Der 2023 auf einem Getreidefeld in Sibirien gestrandete A320 von Ural Airlines soll nicht wieder starten. Das Feld wird zum Flugzeug-Friedhof.
Ein Jet im Kornfeld. Was musikalisch Interessierte fälschlicherweise an einen Gassenhauer denken lässt, ist der Albtraum für eine Fluggesellschaft. Vor allem dann, wenn es ein Airbus A320 ist und die eigene Airline wegen eines westlichen Embargos ohnehin weder Ersatzteile noch Wartung durch den Hersteller erhält.
Dieses Horrorszenario wurde am 12. September 2023 für die russische Ural Airlines Realität. Einer ihrer Airbus A320 musste auf einem Feld in Sibirien wegen drohenden Treibstoffmangels landen. Niemand an Bord wurde verletzt. Auch der A320 überstand die Landung auf dem Getreidefeld anscheinend ohne Schaden.
Seither sitzt er auf dem Acker fest. Lange dachten die Verantwortlichen in Russland konkret darüber nach, den Airbus womöglich wieder mit eigener Kraft vom Getreidefeld auszufliegen. Das wäre eine Weltpremiere gewesen. Nun kommt es doch anders. Der A320 wird ausgeschlachtet und dann aufgegeben.
Der ursprüngliche Plan hatte ganz anders ausgesehen. Denn wenn das mehrere Kilometer lange Getreidefeld westlich von Nowosibirsk zugefroren ist, könnte bei entsprechender Vorarbeit eine genügend lange und plane Fläche als provisorische Startbahn entstehen.
Eine Demontage und der Abtransport des zwanzig Jahre alten Airbus in der dünnbesiedelten sibirischen Einöde im Süden Russlands bedeuten hingegen einen wirtschaftlichen Totalschaden. Das ist nun auch der Fall. Ein Start ab dem gefrorenen Boden wäre angesichts zu geringer Tragfähigkeit des Untergrunds riskant und wurde nun deshalb nach mehr als sechsmonatigen Überlegungen endgültig abgesagt.
Sicherheitslandung und Notlandung unterscheiden sich
Bereits die Vorgeschichte zur Aussenlandung war ungewöhnlich. Diese war eine sogenannte Sicherheitslandung und keine Notlandung. Denn bei einer Sicherheitslandung bleiben der Crew noch verschiedene Handlungsoptionen und Zeit, etwa weil nur ein Triebwerk eines Mehrstrahlers ausgefallen ist oder ein technisches Problem möglicherweise noch während des Flugs behoben werden kann.
Auch wenn einer der Piloten in der Cockpit-Crew ausfällt, resultiert dies üblicherweise in einer nachfolgenden Sicherheitslandung. Bei einer Notlandung hingegen gibt es keine Zeit und auch keine anderen Optionen mehr als unmittelbares, möglichst kontrolliertes Aufsetzen, etwa bei Feuer an Bord oder beim Ausfall aller Triebwerke.
Der glatt gegangenen Landung des Ural-Airbus A320 auf dem Feld ging offenbar eine Fehlentscheidung der Crew voraus: Im Anflug auf den eigentlichen Zielflughafen Omsk stellten die beiden Piloten einen Hydraulikdefekt fest. Fahrwerk und Landeklappen des A320 waren da bereits ausgefahren. Da die Piste in Omsk nur 2500 Meter Länge hat, wollte die Crew für den Fall, dass auch die Bremsen ausfallen würden, lieber auf einen Flughafen mit längerer Landebahn ausweichen. Sie entschied sich deshalb für Nowosibirsk mit seiner 3,6 Kilometer langen Runway.
Dem Vernehmen nach spielten dabei aber auch massive Vorgaben des Ural-Managements für die Crew eine Rolle, den Jet möglichst an einen Flughafen zu bringen, auf dem gute Wartungsvoraussetzungen vorhanden sind. Die Piloten standen laut ersten Berichten einer Untersuchungskommission demnach unter einigem Druck, nicht die sicherste, sondern die für die Airline kostengünstigste Lösung zu wählen.
Allerdings liessen sich das Fahrwerk und die Landeklappen wohl nicht mehr ganz einfahren. Der rund zwanzig Jahre alte A320 hatte dadurch einen deutlich höheren Kerosinverbrauch als im normalen Reiseflug. Dies wiederum hatte die Crew entweder falsch einkalkuliert – oder sie hat sich womöglich sogar bewusst dazu entschieden, den von der Airline favorisierten, aber riskanteren Flugplatz Nowosibirsk anzufliegen.
200 Kilometer vor Nowosibirsk realisierte die Crew, dass der vorhandene Treibstoff nicht bis zum Ziel reichen würde. Daher entschieden sich die Piloten bewusst, auf einer geeigneten Landefläche – einem mehrere Kilometer langen Getreidefeld – aufzusetzen. Das klappte mit noch laufenden Turbinen so gut, dass alle 159 Passagiere und 6 Crewmitglieder die Notlandung unversehrt überstanden.
Landungen auf öffentlichen Strassen gibt es immer wieder
Einen ähnlichen Vorfall mit echter Notlandung auf Gras gab es auch im amerikanischen New Orleans. Dort fielen am 24. Mai 1988 beide Triebwerke einer Boeing 737-300 in einem Unwetter aus. Die Crew entdeckte einen grasbewachsenen Damm und entschied sich deshalb gegen eine Notwasserung im Meer. Alle an Bord blieben bei der geglückten Notlandung unverletzt.
Die komplett heil gebliebene Boeing wurde wenig später vom Damm auf eine Strasse gezogen. Nach Rücksprache mit Boeing und einer Ausnahmegenehmigung der US-Luftfahrtbehörde FAA durften zwei erfahrene Piloten die 737 von der Strasse aus wieder starten.
Überhaupt operieren erstaunlich oft auch Militärjets von Strassen oder Autobahnen aus zu Übungszwecken. So hat etwa die norwegische Luftwaffe erst Ende September 2023 zwei ihrer hochmodernen F-35-Fighter, die künftig auch die Schweiz bekommt, in einer gemeinsamen Übung mit dem finnischen Militär von einem Autobahnteilstück in Finnland aus starten und landen lassen.
Auch in der Schweiz soll diesen Sommer ein Autobahnteilstück temporär gesperrt werden, um dort probeweise Kampfflugzeuge des Typs F/A-18 starten und landen zu lassen. So wird gemäss einem Beschluss des Bundesrats die Nationalstrasse A 1 im Kanton Waadt in der ersten Juniwoche für 36 Stunden zwischen Avenches und Payerne für den Verkehr gesperrt. Dann trainieren F/A-18-Crews auf diesem Teilstück Aufsetzen und Abheben. Das wurde früher auch schon mit Flugzeugen vom Typ Hawker Hunter auf eidgenössischen Autobahnen wie der A 6 zwischen Münsingen und Thun zu Übungszwecken gemacht.
Ob der Hydraulikdefekt am gestrandeten A320 von Ural Airlines möglicherweise mit fehlenden Ersatzteilen oder mangelnder Wartung infolge der westlichen Sanktionen gegen Russland zu tun hatte, wird wohl erst der endgültige Abschlussbericht der russischen Flugunfallermittler zeigen. Jetzt werden aber erst einmal beide Triebwerke sowie weitere wichtige Teile ausgebaut. Der Rest der Maschine dürfte auf einem sibirischen Schrottplatz landen.