Samstag, September 28

Der Tessiner Regierungsrat Norman Gobbi steht seit seiner Verwicklung in einen Autounfall unter Dauerbeschuss.

Die politische Karriere des Tessiner Regierungsrats Norman Gobbi schien nur eine Richtung zu kennen: aufwärts. Im Jahr 2011 wurde er auf der Liste der Lega in die Kantonsregierung gewählt, im Alter von nur 34 Jahren. Drei Mal wurde er seither im Amt bestätigt, letztmals 2023. Im Jahr 2015 war er sogar offizieller SVP-Bundesratskandidat, was ihm landesweite Bekanntheit einbrachte. Gewählt wurde dann Guy Parmelin.

Doch in den letzten Monaten und Wochen ist der mittlerweile 47-jährige kantonale Polizei- und Justizdirektor ins Fadenkreuz der Kritik geraten. Seine politischen Gegner lassen keine Gelegenheit aus, ihn anzugreifen. Ein Autounfall, in den Gobbi in der Nacht vom 13. auf den 14. November 2023 in Airolo verwickelt war, gab viel Anlass für Spekulationen. Die Staatsanwaltschaft leitete Ende März eine Strafuntersuchung ein, nachdem der Mitte-Parteipräsident und -Grossrat Fiorenzo Dadò mit einem Vorstoss unbequeme Fragen gestellt und insinuiert hatte, Gobbi habe möglicherweise vom Verhalten einiger Beamten profitiert. Die Lega sprach stets von einem Sturm im Wasserglas, von einer Banalität.

Begünstigung?

Doch inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Polizisten der Kantonspolizei wegen Begünstigung erhoben. Der Anfangsverdacht des Amtsmissbrauchs wurde fallengelassen. Sie müssen sich vor der Pretura Penale, einem kantonalen Strafgericht, verantworten. Gegen Gobbi selbst war keine Strafuntersuchung eingeleitet worden. Er war in der fraglichen Nacht mit einem Auto mit deutschem Kennzeichen kollidiert, das vom Pannenstreifen unvermittelt auf die Fahrspur in nördlicher Richtung gefahren war.

Gobbi hatte nach dem Unfall die Polizei gerufen, welche bei ihm zwei Alkoholtests durchführte. Beim ersten war er nach eigenen Angaben leicht über dem zulässigen Wert, beim zweiten Test, der beweissicheren Atem-Alkoholkontrolle, in der Norm. Offenbar aber sind zwischen den beiden Tests mehr als zwei Stunden vergangen, was einen Blut-Alkoholtest nötig gemacht hätte. Dieser blieb aus, weil die Polizisten davon absahen. Das erklärt den Vorwurf der Begünstigung.

Wo Begünstigung sei, müsste auch eine begünstigte Person sein, sagt der Mitte-Grossrat Fiorenzo Dadò. Doch Gobbis Anwalt Renzo Galfetti behauptet, dass Gobbi vom Handeln der Polizisten nichts gewusst habe. Die mutmassliche Begünstigung wäre also ohne sein Wissen erfolgt.

Gobbi selbst war nach der Eröffnung der Strafuntersuchung als Polizeidirektor in den Ausstand getreten, der Gesamtstaatsrat hatte dies ratifiziert und dem Kollegen Claudio Zali ad interim die Führung übergeben. Nach Abschluss der Strafuntersuchung erklärte Gobbi in einer Mitteilung, dass nun erwiesen sei, dass an allen Vorwürfen und der üblen Nachrede gegen seine Person nichts dran sei. Und vor wenigen Tagen sagte er im Grossen Rat dann überraschend, dass sein Ausstand nicht mehr «als solcher» Geltung habe. Die Aussage erzeugte einen Riesenwirbel, der dazu führte, dass der Regierungspräsident Christian Vitta (FDP) einschreiten musste. Er erklärte, dass Gobbis interimistische Entmachtung als Polizeidirektor bis auf weiteres beibehalten werde.

Erst kurz zuvor hatte das Tessiner Stimmvolk den Ankauf der ehemaligen Banca del Gottardo in Lugano in einer Volksabstimmung abgelehnt. Es hätte der neue Justizpalast werden sollen, ein Prestigeobjekt aus dem Justizdepartement unter Führung von Gobbi. In einer Reaktion auf das Votum erklärte er, dass die Tessiner offenbar keinerlei Geld für die Justiz ausgeben wollten und Reformen nichts kosten dürften. Insbesondere die FDP interpretierte diese Reaktion als Bankrotterklärung des Justizdirektors, der auch von einigen Exponenten der Gerichtsbarkeit angegriffen wurde. Eine Verbindung zwischen seiner Unfallgeschichte und der Ablehnung des Projekts Justizpalast bezeichnete Gobbi als «cazzata», ein Vulgärbegriff für «Blödsinn». Mit der Benutzung dieser Vokabel bewies er zwar Volksnähe im Sprachgebrauch, doch auch dafür wurde er wieder hart kritisiert.

Die Leg in der Krise

Derweil kriselt es bei seiner Partei, der rechtspopulistischen Lega dei Ticinesi. In den vergangenen Wahlen – mit Ausnahme der Gemeindewahlen vom April – musste die Bewegung schmerzliche Verluste hinnehmen, während sich die SVP als Schwesterpartei im Aufwind befindet. Im Dezember 2023 akzeptierte Gobbi, ad interim als Koordinator der Bewegung zu fungieren, was einer Art Präsidentschaft gleichkommt. Gobbi war es damals schon unwohl, denn die Ämter eines Staatsrats und eines Koordinators bergen einen potenziellen Interessenkonflikt. Soeben wurde dieses Mandat bei einer Jahresversammlung hinter verschlossenen Türen bis Ende 2024 verlängert, weil es in der Lega an charismatischen Führungskräften fehlt. Doch Konflikte sind programmiert, wie die Diskussionen um die Kantonsrechnung 2023 zeigten, welche die Lega-Fraktion zurückwies. Damit fiel sie ihrem Staatsrat, der Koordinator der Bewegung ist, in den Rücken.

Hämische Kommentare waren zudem von der Mitte und der FDP zu hören. Grossrätin Natalia Ferrara (FDP) sagte, Gobbi würde sich besser um das Justizdepartement kümmern als um die Koordination der Lega. Zumal es im Departement etliche Baustellen gebe, darunter eine Reform des Wahlprozederes für Staatsanwälte. Der Rechenschaftsbericht des kantonalen Justiz- und Polizeidepartements wurde mit 23 Ja-Stimmen bei 21 Nein und 25 Enthaltungen äusserst knapp angenommen – für Gobbi kein gutes Ergebnis.

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