Donnerstag, Mai 22

Die Restaurantkolumne ist diesmal einem berühmten Mann gewidmet, der Teil eines kulinarischen Quartetts war: Ein Trio bleibt zurück und verabschiedet sich in Stans von Peter von Matt.

Vier Gedecke liegen auf dem Holztisch. So haben wir’s gewünscht, wohlwissend, dass Peters Platz an diesem prächtigen Maitag leer bleibt. Wir halten ihn frei für einen aus unserer Vierergruppe, die in den letzten zehn Jahren gemeinsam gewiss ein Dutzend Restaurants getestet hat. Ihm soll diese Kolumne gewidmet sein.

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Peter von Matt, der grosse Schweizer Literat, ist nicht mehr da. Das zum Trio geschrumpfte Grüppchen verabschiedet sich von ihm im Herzen der Urschweiz, in seinem Heimatdorf Stans, wo er drei Tage zuvor bestattet worden ist: Die Amsel sang über dem Grab, weiter oben leuchteten die grünen Matten – unverschämt grün, wie er es vielleicht genannt hätte.

Hinter dem Friedhof liegt das ehemalige Kapuzinerkloster. Dessen Kollegium, damals von Mönchen geführt, besuchte Peter von Matt vor gut siebzig Jahren als Gymnasiast. Und sein damaliger Klassenkollege, der dann in Zürich ein bekannter Werber wurde, initiierte über ein halbes Jahrhundert später unser kulinarisches Quartett, zu dem auch ein ehemaliger Zürcher Berufspolitiker gehört.

Seit 2022 führt im einstigen Kloster die Stanser Stiftung Kulinarisches Erbe der Alpen das «Culinarium Alpinum» mit grossem Obst- und Kräutergarten, Hotel und Restaurant, das laut Eigenwerbung für «die regionale Glaubwürdigkeit» stehen soll. Peter pflegte über Geschwurbel gnädig zu lächeln, wir tun es auch und lassen bei einer Mahlzeit auf der Terrasse die Jahre Revue passieren.

Die Erinnerung an gemeinsame Restaurantbesuche steigt auf, die meisten davon flossen in meine Kolumnen ein. Oft handelte es sich um Zürcher Lokale mit historischer Note: Vor neun Jahren assen wir vier draussen vor «Kaiser’s Reblaube», bevor sie zur Tiki-Bar mutierte, zwei Jahre später im «Münsterhöfli» direkt unter dem «Liebesgarten» des mittelalterlichen Wandgemäldes.

Ein untrügliches Auge hatte Peter nicht nur für die Schönheit der Kunst, sondern auch für Schlampereien im Schreibstil (nicht nur in Speisekarten), aber auch auf Tellern. Seinen einzigartig trockenen Humor verlor er jedoch höchstens, wenn’s keine Suppe gab. Ein festliches Mahl hatte seiner Ansicht nach mit einer solchen zu beginnen, und zwar einer warmen. Einmal war gar keine im Angebot (etwa im «Florhof», der zurzeit mit einer langwierigen Baustelle gestraft ist), ein anderes Mal wollte ein Kellner ihm eine Kaltschale aufschwatzen. Der Nidwaldner blieb standhaft, mit seiner unvergleichlichen Mischung aus Knorrigkeit und Gewandtheit.

Der Himmel will es, dass das Mittagsmenu des «Culinarium Alpinum» stets Salat und Suppe einschliesst, in diesem Fall ein warmes Kartoffel-Lauch-Süppchen, dem wohl etwas Verjus genau den richtigen Schuss Säure verleiht. Auch die Hauptgänge sind tadellos: Hacktätschli mit Härdöpfeldampf und Seeli (Fr. 27.–), gebratene Felchenfilets aus dem Vierwaldstättersee mit Spargel und feinen Butter-Peterli-Kartoffeln (Fr. 41.–) und überaus schmackhafte Stanser Gitzileber (Fr. 42.–), adrett gebettet auf einen sämigen, aber etwas weich geratenen Risotto aus Tessiner Loto-Reis.

Zum Dessert gibt’s eine formidable, mit Sbrinz-Findlingen üppig flankierte Innerschweizer Dörrbirnenwähe, bekannt unter dem kraftstrotzenden Mundartwort «Schlorziflade» (Fr. 13.50). Peter liebte die deutsche Sprache samt ihren Dialekten. «Mit einem herzlichen Sommergruss (äntlecheinisch)» war eine seiner E-Mails an uns unterschrieben, ergänzt um eine Fussnote: «Zürichdeutsch äntliemol? Oder entliemal?» Und als er mit dem x-ten Preis geehrt wurde, fand er: «Dr Tiifel schisst immer uf de gliich Huuffe.»

Als wir vor sechs Jahren in der «Öpfelchammer» auf Gottfried Kellers 200. Geburtstag anstiessen, nährte Peter die Zweifel an der These, dass der Dichter hier Stammgast gewesen sei. Dieser verkehrte eher in der «Meisen», die Belege dafür wurden mir später nachgereicht: Peter war stets grosszügig im Teilen seiner Kenntnisse und Quellen. Und wie gerne entlarvte er Mythen, mit koboldhaftem Schalk in den Augen! Ein Stichwort, und er schöpfte ohne belehrenden Tonfall aus einem Wissen, das eine zehnbändige Enzyklopädie gefüllt hätte. Wir lauschten am Esstisch andächtig, wie einst das Publikum seiner legendären Literaturvorlesungen.

Peter selbst war auch ein sehr guter Zuhörer, und selbst als er in den letzten zwei Jahren stiller wurde, prägten sein Geist und seine Seele unsere gefrässige Runde. Nun, da er fehlt, ist diese ziemlich viel dümmer und ärmer geworden. Doch an den Tischen, an denen Freundschaften wachsen, bleibt stets ein Platz für ihn frei.

Culinarium Alpinum
Mürgstrasse 18, 6370 Stans
Telefon 041 619 17 17

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

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