Montag, Januar 13

Nach der Verhaftung des Schriftstellers Boualem Sansal und der gescheiterten Rückführung eines algerischen Hass-Influencers sind die Beziehungen zwischen Paris und Algier auf dem Gefrierpunkt. Präsident Macron sagt, die ehemalige Kolonie «entehre» sich selbst.

Versöhnung, das war einmal. Zwischen Frankreich und seiner ehemaligen Kolonie Algerien sind die Beziehungen so schlecht wie lange nicht mehr. Seit sich Paris im Streit um die Souveränität der Westsahara auf die Seite des algerischen Erzrivalen Marokko geschlagen hat, stehen die Zeichen auf Konfrontation.

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In einem Brief an den marokkanischen König Mohammed VI. hatte der französische Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Juli Rabats Ansprüche auf das Territorium anerkannt. Erbost zog Algier daraufhin seinen Botschafter aus Paris ab und legte die Arbeit einer bilateralen Historikerkommission auf Eis. 2022 war diese nach einem Besuch Macrons in Algerien ins Leben gerufen worden, um die leidvolle koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten.

Tiktok-Videos, die Hass verbreiten

Es hätte bei den beleidigten Reaktionen bleiben können, doch Mitte November ging das algerische Regime einen Schritt weiter und verhaftete den bekannten Schriftsteller Boualem Sansal bei seiner Einreise in Algier. Dem 80-jährigen Franko-Algerier, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, war erst im vergangenen Jahr die französische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Vermutlich ahnte der scharfzüngige Kritiker des politischen Islam und der algerischen Militärdiktatur da bereits, dass ihm Gefahr drohen könnte.

Die französische Regierung forderte seine Freilassung, doch Algerien stellte sich taub. Sansal sei ein Betrüger, den Frankreich geschickt habe, um Lügen zu verbreiten, sagte der algerische Staatschef Abdelmadjid Tebboune. Zum Verhängnis war Sansal ein Interview geworden, das er dem rechten Medium «Frontières» gegeben hatte. Darin erklärte er, dass Algeriens heutige Grenzen von der Kolonialmacht Frankreich definiert worden seien und Teile des Landes früher zu Marokko gehört hätten. Ein historisches Faktum – das die algerische Justiz allerdings als Angriff auf die nationale Souveränität wertete.

Anfang Jahr riefen schliesslich mehrere algerische Influencer von französischem Boden aus zu Gewalt gegen Kritiker des Regimes und zu Anschlägen in Frankreich auf. Einer von ihnen, Youcef A. alias «Zazou Youcef», dem auf Tiktok mehr als 400 000 Nutzer folgen, schwadronierte in einem seiner Videos: «Wir werden sie erschiessen, wir werden sie vergewaltigen, wir werden sie wie die Juden begraben!» Ein anderer Influencer namens Imad Ould Brahem alias «Imad Tintin» rief über seinen Tiktok-Kanal dazu auf, Menschen wie Sansal «bei lebendigem Leib zu verbrennen».

Die Polizei nahm insgesamt sechs Influencer im ganzen Land fest, die ähnliche Botschaften verbreitet hatten. Sollte das Regime in Algier eine Kampagne orchestriert haben? Chawki Benzehra, ein politischer Flüchtling aus Algerien, hält das für sehr wahrscheinlich. «Wir haben es mit einem noch nie da gewesenen Ausmass an Feindseligkeit zu tun», sagt der Übersetzer, der selbst täglich Morddrohungen erhält. Aggressiv sei auch der Ton der staatlichen Nachrichtenagentur in seiner Heimat geworden, wo Frankreich inzwischen als «macronistisch-zionistisches» Regime bezeichnet werde.

Am Donnerstag sollte einer der Hass-Influencer in sein Heimatland ausgewiesen werden. Das war auch deswegen möglich, weil der Algerier ohnehin keinen Aufenthaltstitel besass. Doch statt den Mann einreisen zu lassen, schickte ihn das nordafrikanische Land postwendend zurück. Ein klarer Regelbruch. «Algerien versucht, Frankreich zu demütigen», so kommentierte Bruno Retailleau, der französische Innenminister, der die Ausweisung angeordnet hatte.

Bruch des Abkommens von 1968?

Der Ton ist rau geworden. Auch Macron, der sich zunächst nur «besorgt» über die Festnahme des Schriftstellers Sansal geäussert hatte, sprach in einer Rede vor französischen Botschaftern davon, dass sich Algerien, «das wir so sehr lieben und mit dem wir so viele Geschichten teilen», selbst entehre. Gabriel Attal, der ehemalige Premierminister, brachte in einem Gastkommentar für den «Figaro» sogar einen Bruch des algerisch-französischen Abkommens von 1968 ins Gespräch.

Das Abkommen erlaubt algerischen Staatsangehörigen und ihren Familien seit Jahrzehnten eine erleichterte Einwanderung. Geschuldet war dies dem Umstand, dass die frühere Kolonialmacht damals dringend Arbeitskräfte benötigte und nach dem Algerienkrieg auf Entspannung setzte. Die politische Rechte in Frankreich will das Abkommen schon lange kündigen, scheiterte bisher aber am Widerstand der Regierungsparteien und der Linken. Auf der anderen Seite des Mittelmeers wird inzwischen laut darüber nachgedacht, die Erdgas- und Ölimporte nach Frankreich einzuschränken. Bis jetzt blieb der bilaterale Handel von den politischen Turbulenzen ungestört.

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