Sonntag, September 8

Gegen den Willen der Zürcher Justiz ebnen die Richter den Weg für Ermittlungen gegen einen amtlichen Erbenvertreter.

Während Jahren wehrte sich eine Juristin aus der Agglomeration Zürich gegen den Notar, der als Erbenvertreter den Nachlass ihrer Familie verwaltete. Es geht um eine grössere Erbschaft mit mehreren Liegenschaften, darunter ein Anwesen oberhalb von Lugano mit zwei Villen und Blick auf den See.

Der Vorwurf an den Verwalter lautet dahin, dass er untätig geblieben sei. Er unterliess es nur schon, die sanierte Villa zu vermieten, wodurch den Erben hohe Einnahmen entgingen. Das kantonale Notariatsinspektorat erklärte sich für die eingereichte Aufsichtsbeschwerde für nicht zuständig. Das Bezirksgericht Uster liess sich für die Beurteilung der drei Aufsichtsbeschwerden monatelang Zeit und wies diese dann ab. Das Obergericht mahnte und erteilte Weisungen, wies sie aber ebenfalls mehrheitlich zurück.

Der Notar erklärte gegenüber den Erbinnen und den Aufsichtsbehörden wiederholt, dass er aus Zeitgründen etliche Arbeiten etwas spät anhand genommen habe, versicherte jedoch, er sei aber nun dran. Dennoch blieb er untätig. So war er beispielsweise während mehr als dreier Jahre Zeit nicht in der Lage, die zweite, baufällige Villa, die der Familie als Feriendomizil gedient hatte, abzusichern. Es kam zu mehreren Einbrüchen und Vandalenakten.

Dabei gingen neben Antiquitäten auch persönliche Andenken an die Eltern und Grosseltern der Nachkommen verloren. Das leerstehende Haus zu schützen, wäre Sache des Erbenvertreters gewesen, denn solange er im Amt ist, haben die Nachkommen keinen Zugang zum Nachlass.

Als der angerichtete Schaden nach Einschätzung der Juristin unvermindert in die Höhe kletterte, erstattete sie im Oktober 2021 gegen den Notar Anzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Um gegen eine Amtsperson eine Strafuntersuchung einzuleiten, ist die Ermächtigung durch das Obergericht nötig. Es verweigerte diese im Juni 2022.

Doch jetzt hat der Wind gedreht. Ende letzten Jahres erteilte das Bundesgericht die Ermächtigung für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Notar.

Notar in ungewohnter Rolle

Der Fall wirft ein Licht auf einen wenig beachteten Bereich staatlichen Handelns. Der Kanton Zürich kennt das Amtsnotariat, seine Notare sind also Beamte. Sie gelten als unparteiische juristische Diener der Öffentlichkeit und stellen nach klaren Regeln Urkunden aus, beglaubigen Unterschriften, errichten Bürgschaften und beraten in Erbangelegenheiten.

Nicht nur im Haus herrscht ein Chaos, auch der Garten ist verwildert.

Können sich Nachkommen wie im vorliegenden Fall nicht über die Aufteilung einer Erbschaft einigen, setzt im Kanton Zürich das zuständige Bezirksgericht häufig einen Notar als Erbenvertreter ein. Dieser übernimmt damit als Amtsperson eine privatrechtliche Aufgabe mit grossem Ermessensspielraum. Aber er hat die laufenden Geschäfte des Nachlasses zu besorgen und ist für den Schutz und die «vorsichtige Mehrung» der Vermögenswerte verantwortlich.

Das ist hier offensichtlich, aber ebenso dokumentiert und aktenkundig, nicht geschehen. So räumte der Notar in den diversen Verfahren ein, dass er es versäumt habe, ein Inventar über den Nachlass zu erstellen. Das gehörte jedoch zu seinen primären Aufgaben.

Die Akten zeigen das Bild eines Erbenvertreters, der entweder völlig überfordert oder unwillig war, den Nachlass zu schützen. Er machte auch keine Anstalten, sich Hilfe zu holen. Die Juristin musste zuschauen, wie ihr Erbe ruiniert wurde.

Immerhin setzte das Zürcher Obergericht dem Notar im Mai 2022 ein Ultimatum: Bei weiterer Untätigkeit sei seine Absetzung zu prüfen. Doch auch das änderte nichts an seinem Verhalten. Eine weitere Beschwerde war notwendig. Im November darauf liess er sich vom Bezirksgericht von seiner Aufgabe als Erbenvertreter entbinden.

Das Obergericht ging bei den Pflichtverletzungen des Notars aber lediglich von fahrlässigen Versäumnissen aus, die seiner hohen Arbeitslast geschuldet seien. Deshalb lehnte es eine Strafuntersuchung ab.

Das Bundesgericht weist nun diese Sichtweise klar zurück.

Für ein strafbares Verhalten sei es nicht nötig, dass ein Motiv des Notars für die Schädigung der Erben oder eigene Vorteile erkennbar seien. Es reiche schon, wenn ein Schaden durch Untätigkeit in Kauf genommen werde. Juristisch spricht man dann von Eventualvorsatz. Deshalb könne man nicht wie das Obergericht von vornherein auf eine offensichtliche Straflosigkeit schliessen, heisst es in der Urteilsbegründung aus Lausanne.

Der Notar selber, für den die Unschuldsvermutung gilt, wollte auf Anfrage keine Stellung zum Urteil des Bundesgerichts nehmen. Das kantonale Notariatsinspektorat lehnte die Beantwortung von Fragen ab, weil es sich um ein laufendes Verfahren handle.

Schaden in sechsstelliger Höhe

Die Geschichte wirft über das Verhalten des Notars hinaus Fragen auf. Warum wird im Kanton Zürich die Verwaltung einer umfangreichen Erbschaft routinemässig einem Beamten übergeben, der neben seinen anderen Aufgaben damit überlastet ist? Warum schreitet das Notariatsinspektorat als Aufsicht nicht ein, wenn die Erbenvertretung offensichtlich ungenügend ist? Liegt es an der Vermischung des Amtsnotariats mit dieser an sich privatrechtlichen Funktion?

Nach den aufsichtsrechtlichen Beschwerden und der Strafanzeige will die Juristin nun auf einer dritten Ebene ansetzen. Sie bereitet eine Schadenersatzklage gegen den Kanton Zürich vor. Nach ihren Angaben entstand den Erben durch die unprofessionelle Verwaltung des Notars ein Schaden in Höhe von mehreren hunderttausend Franken.

Sie hofft nun, dass die Staatsanwaltschaft die Untersuchung mit der gebührenden Sorgfalt durchführt. Die letzten Jahre erlebte die Juristin als kafkaesk, mit Zürcher Behörden, die Mal für Mal die pflichtwidrige Untätigkeit des Notars verharmlosten oder deckten.

Sie bleibt aber skeptisch. Bereits der Staatsanwalt, der seinerzeit mit der Bearbeitung ihrer Strafanzeige betraut wurde, stellte Anfang 2022 dem Obergericht den Antrag, die Ermächtigung für ein Strafverfahren sei nicht zu erteilen. Begründung: Die Aufsichtsbehörden hätten kein rechtswidriges Verhalten festgestellt. Das Bundesgericht ist anderer Meinung.

Urteil 1C_454/2022, 29. 12. 2023.

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