Samstag, Januar 11

2025 verspricht neue und alte Kämpfe in der globale Energiewende.

Das vergangene Jahr endete mit einem ernüchternden Rekord für all diejenigen, die sich um den Zustand des Klimas sorgen: 2024 war das heisseste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850. Gleichzeitig haben Wetterextreme, die durch den Klimawandel häufiger und intensiver werden, in vielen Regionen eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das belastet nicht nur das Erdsystem, sondern auch die politische Debatte.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Denn die Hitzerekorde der vergangenen Jahre machen die zunehmend verzweifelt klingenden Versprechen vieler Politiker zunichte, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Laut dem europäischen Erd- und Wetterbeobachtungsprogramm Copernicus ist 2024 nämlich das erste Jahr, in dem die 1,5-Grad-Marke überschritten wurde.

Die 1,5-Grad-Zielmarke des Pariser Abkommens ist «tot»

Das Temperaturziel des Pariser Abkommens bezieht sich auf die langfristige Erwärmung und nicht auf jährliche Temperaturen. Laut Wissenschaftern bedeutet das in der Regel zwei oder drei Jahrzehnte. Aber solche Details verfangen in der öffentlichen Diskussion über das Pariser Abkommen kaum.

Was zählt, ist die Überschrift: Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ist vorerst tot. «Wir haben einfach zu lange gewartet, um zu handeln», so Zeke Hausfather, Leiter der Klimaforschung beim Unternehmen Stripe und Forscher bei Berkeley Earth, gegenüber dem britischen «Guardian». «Wir überschreiten die 1,5-Grad-Grenze immer schneller, und das wird sich fortsetzen, bis die globalen Emissionen nicht mehr steigen.»

Netto-Null unter Druck

Noch sind die Aussichten dafür durchwachsen. Bis 2050 oder 2060, so haben es die grossen globalen Verschmutzer versprochen, sollen die Emissionen auf netto null fallen. Das bedeutet, dass diejenigen Emissionen, die nicht reduziert werden könnten, von Wäldern, anderen Landschaften, Meeren und Technologien aufgenommen würden. Die Emissionen nehmen jedoch weiter zu. Laut Prognosen des Global Carbon Project, eines internationalen wissenschaftlichen Konsortiums, sind im vergangenen Jahr die CO2-Emissionen durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe um rund 0,8 Prozent gestiegen.

Der Druck auf Regierungen wächst derweil in diesem Jahr. Sie sind gefordert, neue Klimapläne vorzulegen, um die Emissionen schneller zu reduzieren. So will es der Zeitplan des Pariser Abkommens. Das Thema wird die kommende Klimaverhandlung dominieren, die im November im brasilianischen Belém stattfindet. Aktivisten und Forscher werden neue Versprechen und bisherige Leistungen der grossen Verschmutzer entsprechend genau verfolgen, analysieren – und öffentlich anprangern.

Doch schon jetzt gibt es Gegenwind für die Netto-Null-Ambitionen. Nicht nur durch rechtspopulistische Parteien, die jüngst in Europa und darüber hinaus Wahlerfolge erzielen konnten. Sondern auch aus der Unternehmenswelt, allen voran in den USA, wo sich Firmen schon jetzt an Donald Trumps klimaskeptische Politik anpassen.

Nach Jahren, in denen sich Banken, Finanzdienstleister und Industrieunternehmen mit neuen Versprechen und Mitgliedschaften in klimapolitischen Allianzen überboten haben, ist es mit der nachhaltigen Tugendhaftigkeit vorbei. Allein im vergangenen Monat haben die sechs grössten amerikanischen Banken die sogenannte Net-Zero Banking Alliance verlassen. Die Unternehmen wollen sich nicht mehr verbindlich an das Netto-Null-Ziel binden – auch wenn sie beteuern, dass sie weiterhin an den Nachhaltigkeitszielen festhalten würden.

