Montag, November 25

Seit 16 Jahren verhandelt die Schweiz mit Indien über einen besseren Marktzugang. Die Chancen auf ein Abkommen stehen so gut wie schon lange nicht mehr.

Der Wirtschaftsminister Guy Parmelin und die Seco-Chefin Helene Budliger strahlen, wenn auch etwas ermattet, um die Wette. Zwischen ihnen steht der indische Handelsminister Piyush Goyal. Am Samstagabend twitterte Bundesrat Parmelin dieses Bild mit der Mitteilung, nach sechzehn Jahren Verhandlungen sei man sich über die Grundzüge des Handelsabkommens zwischen Indien und den Efta-Staaten (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) einig geworden. Die Schweiz verhandelt federführend im Rahmen der Efta mit Delhi.

Sosehr bei Parmelin Freude herrscht, so wenig Details sind bekannt. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sagt denn auch, dass die Verhandlungen noch laufen würden: «Zu den Grundzügen, in denen eine Einigung erzielt wurde, gehört zum Beispiel der in der Vergangenheit umstrittene Patentschutz sowie auch ein neuartiges Investitionspromotions-Kapitel. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.» Deshalb könnten auch keine Details genannt werden.

Strategisch wichtig

Für Jan Atteslander, Handelsexperte beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, steht aber fest: «Bei den Verhandlungen mit Indien handelt es sich um ein wichtiges strategisches Abkommen. Ein solches kommt vielleicht alle zehn Jahre zustande.» Weil Indien zudem gleichzeitig auch mit der EU und mit Grossbritannien Handelsabkommen abschliessen möchte, kann sich die Schweiz als Exportnation ein Abseitsstehen nicht leisten.

Aus Schweizer Sicht sind der Schutz von Warenzeichen und Patenten sowie ein zollfreier Marktzugang von grosser Bedeutung. Indien hat den Ruf, ein protektionistisches Land zu sein, auch wenn es bereits über dreissig Handelsabkommen verfügt. Für Produkte von Maschinenbauern und Metallverarbeitern können die Zölle beispielsweise bis zu 22 Prozent betragen. Für Jean-Philippe Kohl von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinenindustrie, ist die grundsätzliche Einigung zwischen Parmelin und Goyal «ausserordentlich positiv».

Zurückhaltender gibt sich Stephan Mumenthaler, Direktor des Pharmaverbandes Scienceindustries. Für ihn ist es ein Zwischenstand, es seien noch Fragen offen. Aus Sicht von Scienceindustries war im Dezember das indische Angebot für den für die Pharmabranche wichtigen Schutz geistigen Eigentums noch nicht ausreichend. Indien achtet auf seine bedeutende Generikaindustrie. Delhi ist sich jedoch bewusst, dass Patentschutz auch für indische Unternehmen wichtig wird, die eigene margenstärkere Medikamente entwickeln wollen. Bis Ende Februar soll das Abkommen unterschriftsreif sein. Bis dahin müssen die Details noch ausgearbeitet werden.

Zeitfenster vor der Wahl in Indien

Dass es nach sechzehn Jahren Verhandlungen doch noch zu einer Einigung kommen könnte, hängt auch mit Indiens Innenpolitik zusammen. Indiens Vorpreschen in den Verhandlungen solcher Abkommen hat dabei eine Vorgeschichte. Im Jahr 2020 zog sich Indien, kurz bevor alle Verträge unterschrieben worden waren, aus der regionalen Freihandelszone RCEP zurück – in Indien gab es die Befürchtung, dass das Handelsbündnis mit Asean-Ländern wie Thailand, den Philippinen oder Indonesien zu stark vom ebenfalls teilnehmenden Konkurrenten China dominiert werden könnte.

Seitdem verhandelte Indien verschiedene bilaterale Freihandelsabkommen, die wichtigsten im Jahr 2022 mit Australien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im Frühling finden in Indien Wahlen statt. Der Handelsminister Goyal dürfte versuchen, die Verhandlungen mit der Schweiz und der Efta vorher zum Erfolg zu führen. Auch in der Schweiz wird betont, dass es bis dahin ein Zeitfenster gebe.

