Rolex überrascht am Genfer Uhrensalon mit einer neuen Kollektion. Für die weltgrösste Uhrenmarke ist das ein seltenes Ereignis. Entsprechend gross sind die Erwartungen.
Es funkelt und glänzt wieder in den Genfer Palexpo-Hallen. Journalisten und Influencer wuseln durch die Gänge, es wird fotografiert, gefilmt und kommentiert. Neue Modelle von vorne, von hinten, am Handgelenk. Eine Woche lang steht Genf im Zeichen der mechanischen Uhr. Sechzig Marken präsentieren ihre Neuheiten auf der Watches and Wonders, mindestens ebenso viele zeigen sie abseits des Messegeländes in Hotels und Showrooms. Es ist das grösste Schaulaufen der Branche – und ein Wettstreit um Aufmerksamkeit.
Doch wie jedes Jahr überstrahlt eine Marke alles: Rolex. Keine andere wird so genau beobachtet, keine andere elektrisiert die Szene mit ihren Neuheiten derart zuverlässig wie die Genfer Manufaktur mit der Krone im Logo.
Neue Kollektion namens Land-Dweller
Die Aufregung ist dieses Jahr noch grösser als sonst. Seit Tagen kursieren in den sozialen Netzwerken Gerüchte, dass etwas Besonderes präsentiert werde. Und tatsächlich: Was Rolex diesmal zum Auftakt der Uhrenmesse präsentiert, kommt einem Paukenschlag gleich: Die Manufaktur lanciert eine komplett neue Kollektion – die Land-Dweller.
Die Uhr, die die NZZ bereits in Augenschein nehmen konnte, wirkt am Handgelenk sportlich, aber vor allem auch elegant. Als Drei-Zeiger-Uhr mit Datum erinnert sie an die klassischen Oyster Datejust. Aber das Gehäuse ist spürbar dünner, und es geht nahtlos ins Uhrenband über.
Eine neue Modelllinie – und dann noch im Kernsegment der sportlichen Uhren – ist bei Rolex ein Ereignis. Die Marke gilt als Inbegriff der Kontinuität und konzentriert sich meist auf behutsame Anpassungen ihrer Klassiker: neue Zifferblattfarben, technische Verfeinerungen, moderne Materialien. Langweilig ist das nicht – im Gegenteil. Gerade diese Beständigkeit ist Teil des Erfolgsrezepts.
Viele der heute gefragtesten Modelle von Rolex stammen aus den 1950er und 1960er Jahren, darunter auch die Ikonen Submariner (1953), GMT-Master (1955), Daytona (1963). Sie wurden subtil weiterentwickelt, so dass sie auch heute noch modern wirken. Gleichzeitig erzielen auch ältere Modelle auf dem Gebrauchtmarkt hohe Preise.
Kann die Land-Dweller neben diesen Schwergewichten bestehen?
Die Rückkehr des integrierten Armbands
Sicher ist: Die neue Linie fügt sich nahtlos in die bestehende Modellpalette von Rolex ein. Weniger auf der rein sportlichen Seite wie die genannten Ikonen, sondern eher im eleganteren Bereich. Sie bildet gewissermassen die Brücke zwischen der eleganten Dress-Watch von Rolex, der «1908» , und der sportlichen Oyster Daydate.
Dabei bringt die Land-Dweller verschiedene Neuerungen.
Allein die Tatsache, dass Rolex wieder eine Uhr mit sogenanntem integriertem Band lanciert, dürfte viele Sammler und Uhrenliebhaber aufhorchen lassen. Zeitmesser mit dieser Konstruktion sind seit Jahren bei Kennern begehrt – nicht zuletzt wegen ihrer harmonischen Formensprache, bei der Gehäuse und Band optisch verschmelzen. Zudem strahlen sie eine gewisse Exklusivität aus, da sie technisch aufwendig und gestalterisch anspruchsvoll sind. Das prominenteste Beispiel ist die Royal Oak von Audemars Piguet, die 1972 vorgestellt wurde und heute als Ikone gilt.
Dass Rolex diesem Trend über lange Zeit keine eigene Antwort entgegengesetzt hat, erstaunt – zumal die Marke in der Vergangenheit durchaus entsprechende Modelle im Programm hatte. Die Quartz Date von 1969 etwa verfügte ebenso über ein integriertes Band wie eine Variation der mechanischen Oyster Datejust, die bis in die frühen 2000er Jahre produziert wurde. Seither setzte Rolex konsequent auf klassisch angesetzte Armbänder, die sich bei Bedarf auswechseln lassen.