Verschmutzer unter sich

Für Aktivisten wird der klimapolitische Schwerpunkt derweil auf den üblichen Verdächtigen und weltgrössten Emittenten liegen: den USA, China, der EU, Indien und der Gruppe der mittelgrossen und aufstrebenden Wirtschaftsmächte. Sie reicht von Brasilien über Indonesien bis zu den Golfstaaten.

Deren Emissionsbilanz birgt Konfliktpotenzial auf der geopolitischen Weltbühne. Die Daten machen deutlich, warum. Laut den Prognosen des Global Carbon Project stiegen die CO2-Emissionen im vergangenen Jahr in China leicht an und sind in Indien mit 4,6 Prozent massiv in die Höhe geschossen. In Europa und in den USA dagegen fielen sie.

Das erklärt auch, warum die alten Industriestaaten mit zunehmender Irritation fordern, dass die neuen Wirtschaftsmächte mit den Emissionsminderungen vorangehen. An der vergangenen Klimakonferenz in Baku war dieses Kräftemessen deutlich zu verfolgen. Im kommenden Jahr wird dieser Interessenkonflikt die angespannten Beziehungen zwischen den alteingesessenen und den neuen Mächten weiter strapazieren.

Denn der Grund für die wachsenden Emissionen ist die Wirtschaft. In Indien habe das starke Wirtschaftswachstum insbesondere die Stromnachfrage stark ansteigen lassen, sagt Robbie Andrew, ein leitender Forscher bei dem norwegischen Institut Cicero. Das Problem dabei: «Der grösste Teil dieser neuen Stromnachfrage wird durch die verstärkte Nutzung bestehender Kohlekraftwerke gedeckt, während nur ein kleinerer Anteil durch erneuerbare Energien gedeckt wird», so Andrew.

Derweil nahm auch in China die Kohleverstromung weiter zu – trotz einem weiteren Rekordjahr im Bereich der erneuerbaren Energien. Auch hier, so Cicero, liege der Grund im schnelleren Anstieg der Stromnachfrage durch die Hightech-Industrie und den privaten Verbrauch.

Ohne fossile Brennstoffe keine Energiewende

Ein Ende der Kohle ist also längst nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Internationale Energieagentur (IEA) rechnete im Dezember vor, dass der Kohleverbrauch im Jahr 2024 mit 8,74 Milliarden Tonnen aufgrund der Entwicklungen in China und Indien neue Höchstwerte erreichen werde. «Kohle wird oft als ein Brennstoff der Vergangenheit betrachtet, aber der weltweite Verbrauch hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verdoppelt,» befand die IEA trocken.

Kohle ist dabei nicht der einzige fossile Brennstoff, der sich hartnäckig hält – trotz Rekordinvestitionen in die erneuerbaren Energien und einem Aufschwung der Atomenergie durch den Energiebedarf von Datenzentren. Denn im Zuge der Energiewende wächst die Nachfrage nach Strom insgesamt. Die fossilen Brennstoffe werden also weiterhin eine zentrale Rolle dabei spielen, den insgesamt steigenden Bedarf zu decken, obwohl der Anteil der erneuerbaren Energien weiter zunimmt.

Auch Befürworter von Erdgas und Erdöl versprechen sich neuen Rückenwind, allen voran durch die republikanische Administration Donald Trumps in den USA. Bei Trumps erster Pressekonferenz nach der Wahl am gestrigen Dienstag versprach er nicht nur ein goldenes Zeitalter für die Öl- und Gasindustrie. Er wolle auch sogleich die jüngst verkündeten Verbote von Bohrungen im Meer durch den scheidenden Joe Biden aufheben, so Trump.

Der Wettkampf um grüne Märkte geht in eine neue Runde

Gleichzeitig tobt der Wettkampf um neue, grüne Technologien und die dafür benötigten Rohstoffe. Noch führt China. Kein Land investiert mehr in Erneuerbare-Energie-Projekte. Gleichzeitig dominiert die zweitgrösste Weltwirtschaftsmacht die Lieferketten und die Rohstoffe vieler für die Energiewende zentraler grüner Technologien. Das reicht von Batterien über Solarzellen bis zu Windrädern. Im kommenden Jahr wird sich der schon schwelende Handelsstreit zwischen den USA, Europa und China weiter zuspitzen.

