Produkt in den diversen Tests ungiftig für die eingesetzten Nutzinsekten.

Einer von Gentech-Kritikern verbreiteten Falschinformation tritt Koch im Gespräch vehement entgegen: «Insektizide mit RNA-Wirkstoffen sind keine gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Denn ein kurzer RNA-Faden ist kein lebensfähiger Organismus.» Er ist auch kein Virus, das sich in einer Zelle vermehren kann. Auch enthält die RNA in einem Insektizid kein Gen.

Können sich Resistenzen entwickeln?

Bei herkömmlichen Insektiziden ist neben der mangelnden Spezifität auch die Entwicklung von Resistenzen ein grosses Problem. So ist der Kartoffelkäfer mittlerweile gegen fünfzig konventionelle Insektizide resistent geworden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Schädlinge auch gegen die RNA-Wirkstoffe unempfindlich werden. Denkbar ist zum Beispiel, dass die RNA-Stücke nicht mehr vom Darm aufgenommen werden. Oder dass sie nicht mehr effizient an ihre Ziele in der Zelle binden, da es dort Mutationen gab.

Gemäss einer Untersuchung der University of Tennessee war die Aufnahme des RNA-Fadens von Zellen der Kartoffelkäferlarven dann stark reduziert, wenn diese elf Generationen lang ununterbrochen mit dem Mittel gefüttert wurden. Das sei allerdings kein realistisches Szenario auf dem Feld, betont Karl-Heinz Kogel, Pflanzenpathologe an der Universität Giessen.

Um der Resistenzentwicklung vorzubeugen, sollten ohnehin immer unterschiedliche Insektizide, also solche mit und ohne RNA als Wirkstoff, abwechselnd oder auch in Kombination versprüht werden. Oder man müsste RNA gegen mehrere Zielproteine in einem Mittel kombinieren, ergänzt Koch.

Ein RNA-Insektizid gegen Bienenschädlinge

Beide Befragten sind überzeugt, dass es künftig gegen zahlreiche Schädlinge RNA-Insektizide geben werde. Bereits in der Testphase befinden sich Mittel gegen diverse andere Käfer wie den Maiswurzelbohrer oder gegen die Varroamilbe, die sich in den Stöcken von Honigbienen einnistet und diese vernichtet. Auch der invasive Japankäfer ist ein lohnendes Anwendungsgebiet. Koch startet demnächst zusammen mit anderen Forscherteams sowie Zuckerrübenzüchtern ein Projekt gegen die Schilf-Glasflügelzikade. Diese überträgt ein für Zuckerrüben tödliches Bakterium, wenn sie an den Pflanzen saugt. Das neuartige Insektizid soll diese Bakterien töten.

«Jetzt müssen in Europa die Gespräche mit den Zulassungsbehörden intensiviert werden», fordert die RNA-Forscherin. Es müsse schnellstmöglich geklärt werden, ob Insektizide mit RNA wie herkömmliche Insektizide getestet werden müssen. Oder ob diese neuartigen Mittel wie in den USA ein etwas einfacheres und schnelleres Verfahren wie bei Biopestiziden durchlaufen könnten. Klar sei: Jedes neue Mittel müsse im Labor wie auch im Gewächshaus darauf untersucht werden, ob Nutzinsekten oder andere Tiere geschädigt würden.

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