Samstag, März 15

Die Individualbesteuerung ist akut absturzgefährdet. Das freut die Mitte-Partei. Sie hat aktiv dazu beigetragen – mit fragwürdigen Methoden.

Geht es um Anstand in der Politik, ist die Mitte-Partei meistens nicht weit weg. Gern reklamiert sie für sich erhabene Korrektheit und kritisiert andere, die ihrer Sittenlehre nicht gerecht werden. Nun aber machen ausgerechnet die Ständeräte der Mitte mit einem zwiespältigen Manöver von sich reden. Die Episode hat sich am Montagabend ereignet, blieb danach im Schatten der Bundesratswahl, dürfte aber noch zu reden geben.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Sie wirft eine spannende Frage auf: Darf man als Parlamentarier gegen die eigenen Überzeugungen stimmen, um eine grosse Reform zu verschlechtern und zum Absturz zu bringen? Oder anders formuliert: Wie hinterlistig darf Politik sein?

Es ist kurz nach 19 Uhr, als die Ständeräte am Montag zur Abstimmung schreiten. Thema der Debatte: die Einführung der Individualbesteuerung, die grösste Steuerreform seit langer Zeit. Mitte und SVP sind klar dagegen, Linke und FDP klar dafür. Nun geht es im Ständerat um die Frage, wie gross die Steuerausfälle sein dürfen.

Sie ist heikel, weil die geplante Reform für einen Teil der Haushalte sowieso eine Steuererhöhung bewirkt. Betroffen sind insbesondere Ehepaare, die nach dem alten Modell leben: Der Mann kümmert sich um das Geld, die Frau um Haus und Kinder. Weil solche Familien zum Teil mehr Steuern zahlen müssten, schiesst die Mitte scharf gegen die Vorlage.

Auch die SVP-Ständeräte machen mit

Im Ständerat aber sorgt dieselbe Mitte dafür, dass die Steuererhöhungen durch die Reform sogar noch deutlich grösser ausfallen würden als bisher geplant. In der entscheidenden Abstimmung stehen zwei Varianten zur Auswahl: ein Antrag des FDP-Präsidenten und Ständerats Thierry Burkart sowie ein Antrag der SP-Ständerätin Eva Herzog. Die Variante Burkart wäre für die Einverdienerpaare, um die es der Mitte geht, besser. Die Mitte jedoch stimmt wider Erwarten für die Variante Herzog. Differenz für die Steuerzahler: gut 350 Millionen Franken im Jahr.

Rational ist das Stimmverhalten schwer zu erklären. Nach logischen Gesichtspunkten müssten die Mitte-Ständeräte im Interesse ihrer Klientel für Burkart stimmen. Weshalb sie es nicht tun, wird nicht klar. Es votieren auch nicht alle Mitte-Vertreter so, vier Abweichler stimmen nachvollziehbar (Marianne Binder, Isabelle Chassot, Beat Rieder, Benedikt Würth). Den übrigen elf Mitte-Ständeräten hingegen gefällt es, die Vorlage in diesem Punkt so auszugestalten, dass sie für ihre Klientel noch schlechter ausfällt. Dasselbe machen die sechs SVP-Ständeräte.

Das Motiv scheint klar: Die Mitte-SVP-Allianz will die unliebsame Reform derart in Schieflage bringen, dass sie bereits im Parlament scheitert – oder sich in der Volksabstimmung leichter bekämpfen lässt.

Zweifel an der Zuverlässigkeit der Mitte

Die FDP reagiert schnell und zornig. Noch am gleichen Abend wirft sie der Mitte vor, sie wolle die Individualbesteuerung «mit höheren Steuern vergiften». Beim Familienmodell sei die Mitte ganz die alte CVP: «Ehefrauen sollen brav zu Hause bleiben.» Das Fazit fällt geharnischt aus: Was im Ständerat passiert ist, bezeichnet die FDP als «perfides Spiel», mithin laut Duden als verschlagen und niederträchtig.

Der FDP-Chef selbst sagt, er erachte das Verhalten der Mitte-Ratskollegen als «nicht ständerätlich» – einen gravierenderen Vorwurf kann man einem stolzen Ständerat kaum machen. Der Ärger ist Burkart auch Tage danach noch anzumerken: «Die Mitte hat die Vorlage bewusst verschlechtert, nur um taktische Vorteile zu erlangen.» Dass die Mitte einen linken Antrag unterstütze, der ihren eigenen Zielen zuwiderlaufe, lasse tief blicken.