Neues Uhrwerk mit neuer Hemmung
Bei einem integrierten Band ist es besonders wichtig, dass eine Uhr nicht zu dick ist. Sonst leidet der Tragekomfort. Mit 9,7 Millimetern Höhe ist die Land-Dweller über 2 Millimeter schlanker als die Rolex-Datejust. Möglich wurde das durch ein neu entwickeltes Werk.
Das Uhrwerk ist durch einen Boden aus Saphirglas sichtbar. Das ist bei mechanischen Uhren zwar keine Seltenheit, aber bei Rolex schon. Die Marke hat erst vor zwei Jahren begonnen, bei ausgewählten Modellen transparente Gehäuseböden einzusetzen. Uhren-Nerds müssen die Uhr allerdings nicht einmal umdrehen, um festzustellen, dass bei diesem Werk etwas anders ist. Es genügt, den Sekundenzeiger zu beobachten.
Der Zeiger läuft nämlich ruhiger als bei anderen Modellen. Das liegt daran, dass Rolex zum ersten Mal ein Uhrwerk konstruiert hat, das mit 5 statt 4 Hertz oszilliert – also mit 36 000 statt 28 800 Halbschwingungen pro Stunde. Ein solches Hochfrequenzwerk sorgt für mehr Ganggenauigkeit und macht die Uhr unempfindlicher gegenüber Erschütterungen. Er trage seine Uhr sogar zum Mountainbiken, sagt Olivier Greim, der bei Rolex für Forschung und Entwicklung zuständig ist.
Das neue Werk verfügt auch über eine neuartige Hemmung. Die Hemmung ist das Herzstück jeder mechanischen Uhr und sorgt dafür, dass das Uhrwerk regelmässig und kontrolliert läuft. Die sogenannte Dynapulse-Hemmung, die Rolex nun entwickelt hat, ist laut Greim um 30 Prozent effizienter als die klassische Ankerhemmung.
Dieser Effizienzgewinn sei nötig gewesen, da ein Hochfrequenzwerk mehr Energie brauche, sagt Greim. Ohne eine entsprechende Kompensation hätte sich die Uhr zu schnell entladen, sobald sie nicht getragen – und der Aufzugsrotor nicht mehr bewegt – wird. Mit der neuen Hemmung liegt die Gangreserve nun bei 66 Stunden. Dieser Wert entspricht dem anderer Rolex-Modelle.
Mit all dem ist klar, dass die Land-Dweller nicht zu den günstigsten Uhren in der Rolex-Kollektion gehört. Die Stahl-Weissgold-Variante kostet 14 200 Franken; eine vom Material her vergleichbare Rolex-Daydate ist ab 8800 Franken zu haben.
Rolex und die Erwartungen der Fans
Als bedeutende und stark beachtete Uhrenmarke steht Rolex heute unter dem Brennglas ihrer weltweit aktiven Fangemeinde. Jede noch so kleine Veränderung an bestehenden Modellen wird aufmerksam registriert, kritisch hinterfragt und ausführlich kommentiert. In lebhafter Erinnerung ist das Jahr 2021, als Rolex an der Uhrenmesse eine neue Version der Submariner vorstellte – mit einem Durchmesser von 41 statt wie bisher 40 Millimetern. Das Echo in Foren und sozialen Netzwerken war gewaltig. Die Diskussion kulminierte in der Frage: Hat Rolex damit die Submariner – seit den 1980er Jahren ein Bestseller – ruiniert?
Eine komplett neue Kollektion zu lancieren, ist mutig. Auch hier können die Reaktionen heftig ausfallen – wie bei der «Code 11.59» von Audemars Piguet, die in den sozialen Netzwerken teilweise regelrecht verrissen wurde. Oder zwiespältig – wie bei der Cubitus von Patek Philippe, bei der viele zunächst nicht wussten, ob sie ihnen gefiel. Am Ende verkaufte sie sich dennoch hervorragend.
Negative Reaktionen auf die neue Land-Dweller wären dennoch überraschend. Wie bei Rolex üblich, ist das Modell bis ins Detail durchdacht. Aus ästhetischen Gründen wurde zwar auf eine Bandverstellung verzichtet – etwa um es bei Wärme lockern zu können –, doch der Gesamteindruck bleibt stimmig.
Noch erstaunlicher wäre es, wenn sich das Modell nicht bestens verkaufte. Denn seit einigen Jahren gilt es beinahe als Privileg, überhaupt eine Rolex erwerben zu können. Obwohl die Marke über eine Million Uhren pro Jahr produziert, bestehen für viele Modelle Wartelisten.
Zwischen Mai und Juli kommt die Land-Dweller in die Läden. Und in fünfzig Jahren werden wir auch unser endgültiges Urteil darüber fällen können, ob Rolex mit diesem Modell ein Werk für die Ewigkeit geschaffen hat.