Dabei boomt vor allem die Solarenergie. Laut Analysten von BloombergNEF (BNEF) wuchs der Solarmarkt vergangenes Jahr um 35 Prozent.

Der Grund für das rasante Wachstum seien niedrige Preise für Module, welche die Nachfrage in neuen Märkten ankurbelten. Das konnte man insbesondere in Pakistan und in Indien beobachten. Die Entwicklung habe jedoch auch ihre Schattenseite, so Jenny Chase, führende Analystin bei BNEF. «Die niedrigen Preise schaden den Herstellern, die in einem harten Wettbewerb um Marktanteile stehen», schrieb sie schon im August.

Die Aussichten für das kommende Jahr sind darüber hinaus leicht getrübt. So erwarten Chase und Kollegen zwar, dass die Solarenergie auch noch in diesem Jahr die grösste Quelle für neue Stromerzeugung sein werde. Aber mit einem Wachstum von 11 Prozent werde weltweit weniger installiert als 2024. Der Erfolg der Sonnenenergie verursacht dabei neue Probleme für die Energieinfrastruktur. Jetzt, wo die Solarenergie einen grösseren Anteil am Strommix vieler Länder ausmache, hätten die Netze Schwierigkeiten, den überschüssigen Strom zu integrieren, so Chase.

Alles hängt am Geld

Nicht nur der Netzausbau erfordert Milliardeninvestitionen in neue Leitungen, Kabel und Speicher. Der grosse Streitpunkt in der internationalen Klimapolitik werden auch in diesem Jahr die Billionen sein, die benötigt werden, um die Energiewende weltweit voranzubringen. Dabei geht es einerseits um mindestens 300 Milliarden Dollar, welche die reichen Industriestaaten nach den Regeln des Pariser Abkommens ab diesem Jahr jährlich für Entwicklungsländer mobilisieren sollen. In Baku hatten sich die Regierungen der Welt nach heftigen Auseinandersetzungen auf diese Summe geeinigt.

Angesichts der Billionen, die allgemein für den Umbau von fossilen zu grünen Technologien und Infrastrukturen benötigt werden, ist diese Summe nicht mehr als eine politische Geste. Zum Vergleich: Um das EU-Klimaziel für 2030 zu erreichen, seien zwischen 2021 und 2030 zusätzliche jährliche Investitionen in Höhe von etwa 2 Prozent des BIP erforderlich, schrieb die in Brüssel ansässige Denkfabrik Bruegel im Dezember. Das entspricht insgesamt rund 1,3 Billionen Euro, einer Summe, die jedoch mit einigen Unsicherheiten behaftet sei. Das Niveau müsse zwei Jahrzehnte lang aufrechterhalten werden, um netto null Emissionen zu erreichen.

Forscher, Aktivisten, Diplomaten und Finanzexperten tüfteln seit einigen Jahren an Wegen, die Billionen mittels Reformen des internationalen Finanzsystems und mithilfe von Entwicklungsbanken, Steuern und privaten Investitionen zu mobilisieren. Dabei wird im Rahmen der Klimaverhandlungen von einer Summe von «mindestens 1,3 Billionen Dollar bis 2035» gesprochen. Diese Bemühungen werden in diesem Jahr mit wachsender Dringlichkeit weitergeführt.

Denn zunehmend wird klar, dass auch die grünen Grossprojekte in den reichen Industriestaaten ohne konkrete Geldflüsse kollabieren werden. Der Klimaschutz alleine mobilisiert keine politische Unterstützung mehr. Heute müssen Politiker ihre Wähler davon überzeugen, dass sie mithilfe ihrer Programme die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken werden.

So sei die zentrale Herausforderung für den Green Deal der EU – mit dem Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen – die Investitionsfrage. Das schrieb die Denkfabrik Bruegel im Dezember. Ob die benötigten Milliarden beschafft werden könnten, werde «über die Chancen der Europäischen Union, ihre Klimaziele zu erreichen und ihre Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit zu stärken, entscheiden».

Exit mobile version