Ein anderer Freisinniger spricht hinter vorgehaltener Hand von destruktiver Kindergarten-Politik. Wenn das Beispiel Schule mache, werde dies die Zusammenarbeit der Parteien in vielen Bereichen massiv erschweren. Wer ein zuverlässiger Partner sein wolle, handle nicht so.

Bischof: «taktische Überlegungen»

Der Wortführer der Mitte, Ständerat Pirmin Bischof, weist die Vorwürfe zurück. «Wenn die FDP und die Linke unbedingt die Individualbesteuerung durchzwängen wollen, sollen sie das versuchen, dann aber bitte in einer konsequenten Form.» Die Variante, die der Ständerat beschlossen habe, sei offenbar aus Sicht der Linken stimmig. «Also haben wir in diesem Punkt ihrem Antrag zugestimmt.» Die Mitte lehne jedoch die Reform in beiden Varianten wegen der massiven Steuererhöhungen für Einverdiener-Ehepaare klar ab.

Aber weshalb sorgt sie dann dafür, dass diese Steuererhöhungen noch massiver ausfallen? Eine Vorlage gegen die eigene Überzeugung zu verschlechtern – ist das nicht «perfid»? «Keinesfalls», sagt Bischof. Er kritisiert, Burkart habe seinen Antrag sehr kurz vor der Debatte eingereicht, obwohl er selbst in der zuständigen Kommission sitze. Wenn schon, dann sei dieses Vorgehen «nicht sehr ständerätlich», entgegnet Bischof. Um zu ergänzen: «Sicher waren bei uns auch taktische Überlegungen im Spiel, aber das erachte ich als legitim.»

Unabhängig davon, wie man das Mitte-Manöver beurteilt: Dass es erfolgreich war, lässt sich kaum bestreiten. Nun ist die Vorlage für die Individualbesteuerung arg in Schieflage. Die FDP hat am Ende nur à contre cœur zugestimmt, um einen Scherbenhaufen zu vermeiden. Wie es weitergeht, ist unklar. Bei der Vorlage handelt es sich um den Gegenvorschlag zu einer Initiative der FDP-Frauen für die Individualbesteuerung. Jetzt ist wieder der Nationalrat am Zug. Dort gab es schon bisher nur eine knappe Mehrheit um SP, FDP, Grüne und GLP. Ob diese hält, ist unsicherer denn je.

Burkart: «Sehe keinen Ansatz für eine Einigung»

Thierry Burkart lässt keine Zweifel offen: «Die FDP wird diese Vorlage keinesfalls weiter unterstützen, wenn sie gegenüber den Entscheiden des Ständerats nicht massiv korrigiert wird.» In dieser Version sei das Ausmass der Steuererhöhungen vor allem für Einverdienerpaare und Alleinstehende viel zu gross. «Das können wir nicht mittragen.»

Der FDP-Präsident sieht die Linke in der Verantwortung: «Wenn die SP und die Grünen weiterhin ideologisch stur bleiben, wird es keinen Gegenvorschlag geben, und wir müssen auf unsere Initiative setzen.» Damit wäre jedoch ein erheblicher Zeitverlust verbunden. Jetzt müsse das rot-grüne Lager Farbe bekennen. Burkart: «Wir haben Hand geboten für einen Kompromiss, die Linke wollte nicht. Sie stellte Klassenkampf über Gleichstellung. Zurzeit sehe ich leider keinen Ansatz für eine Einigung.» In diesem Fall werde die Vorlage bereits im Parlament scheitern.

Somit zeichnet sich dieses Szenario ab: Die FDP-Initiative für die Individualbesteuerung kommt ohne Gegenvorschlag an die Urne. Wird sie angenommen, muss das Parlament schaffen, was jetzt zu scheitern droht: eine konkrete Umsetzung auf Gesetzesebene.

Die Sache ist aber noch vertrackter: Es gibt auch eine Volksinitiative der Mitte, die das Gegenteil verlangt, und die bald erstmals ins Parlament kommt. Sie will zwar ebenfalls die «Heiratsstrafe» abschaffen, von der ein Teil der Ehepaare betroffen ist. Eine individuelle Besteuerung aber würde sie explizit ausschliessen. Somit kann das Volk den ideologischen Grabenkampf voraussichtlich eigenhändig entscheiden. Richtig kompliziert wird es, wenn beide Initiativen angenommen werden.

Exit mobile version