Goyals Ministerium drückte sich gegenüber der indischen Zeitung «Times of India» etwas vorsichtiger aus als die Schweizer Seite: Man habe sich in Schlüsselfragen geeinigt, nun wolle man in weiteren Verhandlungen die erreichte Annäherung weiter formen. Ein Verhandlungserfolg wäre aber ein willkommenes Argument im Wahlkampf von Premierminister Narendra Modi: Er hat seinen Wählern Wirtschaftswachstum versprochen: «double engine growth», Zweimotorenwachstum nennt er es. Indien soll bis in fünf Jahren – hinter den USA und China – zur drittgrössten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen sein.

Nicht nur Schutz, sondern auch Förderung

Dafür sollen auch Investitionen und Technologietransfers aus dem Ausland helfen. Das Seco spricht in seiner Mitteilung von einem Investitionspromotions-Kapitel und bezeichnet es als neuartig. Üblicherweise wird in Handelsabkommen von Investitionsschutz gesprochen – und nicht von Förderung. Dadurch könnte die Schweiz der indischen Seite entgegengekommen sein. Mit der Abschaffung eines grossen Teils der Industriezölle und auch dem weiterhin starken Schutz der Landwirtschaft ist der Spielraum für die Schweizer Verhandler eng, sie müssen kreativ werden.

Die Idee könnte sein, dass mit einem erleichterten Marktzugang Schweizer Unternehmen bei zunehmendem Erfolg vermehrt in Indien investieren werden. Dadurch sollten auch Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung Indiens geschaffen werden. Schweizer Technologie hilft dabei zudem, den Produktionsstandort zu entwickeln. Welche Klauseln das Investitionspromotions-Kapitel enthalten wird, ist noch unklar. Es dürfte aber feststehen, dass die Schweizer Wirtschaft nicht zu Investitionen gedrängt werden kann.

Derzeit ist der gegenseitige Warenaustausch bescheiden. Für die Schweizer Wirtschaft ist Indien ein relativ kleiner Güterlieferant. Für die meisten heimischen Unternehmen stellt der Subkontinent vor allem ein Wachstumsversprechen dar. Das bevölkerungsreichste Land der Erde rückt aber auch in einer Zeit als Alternative in den Blickpunkt, in der die Spannungen zwischen China und den USA sowie Europa zunehmen.

Modi regiert vermehrt über ein geteiltes Land

Indiens Wirtschaft hat auf alle Fälle gute Argumente für die Zukunft: Unter Modi hat sich die Infrastruktur verbessert, die Korruption hat abgenommen, die lähmende Bürokratie ebenfalls, Zölle und Steuern wurden vereinheitlicht. Derzeit hat Indien Wachstumsraten um die 7 Prozent.

Aber Indien hat auch Mühe, Arbeitsplätze für seine junge Bevölkerung zu schaffen, Frauen sind kaum im Arbeitsmarkt integriert, der Konsum gerade unter der ländlichen Bevölkerung sinkt, lokale Unternehmen investieren zu wenig in die angeblich boomende Wirtschaft. Und internationale Unternehmen wie Apple siedeln sich ausgerechnet in Südindien an, in jenen Teilstaaten, die nicht von Modis Partei BJP regiert sind. Dort finden sie besser ausgebildete Arbeitskräfte als im Rest des Landes.

Hier liegt vielleicht auch das grösste Problem Indiens: Modi regiert mehr und mehr über ein geteiltes Land. Der Premierminister dürfte wiedergewählt werden, sein radikaler Hindu-Nationalismus findet viel Zuspruch im bevölkerungsreichen Norden Indiens. Aber mit Folgen: Modi hat in den vergangenen zehn Jahren zunehmend autoritär regiert, Indien ist in Demokratie-Indizes abgestürzt. Erst am Montag weihte Modi den grössten hinduistischen Tempel des Landes ein, es war ein nationales Spektakel und offenbarte, wie untrennbar seine Politik mit religiösem Fundamentalismus verknüpft ist.

Sollte Modi aber in den kommenden Jahren noch autoritärer werden, dürfte nicht nur der wirtschaftsstarke Süden des Landes aufmucken. Auch internationale Investoren und Handelspartner dürften sich zunehmend fragen, ob Indien tatsächlich ein unverdächtiger Wirtschaftspartner ist. Der Reiz Indiens als geopolitische Alternative zu China besteht neben seinem Wirtschaftspotenzial vor allem darin, dass das Land als grösste Demokratie der Welt gilt.

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